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Die Saxophonistin Christine Abdelnour. Foto: Eckhart Derschmidt
Die Saxophonistin Christine Abdelnour. Foto: Eckhart Derschmidt
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Genügend Raum für Improvisation

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Im österreichischen Wels fand zum 28. Mal das Festival „music unlimited“ statt
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Das Festival „music unlimited“ im österreichischen Wels trägt seinen Namen zurecht. Von freier Improvisation über Kammermusik bis zu handgemachtem Techno war bei den 18 Konzerten an drei Tagen alles vertreten. Gegensätze wurden bewusst gesetzt, wobei die Grenzen auch innerhalb der Konzerte verschwammen. Die 28. Auflage war dabei äußerst erfolgreich: Am Samstagabend mussten Besucher ohne Karte sogar nach Hause geschickt werden; mit gut 500 Gästen war der alte Schl8hof ausverkauft.

Anders als bei vergleichbaren Festivals achten die Veranstalter in Wels darauf, dass die Frauenquote eingehalten wird. „Ein guter Mix ergibt in der Summe auch eine andere Atmosphäre“, sagt Organisator Wolfgang Wasserbauer. Kurios sei allerdings, dass sich der hohe Frauenanteil unter den Musiker/-innen nicht unbedingt im Publikum widerspiegelt.

Musikalisch geht das Konzept auf: Das Duo der französischen Saxofonistin Christine Abdelnour mit der schwedischen Kontrabassistin Nina de Heney zeigte am Sonntagabend ein Lehrstück intuitiven Musizierens: Die Musikerinnen reagierten aufeinander, ohne Blickkontakt aufnehmen zu müssen. Während des Auftritts bewegten sie sich permanent am Übergang von freier Improvisation zum Geräusch. Dafür benötigten sie keinerlei Elektronik – das meiste war der virtuosen Techniken beider Musikerinnen geschuldet.

Ein weiterer Höhepunkt des Festivals war der Auftritt des Trios „Till by Turning“. Die Formation um Emily Manzo (Piano), Katherine Young (Fagott) und Erica Dicker (Violine) spielte Kompositionen zwischen Kammermusik und Minimal Music, bei denen genügend Raum für Improvisation blieb. Es entwickelte sich ein homogener Auftritt, bei dem vor allem Katherine Young am elektronisch verfremdeten Fagott zu überzeugen wusste.

Der darauf folgende Programmpunkt hätte gegensätzlicher nicht sein können. Das skandinavische Power-Trio „The Thing“ beendete in Wels seine Europatournee. Erweitert um den Saxofonisten Ken Vandermark rückte die Band um Mats Gustafsson (Saxofon), Ingebrigt Håker Flaten (Kontrabass, E-Bass) Paal Nilssen-Love (Schlagzeug) dabei noch enger zusammen. Das freie Spiel wurde im Laufe des Konzerts häufig von brachialen Riffs unterbrochen. Höhepunkt war eine Improvisation über Coltranes „India“: Deep Metal für das Zwerchfell. Für ein weiteres, nicht unbedingt erwartetes Highlight, sorgte das junge GIS Orchestra (Go for Improvised Sounds). Die 22-köpfige Formation, bestehend aus Profis und Laien aus der Region, zeigte eindrucksvoll, dass ernsthafte Musik auch jenseits der Akademie möglich ist: Dirigiert von Elisa-beth Harnik und Gigi Gratt, die sich an der Arbeitsweise des im vergangenen Jahr verstorbenen Bandleaders Butch Morris orientierten, ließen sie Zitate von Metal, Bigband, Freejazz und orientalischer Musik einfließen. Die Umgebung ist für die Leute dabei nicht neu. Seit diesem Frühjahr fungieren sie als Hausorchester des Schl8hofs und treffen sich zum regelmäßigen Proben – einmal im Monat laden sie zum Konzert. Ein Konzept mit Zukunft.

Wo so viel Gutes geboten wird, muss es auch Enttäuschungen geben. Dazu gehörte der lärmige Auftritt des Trios Maja Ratkje, Jaap Blonk (beide Stimme) und Lasse Marhaug (Electronics), der völlig ins Leere lief. Auch das Konzert von Paal Nilssen-Loves zwölfköpfiger „Large Unit“ blieb mangels Dynamik und hinter den beim Moers Festival geweckten Erwartungen zurück. Erst am Ende des einstündigen Sets riefen die Musiker ihr Potenzial ab.

Neben dem Hauptprogramm haben in Wels die nachmittäglichen Konzerte ihren festen Platz. Der Auftritt von Savina Yannatou (Stimme) und Barry Guy (Kontrabass) ragte dabei heraus. Die Improvisation bedurfte nur kurzer Absprachen. Mit einer Kunstsprache, zwischen konkreter Lyrik und Chaplins Filmsprache aus „Der große Diktator“ angesiedelt, forderte Yannatou ihren Gegenpart zu wahren Höchstleistungen heraus, worunter vor allem Saiten und Körper des Kontrabasses zu leiden hatten. Das Duo steigerte sich in einen intensiven Dialog, der am Ende in gegenseitiger Beschimpfung zu enden schien – glücklicherweise versöhnten sich die beiden: alles nur gespielt.

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