Im Event-Modus geht eben doch mehr als sonst. Wer weiß, wie viele Besucher zu einem „normalen“ Konzert von Tony Allen, dem Afrobeat-Veteranen, gekommen wären. Als Eröffnungsgast des „Jazz Sommers“ im Bayerischen Hof füllte der 74-jährige Schlagzeuger – nach Vernissage und Empfang – locker den unbestuhlten Festsaal. Der „Film of Life“, eine unlängst auch auf CD veröffentlichte Art musikalischer Autobiografie, die Allen mit seinen sechs afrikanisch-französischen Begleitern abrollen ließ, hatte ein großes Publikum aber auch verdient.
Im Grunde vollendete Tony Allen das, was alle Musik-Minimalisten der sogenannten ernsten Musik seit jeher versuchen: durch den Zauber von Wiederholung und Varianz eine musikalische Sogwirkung zu erzeugen.
So ist sein Beat, sein eigentlich ganz unspektakuläres Schlagzeugspiel, das aber in den durchgehaltenen Grundrhythmus praktisch in jedem Takt hauchzart verschobene Fills, Wechsel und Verlagerungen einbaut, der zentrale Pfeiler. Dann kommen ein wuchtiger E-Bass, eine grelle, hart gerissene Gitarre, fette, kurze Licks von Trompete und Saxofon sowie hymnische, bis zum Sirenenklang gesteigerte Muster von diversen Keyboards dazu. Alles für sich genommen meist grundeinfache Motive, die aber in- und übereinandergelagert eine hypnotische Kraft entfalten. Und variabel genug sind, um Allens Entwicklung vom reinen, klaren Afrobeat über den Soul bis zum rockig Psychedelischen nachzuzeichnen. Nur die politischen Inhalte, die Allen stets damit verbunden hat, blieben weitgehend auf der Strecke. Ohnehin schon kein prägnanter Sänger, war von ihm wenig zu verstehen, weil er es – obwohl eigentlich die beiden besten Mischpult-Männer Münchens den „Jazz Sommer“ betreuen – bevorzugte, sich den Sound von zwei mitgebrachten Tonmenschen verhunzen zu lassen. Ein sozusagen weißes Kontrastprogramm durfte man anschließend unten im Nightclub erleben. Der noch recht junge, aber schon etablierte Pianist Jamie Saft – was man schon daran sieht, dass sich mit dem 63-jährigen Bobby Previte und dem 74-jährigen Bassist Steve Swallow zwei viel beschäftigte Koryphäen bereit finden, in seinem „New Standard Trio“ zu spielen – holt weit in den melodischen, formalen und harmonischen Prinzipien der europäischen Klassik und der jüdisch-arabischen Musik aus, entsprechend seinen ethnischen Wurzeln. Fast opernhaft klingen seine elegischen, zuweilen bis in den Avantgarde-Jazz eines John Zorn vordringenden Kompositionen. Wenn er dann freilich am Schluss, assistiert von Prevites unvergleichlich druckvollem Klöppelspiel und Swallows singendem E-Bass, auf der Hammond-Orgel ein ZZ-Top-Stück zu einer atemberaubenden Groove-Orgie auftürmt, dann ist das, sieht man es komplementär, gar nicht mehr weit weg von Tony Allen. In jedem Fall war der lange Abend ein absolut gelungener Einstieg in den „Jazz Sommer“.
Oliver Hochkeppel
Sieben Konzerte in fünf Tagen, das ist kein großes Jazzfestival, wie es andere Musikstädte haben, aber ein großartiges. Während das Motto früherer Ausgaben des „Jazz Sommer“ salopp gesagt „USA im Hotel Bayerischer Hof“ hätte heißen können, haben Bookerin Katarina Ehmki und Hotelchefin Innegrit Volkhardt jetzt eine Jazz-Tour du Monde vorgestellt: Nigeria, USA, Brasilien, Frankreich und Israel waren dieses Jahr vertreten. Ein sehr improvisationsfreudiger Al Jarreau gestaltete den Festival-Höhepunkt im ausverkauften Festsaal. Im Vergleich zu seinem letzten, eher konventionell wirkenden Münchner Konzert 2011, war der Maestro diesmal wie ausgewechselt, ein Mister 10.000 Volt: Er riss „sein“ Publikum, das alle Hits aus dem Stand mitsingen konnte, sofern der Maestro ihm den Einsatz dazu gab, völlig hin und mit.
Jarreau redete viel, aber wie: Aus Ansagen wurden Wortgedichte, Scat-Gesang oder gar vokale Instrumentals. Jarreaus Dankesworte an die Veranstalterin Innegrit Volkhardt für die langjährige erprobte Zusammenarbeit, oder sentimentale Altersrückblicke wurden durch Jarreaus permanente Wortakrobatik zu einem einzigen, quasi durchkomponierten Stück, in dem Musik, Ansage, Gesang und zeitgemäße Arrangements seiner alten Hits nahtlos ineinander übergingen. Al Jarreau 2015 im Festsaal des Bayerischen Hofs, das war keine Nummernoper, sondern ein Gesamtkunstwerk. Eine sehr persönliche Hommage an den verstorbenen Keyboarder George Duke verband der Vokalartist ganz pietätlos mit Werbung in eigener Sache: „My Old Friend: Celebrating George Duke“ heißt sein aktuelles Album, das er mit Dr. John, Marcus Miller, Dianne Reeves und anderen eingespielt hat. Kunstvoll, die Brubeck/Desmond-Live-Reminiszenzen mit „Take Five“ oder „Blue Rondo a la Turk“ im 9/8-Takt. Von „We’re In This Love Together” bis „So Good“ brachte Jarreau vor allem Eigenes auf die Bühne.
Doch der „Jazz Sommer 2015“ setzte nicht nur auf das Bewährte, Schöne und Gute. Es gab auch Neues. Was der französische Klangmagier Guillaume Perret mit seinen Elektrischen Erzählungen in Flugzeugmotorenlautstärke bot, war neu, originell und überwältigend. Ebenso frisch der „New Soul-Funk“ der israelischen Sängerin Ester Rada mit einer perfekt agierenden sechsköpfigen Truppe aus exzellenten Solisten und Ensemblespielern.
Andreas Kolb