Liederbücher gibt es wie Sand am Meer, muss der Sammler zerknirscht erkennen, und viele davon taugen herzlich wenig. Dümmliche Auswahl, schlechte Dokumentation, falsche Melodien – alles ist schon dagewesen. Um so erfrischender ist das Erscheinen richtig guter Liederbücher; im Folgenden werden vier alte und zwei brandneue vorgestellt.
Liederbücher gibt es wie Sand am Meer, muss der Sammler zerknirscht erkennen, und viele davon taugen herzlich wenig. Dümmliche Auswahl, schlechte Dokumentation, falsche Melodien – alles ist schon dagewesen. Um so erfrischender ist das Erscheinen richtig guter Liederbücher; im Folgenden werden vier alte und zwei brandneue vorgestellt.In den Konzentrationslagern der Nazis gab es durchaus auch „illegale“ Aktivitäten, mit denen sich die Insassen Mut machten. So wurde nicht zuletzt auch gesungen. Ein eindrucksvolles Dokument wurde von einem unbekannten Häftling erstellt, der handschriftlich kalligraphisch gestaltete und illustrierte Liedertexte quer durchs deutsche Volkslied bis hin zu den „Moorsoldaten“ zusammentrug. „Das Lagerliederbuch. Lieder, gesungen, gesammelt und geschrieben im Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin 1942“, das beim Dortmunder Verlag „pläne“ ab 1980 vier Auflagen erlebte, ist leider vergriffen.Aus der deutschen Folkszene kamen Heide Buhmann und Hanspeter Haeseler, die Ende der 70er-Jahre nach eigenem Bekunden „aufsässige, zornige, witzige und lebensfrohe Volkslieder [sammelten], die aus den vorhandenen Schul- und Wanderliederbüchern herausgefallen waren“. Mit einer erklecklichen Sammlung wandten sie sich an diverse Verlage, die alle dankend abwinkten, weil sie keinen Markt sahen. So erschien „Das kleine dicke Liederbuch – Lieder und Tänze bis in unsere Zeit“ mit handgeschriebenen Noten und getippten Texten, Kommentaren und Quellen im Eigenverlag (Feierabendgrund 15, 36381 Schlüchtern). „Das kleine Dicke“ wurde unverhofft zum Klassiker und geht demnächst mit der 7. Auflage ins 50. Tausend (!), wobei der Preis unter 30 Mark bleiben wird. Wer dieses Buch nicht kennt, darf kaum behaupten, viel von deutschen Volksliedern zu wissen. Mit diesem Hit, ja: Evergreen auf der hohen Kante wagten sich Heide und Hanspeter an Computersatz, Hochglanz und Farbe.
„Magische Momente“ und „Zeitzeichen“ erschienen 1989 und 1993 als die ersten Bände der Reihe „Liederbuch der Rock- und Songpoesie“ (ISBN 3-927638-00-5 und 3-927638-02-1), mit Sorgfalt und Niveau zusammengestellte Sammlungen des neueren deutsch-deutschen Liedguts. Danach firmierte man zur GmbH als „Rockbuch Verlag“ und brachte vor kurzem Band 3 auf den Markt, der in gewisser Weise das ursprüngliche Konzept zu sprengen scheint. „HipHop XXL – Fette Reime und Fette Beats in Deutschland“ erschien mit Unterstützung von MTV und dem – Goethe-Institut, welches offenbar und zu Recht die didaktische Verwertbarkeit der meist nicht ungewitzten Szenesprache erkannte. Wer es noch nicht wusste: die erstaunlich unkommerzielle Jugendkultur HipHop ist die deutsche Fortsetzung des amerikanischen Rap, Breakdance und Graffiti inklusive. Entsprechend wurde der 224-Seiten-Band „designed“ und mit vielen Fotos ausgestattet. 28 Songs mit Texten, Noten und Arrangement-Hinweisen enthält das Buch, das auch darüber aufklärt, was eigentlich Flows oder MCs sind, und zum Mitmachen und Nachspielen anregt. Diese Songs finden sich auf der zugehörigen Doppel-CD, sechs davon noch einmal instrumental zum Selber-Rappen. Das Paket (ISBN 3-927638-20-X, ohne CDs 3-927638-03-X) gehört zwangsläufig in die Hände von Pädagogen.
Ebenfalls neu ist ein altes Liederbuch wiederum der besonderen Art. Als die Nazis den jüdischen Mitbürgern das Benutzen „deutscher“ Liederbücher untersagten, gaben zwei Lehrer der Hamburger Talmud-Tora-Schule ein eigenes Liederbuch heraus, das in zwei Auflagen auf gut 5.000 Exemplare kam. Eine dritte Auflage des Werks von Joseph Jacobsen und Erwin Jospe kam nicht mehr zustande. Beachtlich war und ist die Zusammenstellung von hebräischen, jiddischen und deutschen Liedern. So findet sich aus dem 133. Psalm das „Hine ma tow“ neben „Zehn Brider“ und „Der Mond ist aufgegangen“ – nicht einfach eine Mischung voller Optimismus, sondern ein Beleg dafür, wie sehr sich Herausgeber und Zielgruppe als Deutsche fühlten.
Im Anhang findet sich neben einer kurz gefassten Allgemeinen Musiklehre eine interessante und witzige „Übersichtstabelle zur Geschichte der Musik bei den Juden“ – beginnend beim 1. Buch Mose. Dieses „Hawa Naschira. Auf! Lasst uns singen!“ liegt nun als Faksimile vor, doch damit nicht genug. Herausgegeben von Dagmar Deuring, Zew Walter Gotthold, Rainer Licht und dem Hamburger „Urfolkloristen“ Jochen Wiegandt erschien dazu als zweiter Band ein Lexikonteil, der sämtliche Lieder eingehend dokumentiert sowie darüber hinaus tiefe Einblicke in das deutsch-jüdische Leben von damals (mit allerhand Fotos) und in jüdisches Religionsverständnis überhaupt gibt. Somit sind die beiden Bände im Schuber (534 S., Hamburg 2001: Dölling und Galitz Verlag, ISBN 3-930802-63-5, 56 Mark) keinesfalls nur etwas für Sammler, sondern wertvolle Dokumente zur deutschen Geschichte.