Eigentlich müsste er längst „Etablierter Deutscher Jazzpreis“ heißen. Im April 2017 verlieh die IG Jazz Rhein-Neckar e.V. bereits zum zwölften Mal den Neuen Deutschen Jazzpreis. Das Mannheimer Modell hat sich bewährt: Wieder bewarben sich rund 200 Bands, wieder traf eine Fachjury eine Vorauswahl von einem guten Dutzend, wieder wählte ein eigens bestellter Kurator die drei Finalbands aus, und wieder entschied am Finalabend in der Alten Feuerwache das Publikum im Saal über den Preisträger.
Dieser Publikumsentscheid ist das stärkste Argument des Preises, denn in Mannheim verlässt der Jazz einmal im Jahr die geschlossene Anstalt der Expertenmeinungen und stellt sich der offenen Hörer-Demokratie. Mögen sich auch selbsternannte Fachleute in der Vergangenheit über das Publikumsvotum mokiert haben – Hörernähe ist für den Jazz wichtiger als jede Expertise. Das wissen die Musiker und Fans in der IG Jazz am allerbesten.
Aber auch Premieren gab es diesmal. Neben dem Bandpreis und dem (kleiner dotierten) Solistenpreis wurde erstmals ein Neuer Deutscher (Jazz-)Kompositionspreis ausgelobt und verliehen. Und zum allerersten (!) Mal gab es 2017 einen weiblichen Kurator: die englische Sängerin Norma Winstone, die seit mehr als 50 Jahren im Jazz aktiv ist. Damit hatte Mannheim auch zum ersten Mal einen Kurator, dessen Instrument die Stimme ist.
Erwartungsgemäß spielte daher Jazzgesang bei der diesjährigen Veranstaltung eine größere Rolle als sonst. Das begann schon in Akt 1, der neuen Kompositions-Konkurrenz. Für deren Austragung hatte man eigens ein Bühnensextett zusammengestellt, bestehend aus dem in Mannheim beheimateten Haz’art Trio (in der Besetzung Oud, Bass, Schlagzeug) und drei Gästen: einem Saxophonisten, einem Gitarristen und – richtig! – einem Sänger. Drei Musiker hatten je eine Wettbewerbs-Komposition eingereicht, die vom Sextett relativ kurzfristig einstudiert werden musste. Aufgrund der exotischen Klangfarbe der Oud machten alle drei Jazzstücke Gebrauch von nahöstlichen Elementen, jedes auf seine Art. Mit der Komposition des Saxophonisten Nicolai Pfisterer gewann das vielfältigste, kurzweiligste, effektvollste der drei Stücke. So soll es ja auch sein – bei einem Publikumspreis.
Es folgte noch am ersten Abend der Auftritt der Kuratorin Norma Winstone, deren Stücke auch als Popballaden oder Songwriter-Songs funktionieren würden. Die Britin aber verwendet weder Rhythmusgruppe noch akustische Gitarre, sondern lässt sich – wie seit Jahr und Tag – von zwei melodischen Improvisatoren begleiten: Glauco Venier (Klavier) und Klaus Gesing (Saxophon).
Anders als im Vorjahr, als drei identisch instrumentierte Quartette ins Finale kamen, traten beim Wettstreit um den Neuen Deutschen Jazzpreis diesmal sehr unterschiedliche Bands gegeneinander an. Nummer eins: das Philipp Brämswig Trio, eine elektrische Formation (E-Gitarre, E-Bass, Drums) mit Jazzrock-Einschlag. Die Drei agieren technisch virtuos, sehr dicht und chromatisch und lassen den Phrasen nur wenig Raum zum Atmen und Sich-Setzen. Nummer zwei: die in Köln lebende Sängerin Tamara Lukasheva mit ihrem Begleittrio. Die Ukrainerin singt in ihrer Landessprache oder ganz ohne Worte, improvisiert mit Humor und Können und liebt in ihrer Performance die Brüche zwischen Jazz, Cabaret und Volksliedartigem. Nummer drei: das Maxime Bender Quartet, eine klassische Jazzformation (Saxophon und Pianotrio). Die Band des Luxemburger Saxophonisten agiert erstaunlich konventionell im swingenden Modern-Jazz-Stil, dabei sehr routiniert und effektbewusst.
So viel steht fest: Jede Band, die das Finale erreicht, hat den Preis verdient. Das Votum des Publikums am zweiten Tag entschied für jene Formation, die an diesem Abend am originellsten, witzigsten und riskantesten auftrat: das Tamara Lukasheva Quartett. Auch der Solistenpreis wurde der Sängerin zugesprochen. Selten dürften die Entscheidungen am Preisabend so wenig umstritten gewesen sein wie 2017. Sogar die selbsternannten Fachleute konnten diesmal keine Einwände haben.