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Gleichzeitig verrückt und zuverlässig

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Das Vienna Art Orchestra ist seit fünfundzwanzig Jahren auf Tour
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Vor genau 25 Jahren gründete Mathias Rüegg das Vienna Art Orchestra (VAO). Aus diesem Anlass führte die neue musikzeitung ein Interview mit dem Leiter des so genannten „Flaggschiffs des europäischen Jazz“.
 
neue musikzeitung: In den 80ern hieß ein Album „Suite for the green eighties”, heute nennen Sie Ihr jüngstes Album „art & fun“ (Emercy/Universal). Welche Veränderung hat das VAO durchlaufen?
Mathias Rüegg: Das Orchester hat zweifelsohne einen Reifeprozess durchlaufen. Aus der Posthippie-Band mit all ihrem Wahnsinn ist ein ernst zu nehmender Klangkörper geworden, der eine Synthese zwischen amerikanischer und europäischer Tradition repräsentiert. Seit zehn Jahren schreibe ich nur noch thematische Programme, die sich sehr genau mit einem Thema beschäftigen und dieses von den verschiedensten (subjektiven) Seiten ausleuchten. Die Nummern sind sehr genau auf die Solisten zugeschnitten, und der dramaturgische Ablauf mit der ganzen Visualisierung wird konsequent geplant und umgesetzt, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Das heißt, wir haben 20 Tonnen Equipment mit, inklusive Bühne, Licht und Ton. Damit sind wir unabhängig und finden immer dieselben Bedingungen vor.

Vor genau 25 Jahren gründete Mathias Rüegg das Vienna Art Orchestra (VAO). Aus diesem Anlass führte die neue musikzeitung ein Interview mit dem Leiter des so genannten „Flaggschiffs des europäischen Jazz“. neue musikzeitung: In den 80ern hieß ein Album „Suite for the green eighties”, heute nennen Sie Ihr jüngstes Album „art & fun“ (Emercy/Universal). Welche Veränderung hat das VAO durchlaufen? Mathias Rüegg: Das Orchester hat zweifelsohne einen Reifeprozess durchlaufen. Aus der Posthippie-Band mit all ihrem Wahnsinn ist ein ernst zu nehmender Klangkörper geworden, der eine Synthese zwischen amerikanischer und europäischer Tradition repräsentiert. Seit zehn Jahren schreibe ich nur noch thematische Programme, die sich sehr genau mit einem Thema beschäftigen und dieses von den verschiedensten (subjektiven) Seiten ausleuchten. Die Nummern sind sehr genau auf die Solisten zugeschnitten, und der dramaturgische Ablauf mit der ganzen Visualisierung wird konsequent geplant und umgesetzt, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Das heißt, wir haben 20 Tonnen Equipment mit, inklusive Bühne, Licht und Ton. Damit sind wir unabhängig und finden immer dieselben Bedingungen vor. neue musikzeitung: Welche Veränderung hat der Jazz im vergangenen Vierteljahrhundert durchlaufen?
: Wenn wir aus heutiger Sicht zum Beispiel die 40er-Jahre betrachten, dann fällt es uns sehr leicht, zu urteilen. Es ist klar, wer die Entwicklung des Bebop vorangetrieben, wer sich von der Swingmusik nicht gelöst, wer instrumentale Standards gesetzt hat und wer Außenseiter war. Mir fällt auf, dass sich die Jazzmusik als reproduktive – und nicht mehr als innovative Kunstform – zu etablieren beginnt und in Bälde einen ähnlichen Stellenwert wie die klassische Musik einnehmen wird. Das heißt, die Preise erhöhen sich und das Publikum wird (noch) älter werden.

neue musikzeitung: Das VAO ist gerade in einer „Blick-zurück-Phase“. Zuerst das Programm „A Centennary Journey“ (auf CD bei Quinton/Efa Medien) dann „art & fun“, das ganze Programm ein großes „25-Jahre-Selbstzitat“. Aber: Welche Zukunft hat ein Orchester wie das Ihre?
: Große Jazzformationen haben grundsätzlich keine Zukunft, außer der, die man sich selber schafft. Jeder, der in dieser Branche arbeitet, weiß, was es heißt, mit einem 27-köpfigen Tross, 31 Konzerte en suite zu spielen. Im Prinzip entscheidet sich die Zukunft von Jahr zu Jahr. Nach einem ziemlichen Down Ende der 80er- bis in die 90er-Jahre geht es seit einigen Jahren wieder aufwärts.

neue musikzeitung: In „art & fun“ zitieren Sie hauptsächlich aus VAO-Titeln. Wie „funktioniert“ denn die Komposition?
: Ich wollte für mich herausfinden, was denn eigentlich das Art Orchestra ausmacht, und bin dadurch auf die Pole Anspruch (art) und Spaß (fun) gestoßen.
Ich habe mir dann sämtliche CDs mit der Partitur unter diesem Aspekt durchgehört und etwa 150 markante Stellen gesammelt. Diese Zitate habe ich in zehn Untergruppen aufgeteilt, wie Bassriffs, rhythmische Patterns, harmonische Progressionen, Melodien, Nebenstimmen, Bläserriffs et cetera, alle nach Tempi, Stimmungen und Grooves geordnet. Dann ging es darum, einen Raster für die dreizehn Titel und deren Solisten zu finden. Schlussendlich habe ich die Zitate auf die verschiedenen Stücke aufgeteilt und sie miteinander zu einem neuen Ganzen verwoben.

neue musikzeitung: Mit Ihren Satie-Paraphrasen setzten Sie neue Maßstäbe. Was denken Sie über die Inflation der „Klassik-Paraphraseure“ wie Uri Caine, Mike Svoboda, Joachim Kühn (um nur die besten zu nennen)?
: Nachdem sich die Jazzmusik immer mehr dem Status der klassischen Musik nähert, ist es folgerichtig, dass die Jazzmusiker sich der klassischen Wurzeln annehmen, die im Bezug auf Harmonik, Melodik und Struktur die Jazzmusik schon vorweggenommen haben. Denn nur durch die Rhythmik unterscheiden sich diese zwei Musikgattungen fundamental voneinander.

neue musikzeitung: Das Vienna Art Orchestra verjüngt sich regelmäßig. Wie suchen Sie Ihre neuen Musiker aus? Welche Anforderungen stellen Sie?
: Tatsächlich spielt die Altersstruktur im VAO eine nicht unwesentliche Rolle. Fangen wir mit den älteren Musikern an. Sie bringen Reife, Erfahrung und das Know-how mit, wie bestimmte Dinge im Vienna Art Orchestra gespielt werden sollten. Dann gibt es den Mittelbau, der zahlenmäßig am stärksten vertreten ist und für die Professionalität der Durchführung steht.
Zum Schluss kommen die Jungen, die frisches Blut und frische Ideen mitbringen und sich geduldig die Witze der älteren Generation anhören – oder auch nicht! Neben all diesen Kriterien braucht es Musiker, die gerne Reisen, Spaß am Spielen in dieser Band haben und die gleichzeitig verrückt und trotzdem zuverlässig sind – bei gegenseitigem Respekt!

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