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Wayne Dockery (li.) und Archie Shepp. Foto: Ralf Dombrowski
Wayne Dockery (li.) und Archie Shepp. Foto: Ralf Dombrowski
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Eine gute Plattform für Visionen

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Zum Jazzfest Berlin 2012 unter der neuen Leitung von Bert Noglik
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Nein, meinte Joe Lovano, er habe nicht gewusst, wer Jutta Hipp war. Sie habe ja auch nie in New York gespielt. Aber nun sei er ein wenig schlauer und habe etwas Neues kennengelernt. Die Augen blitzen hinter der blau getönten Brille, man ahnt das Zwinkern eines Schelms. Schließlich gehört der amerikanische Tenorsaxophonist zu jener Spezies Allrounder, die für fast jedes Projekt zu begeistern sind, so denn Timing und Honorar stimmen. Damit lässt sich auch erklären, warum er zu dem Quintett gehörte, dessen Auftragsarbeit „Remembering Jutta Hipp“ das 48. Jazzfest in Berlin eröffnete, das erste, mit dem der Musikredakteur und Jazzexperte Bert Noglik sein Profil als Künstlerischer Leiter des prestigeträchtigen Festivals unter Beweis stellte. Eine Hommage an die nahezu vergessene, weil für die raue Musikwelt ihrer Wahlheimat New York zu sensibel strukturierte Pianistin aus Leipzig sollte es sein. Julia Hülsmann leitete die Band, Rolf Kühn steuerte Kompositionen, Erinnerungen, Melodien bei, Christian Lillinger und Greg Cohen komplettierten das Team um deutsch-amerikanische Stil-Aspekte.

Wirklich stimmig war es trotzdem nicht. Das lag einerseits am Sujet selbst. Schließlich war Jutta Hipp vor allem eine tragische Gestalt, deren persönliches Scheitern sich kaum in Musik fassen lässt, ohne indiskret, pauschal und damit ungerecht zu werden. Darüber hinaus aber blieben Hülsmann und ihre Gäste die Antwort schuldig, worin der besondere Reiz von Hipps Klangwelt bestand. Weder die originalen noch die gewidmeten Kompositionen verließen den Rahmen des gepflegten Modern Jazz, und hätte nicht Christian Lillingers nervös-energisches Schlagzeug mit einer Prise persönlichem Irrwitz dagegengehalten, wäre lediglich ein müdes Moratorium daraus geworden.

Der Zufall spielt mit

Damit aber wurde gleich zu Beginn des Festivals ein Trend gesetzt, der sich über die vier Tage hinweg weiterentwickeln sollte. „Manchmal ergeben sich Schwerpunkte auch durch Zufall“, meinte Bert Noglik am Rande der Konzerte. „Ich will keine Themen setzen, die das Festival einengen könnten, sondern eher Berührungslinien schaffen, Verknüpfungen und Netzwerkknoten, die der Musik gerecht werden.“ Und so war dieses Jazzfest zum Beispiel ein Festival der Schlagzeuger. Drei sehr unterschiedliche Exponenten der Zunft, den Feingeist Pierre Favre, den Klangpyromanen Günter „Baby“ Sommer und den Donnerpopper Manu Katché, hatte Nog­lik mit einem eigenen Konzertblock zusammengefasst. Die meis­ten anderen Kollegen kamen als Side­men auf die verschiedenen Bühnen im Haus der Berliner Festspiele, der Akademie der Künste und der Clubs A-Trane und Quasimodo. 

Famoudou Don Moye beispielsweise assistierte dem Klangkunstveteranen Hartmut Geerken bei dessen Widmung an den unlängst verstorbenen John Tchicai und nahm der verbissenen Poesie und romantischen Avantgarde seines Gegenübers, auf allem trommeln zu wollen, was Resonanz versprach, durch anarchischen Witz und profunde Percussion die semantische Schwermut. Han Bennink leistete sich einen fröhlich verschmitzten Schlagabtausch mit der Pianistin Aki Takase, Andrew Cyrille sorgte mit avantgardesk reflektiertem Swing dafür, dass die Hommage von Geri Allen an die Urmutter des Jazzklaviers, Mary Lou Williams, nicht in Sentimentalitäten abglitt. Außerdem trommelten Experiementalisten wie Paul Lytton und Alex Huber oder moderne Stilisten wie Daniel Humair und Jochen Rückert. Und Wayne­ Shorters launiges, überwiegend mit Sopransaxophon bestrittenes Finale, das mit nachlässiger Intonation mehr seine Unfähigkeit, die Licks der Vergangenheit hinter sich zu lassen, als nachhaltige Gestaltungslust dokumentierte, wäre ohne das eruptive, ausgelassene Zusammenspiel von John Patitucci und Brian Blade­ zu einem Trauerspiel verblasster Größe geworden.

