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Amy Winehouse 2008. Foto: Universal
Amy Winehouse 2008. Foto: Universal
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Hotel Suicide oder Club 27

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Zum Tode von Amy Winehouse
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Das Unausweichliche, das Unabwendbare, das Vorhersagbare trat am 23. Juli 2011 ein. Die britische Soulsängerin Amy Winehouse wurde tot in ihrer Londoner Wohnung aufgefunden. Ursache: bis heute spekulativ, uneindeutig und hypothetisch. Drei Beschreibungen, die die letzten Jahre ihres Lebens eng umranden.

Genauer gesagt, die Zeit seit 2006. Damals hatte sie „Back to Black“ veröffentlicht. Ein Soulalbum, das den antiken Soul mit einer aufsehenerregenden Note Zeitgeist in eine komplexe Modernität katapultierte und zahlreiche Nachahmer-Karrieren provozierte. Eine Platte, die Enkel und Großeltern glücklich machte. Es folgten umjubelte Auftritte, Tourneen und Auszeichnungen (u.a. Brit-Award, Grammy). Für Amy Winehouse galt das, was Tom Petty einst in „Into the great wide open“ süffisant, aber warnerisch anmahnte: „The future was wide open“. Nun, welchen Teil von Pettys Mahnung sie nicht verstand, wurde bald deutlich. Die Meldungen über exzessiven Drogenkonsum, durchrauschte Nächte, gemeinsame Eskapaden mit ihrem Mann und Dealer Blake Fielder-Civil gewannen schnell Überhand.

Amy Winehouse stellte die musikalischen Schlagzeilen ein. Wann ihr nächstes Album kommen würde, war von 2006 bis zum ihrem Tod spekulativ, uneindeutig und hypothetisch. Was sie – als Künstlerin – am Leben hielt, waren Skandale, ihr Outfit, ihre Frisur, nächtliche Drogeneinkaufstouren und verwackelte Handyaufnahmen, die ihren unscharfen, vernebelten status quo einfingen. Längst hatte sich der Respekt für die Musikerin Winehouse in Mitleid, Spott und Vergangenheit gewandelt. Von einer Musikerin Amy Winehouse im Präsens sprach niemand mehr. Selbst die Ankündigungen ihres Produzenten Mark Ronson über neue Aufnahmen, Songs und Projekte blieben spekulativ, uneindeutig und hypothetisch. Zu betrachten auch: die Rolle der Eltern, Freunde und Berater. Die allesamt von ihr abhängig waren. Doch nie den Mut aufbrachten, dem defätistischen Treiben eine Ende zu setzen, weil es ihr eigenes gewesen wäre. Stattdessen erreichten ihre Durchhalteparolen Platinstatus, so oft konnte man Sätze wie „Amy ist auf einem guten Weg, sie hat sich nun im Griff und ist wieder motiviert zu arbeiten“ hören. Vorhersagen, die spekulativ, uneindeutig und hypothetisch dahin waberten.

Was bleibt von einem Leben mit 27 Jahren? Ein großes Album mit „Back to Black“. Und die Erinnerung an eine junge Frau, die mutig auftrat. Die einen eigenen Stil kreierte und zu einer unverwechselbaren Figur in der austauschbaren Popwelt wurde. Es bleibt eine armselige Feststellung der Mutter, die einen frühen Drogentod der Tochter – immerhin – befürchtete, aber nicht verhinderte. Es bleibt die Aussicht, bald einen Film über Amy Winehouse zu sehen. Und die zweifelhafte Ehre, eventuell dem „Club 27“ beigetreten zu sein. Jenem Club, der mit Brian Jones (AC/DC), Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison und Kurt Cobain (Nirvana) bereits fünf Mitglieder vorweisen kann, die im Alter von 27 Jahren starben. Zwei wesentliche Voraussetzungen für die Mitgliedschaft sind tödlicher Missbrauch von Alkohol oder anderen Suchtmitteln sowie ein exorbitant nachweislicher Einfluss auf die Rock- und Musikgeschichte. Beide Prämissen treffen bei Amy Winehouse eher nicht zu. Der Tod ungeklärt, die musikalische Schaffenskraft auf zwei Alben reduziert, von denen das erste („Frank“) bisher nicht im Verdacht stand, die Musikwelt revolutioniert zu haben. Die Clubmitgliedschaft für Amy Winehouse bleibt wie vieles in ihren letzten Jahren spekulativ, uneindeutig und hypothetisch. Bewiesen wurde mit Amy Winehouses Tod wieder einmal: Der Eintritt ins Popuniversum kann vieles kosten. In einem etwas anderen Sinn formulierte dies 1994 die Hannoveraner Band Terry Hoax in „Hotel Suicide“: „I know it’s weird, but guests are coming … Welcome to Hotel Suicide, do you wanna wake tomorrow?“ Amy Winehouse konnte nicht mehr auschecken. Schade eigentlich.

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