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Größenwahn, Verwüstungen und Sauforgien

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Die neue CD von Oasis wurde trotzdem heiß ersehnt und erwartet
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Drei Millionen Vorbestellungen gab es für „Be Here Now“, das dritte Album der britischen Band „Oasis“; die anstehende Welttournee ist bereits ausverkauft. Von „anachronistischem Neanderthaler-Rock“ bis „definitive Wiedergeburt des Rock ’n‘ Roll“ reichen die Kritikerurteile über die Band der beiden Brüder Liam und Noel Gallagher aus Manchester. Ich muß es zugeben: Als Ziemlich-Über-Dreißig-Jähriger habe ich Probleme mit dem sehnsuchtsvollen Hoffen und Warten auf neue Popscheiben. Die eifrige Rock-Journaille schickt mir immer ihre liebevoll aufgemachten CDs („New Voices“ oder „Sounds of 97“), die mich zum Mitverschworenen im Land der Geheimtips machen sollen. Das würde auch klappen, wären meine Ohren nicht mit im Spiel: Das Meiste ist dritter bis vierter Aufguß von „Nirvana“ oder hoffnungslose „Nick Cave“-, „David Bowie“- oder „Lou Reed“-Imitation. (Was für eine grauenhafte Vorstellung: diese drei machen eine Platte zusammen!) Als ich jedoch kritikerpflichtschuldigst „What’s The Story, Morning Glory?“ von „Oasis“ (Das sind die auf den T-Shirts ihrer Untertertia, Herr Studiendirektor!) hörte, überlief mich ein leiser Schauer, den ich seit der Zeit von beschrifteten Parkas und Räucherstäbchen oft genug vermißt hatte. Satte Gitarren, eine in alle Ewigkeit wiedererkennbare Stimme, einfache, aber geile Akkordwechsel – endlich mal wieder eine Gruppe, die weiß, wie man schnörkellose und ergreifende Songs schreibt (besonders was die Bridge angeht!). Das in Großbritannien umjubelte Debütalbum „Definitely Maybe“ hatte ich zwar nicht verschlafen, es war in seiner rüden Sex-Pistols-Plus-John-Lennon-Mixtur schlicht und einfach nicht so gut wie sein Nachfolger. Daß „Oasis“ in Großbritannien schon bekannt waren, bevor sie ihre erste Single auf den Markt brachten, läßt entweder auf eine superausgefuchste Karriereplanung oder den unbedingten Willen des Publikums nach sowohl unpretentiösen als auch musikalisch begabten Rock ’n’ Roll-Bands schließen. Ich tippe auf letzteres: Auf Fotos und in Fernsehinterviews sehen die Gallagher-Brüder nämlich immer rammdösig und arrogant aus und versuchen konstant, diesen Eindruck auch verbal zu bestätigen. Andere – und vor allem sich selbst – mit provokanten Äußerungen oder physisch gegen den Kopf zu stoßen, gelingt den Brüdern Noel und Liam Gallagher mit links. Höhepunkt der Entgleisungen war übrigens eine Bemerkung Noels, in welcher er dem Leadsänger der Gruppe „Blur“ Aids wünschte. Dazu kommen die bei Rock ’n’ Roll-Journalisten so beliebten Hotelzimmerverwüstungen, Sauforgien, Handgreiflichkeiten und größenwahnsinnigen Sprüche („We’re the best band in the world“). Im letzten Herbst drohte die Band sogar auseinanderzubrechen, weil Leadsänger Liam Bruder Noel im Stich ließ, der die gesamte Tour gezwungenermaßen allein singen mußte. Arme „Spice Girls“, wie lange und hart mußtet ihr proben, um auch nur einen Bruchteil so interessant und frech zu wirken! Nun schnell zur Musik des neuen Albums: Die ausgekoppelte Single und das Eröffnungsstück „All you people“ ist ausgewalztes Beatlesches „Revolver“ – rückwärtslaufende Bänder und jede Menge bedeutungsschwangere Geräusche, getunkt in opulente Gitarren-Breitwand. „My Big Mouth“ verstärkt den Eindruck, hier würden die „Sex Pistols“ eine Sixties-Revival-Band aufmachen; schlichter Lärm plus Tambourin. Dann – vom dritten bis achten Track, das Herzstück des Albums – sechs fein komponierte und ausgeführte Songs, die dem Vorgänger „Morning Glory“ ebenbürtig, wenn nicht überlegen sind. „Magic Pie“ (nicht Magic Bus!) ist eine herrliche Sixties-Reminiszenz inklusive Hey-Jude-Fade-Out. „Stand By Me“ ist gelungener Größenwahn, in welchem „Oasis“ Jugend und Popmusik noch einmal grundsätzlich neu erfinden; „The Girl In The Dirty Shirt“ ist wieder Post-Liverpool mit einem im unteren Register sehr lennonesk wirkenden Liam Gallagher. „Fade-In Fade-Out“ zeigt, daß die Brüder aus Manchester wissen, wie man Blues buchstabiert; „Don’t Go Away“ ist schlicht der perfekte Popsong, von dem viele reden, aber kaum einer weiß, wie er gemacht wird. Dann aber kommt die Hängepartie: „Be Here Now“ ist alberner Hau-RuckRock ’n’ Roll, „It’s Gettin’ Better Man“ nur langweilig und „All Around The World“ fast peinlich. Plötzlich werden eklatante Maschen beim Komponieren sichtbar, die vorher durch Kraft und Geschick des Produzenten nicht offensichtlich waren. Die oft beschworene Magie der Noel-Gallagher-Melodien verflüchtigt sich in pathetischer Wiederholung. Ganz schrecklich dann der Schlußtrack „All Around The World (Reprise)“, der offensichtlich die Fortsetzung von „Sgt. Pepper“ über den Akkorden von „Donovans“ „Atlantis“ sein soll; auch gesampelte Bruchstücke des Orchesters aus „A Day In The Life“ – meine ich vernommen zu haben. Hier kippt das postmoderne Nachkomponieren um in Zitatklauberei und offenbart längerfristige Probleme für „Oasis“. Ein einziger – zugegebenermaßen begabter – Songschreiber ist zuwenig. Bei Bemühung des schon etwas abgenutzten Beatles-Oasis-Vergleich ist das aber immer noch wie die Fab Four ohne McCartney und Harrison. Außerdem sind Noel Gallaghers Texte ohne die dazu gehörige Musik belanglos bis stumpf-pathetisch; Humor darf man mit der Lupe suchen. Dazu das abhanden gekommene Gefühl für Proportionen: 71 Minuten und 38 Sekunden für zwölf, naja, eigentlich elf Songs sind definitiv zu viel. „Sgt. Pepper“ – zum Vergleich – brachte dreizehn, naja, eigentlich zwölf Songs in 39 Minuten und 25 Sekunden. Nun aber Schluß mit dem Gemecker: Seit „Nirvana“ hat es keine bessere erfolgreiche Band gegeben als „Oasis“ aus Manchester. Kein Grund zum Jubeln, aber zum Hinhören und Weiterverfolgen.

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