Eisler und Kommeno 

Ein Festival wie das Jazzfest Berlin, das rechnerisch im kommenden Jahr, offiziell aber erst 2014 sein fünfzigjähriges Jubiläum feiert, definiert sich über die guten Musiker hinaus vor allem durch den Mut, Vorhandenes weiter zu denken. Zwei Projekte fielen dabei durch besonderen Anspruch aus dem Rahmen. Mit „Songs For Kommeno“ brachte der Schlagzeuger Günter „Baby“ Sommer Trauerarbeit auf die Bühne. Angeregt durch einen Besuch in dem 1943 von der deutschen Wehrmacht bei einem Massaker zerstörten griechischen Dorf Kommeno, hat er die widersprüchlichen Gefühle von Schuld und historischer Verantwortung, Entsetzen und Ohnmacht in ein Requiem gefasst. Die deutsche Erstaufführung dieses empathischen Werks wurde zu einem atemlos konzentrierten Moment des Festivals (mehr dazu in der nmz 11/12, Seite 4).

Das andere außergewöhnliche Projekt des Festivals brachte die Musik des Komponisten Hanns Eisler in der runderneuerten Version des Trios Das Kapital mit collagierten Filmbildern in der dezent dadaistischen Nachfolge von Kino-Pionieren wie Walter Ruttmann zusammen. Während der Saxophonist Daniel Erdmann, der Gitarrist Hasse Poulsen und der Schlagzeuger Edward Perraud in bereits bewährter Manier Melodien umdeuteten, dynamik- und kontrastreiche Räume schufen oder den Vorlagen eine Dosis Witz verordneten, entwickelte das Team Manic Cinema mal assoziative, mal direkt auf Eisler sich beziehende Bildsequenzen auf großer Leinwand, die in Tempo, Dramaturgie und Lakonik mit der Musik korrespondierten. Der Witz war hintergründig, evozierte eher Nachdenklichkeit als Frohsinn, griff aber gerade dadurch die Idee von Das Kapital auf, Eislers Kunst unabhängig von den Deutungen der Historiker als relevant für die Kultur der Gegenwart zu verstehen. 

So war Bert Nogliks ausverkauftes Jazzfest 2012 eine Standortbestimmung. Er bot dem Publikum vor allem auf der Hauptbühne viele alte und ehrwürdige Männer des Jazz, die wie beispielsweise der Saxophonist Archie Shepp mit seinem traditionellen Quartettprogramm, das den Bogen von Blues und Gospel zum Schrei der Avantgarde spannte, begeistert umjubelt wurden. Nebenlinien in den Clubs wie das vierteilige Künstlerportrait des Posaunisten Nils Wogram oder die World-Jazz-Sphären des Mannheimer Quartetts Lebiderya stellten Facetten heimischen Klangschaffens vor. Dezente Experimente wie „Songs for Kommeno“ oder „Wanted! Hanns Eisler“ erinnerten das Publikum daran, dass das Jazzfest auch als Forum für Streitbares Tradition hat. 

Ein gelungener Einstand also für den neuen Leiter, aber auch einer, der noch Luft nach oben hat. Denn für die kommenden Jahre steht manche Herausforderung auf der Agenda, allem voran das Update des Publikums, das deutlich mehr jüngere Semester braucht, um langfristig für ausverkaufte Häuser zu sorgen. Die Ideen jedenfalls gehen Bert Noglik so schnell nicht aus. „Ich habe schon jetzt weit mehr Projekte im Kopf, als sich verwirklichen lassen“, meint er mit Blick auf die kommenden Jahre. 

Und das Jazzfest Berlin ist an sich eine gute Plattform für Visionen, die zu Wirklichkeit werden. 

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