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Komplex und feinsinnig: Kaja Draksler. Foto: Ssirus W. Pakzad
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Im Jahr der starken Frauen

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Das Jazzfestival Saalfelden mit missglücktem Auftakt und versöhnlicher Bilanz
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Vielleicht sollte es doch mal eine wissenschaftliche Untersuchung geben, die Antworten auf die Frage sucht, warum so viele Jazzmusiker mit Pauken und Trompeten scheitern, sobald sie wohldotierte Offerten erhalten. Sind sie am Ende Opfer ihrer eigenen Ambition?

Das Jazzfestival im österreichischen Saalfelden kann auf eine lange Tradition verunglückter Auftakte verweisen. Jedes Jahr vergibt die Intendanz einen Kompositionsauftrag an einheimische Künstler. Leider war auch das, was es jetzt im Eröffnungskonzert zu hören gab, etwas, das man am liebsten schnell verdrängen würde. Für die 39. Ausgabe des weltweit geachteten Festivals erhielt der in Wien lebende deutsche Klarinettist Ulrich Drechsler eine Carte Blanche und entwickelte daraufhin ein Projekt, das schon in Papierform Schlimmes ahnen ließ.

Er übertrumpfte die Befürchtungen noch. Was er da aufführte, war textlich eine Katastrophe, visuell (Videozuspieler) auch und musikalisch erst recht. Mit einer Koloratur-Sopranistin, einer Popsängerin sowie einer Dame, die ohne Ausdruck schiefe Küchenkalender-Philosophie von sich gab, veranstaltete der sonst doch oft so geschmackssichere Musiker eine unverzeihliche Kitsch-Orgie, die noch lange nachhallen wird.

Dass man mit einem Kompositionsauftrag auch anders umgehen kann, hatte der Kärntner Bassist Lukas Kranzelbinder vor wenigen Jahren in Saalfelden gezeigt. Seine damals für das ­Festival ins Leben gerufene Band ­„Shake Stew“ ist längst Kult – und wurde jetzt wieder eingeladen. Diesmal trat sie mit dem gefeierten englischen Saxophonisten Shabaka Hutchings auf und demonstrierte erneut eindringlich, dass sich selbst aus noch so gegensätzlichen Stil-Elementen etwas sehr Organisches, etwas Zwingendes generieren lässt. Diese Band hat einfach ein Gesicht, einen ganz eigenen Sound.

Den hat auch ein anderer österreichischer Künstler entwickelt, der im Kunsthaus Nexus in der Nebenreihe „Short Cuts“ auftrat: der Klarinettist und Komponist Víncent Pongracz mit seinem „Synesthetic 4“. Aus Hip-Hop-Beats, einer dadaistischen Fantasiesprache, Jazz, imaginärer Folklore und Funk braute er eine furiose wie eigenwillige Mixtur zusammen.

Pongracz gehörte mit seinen Mannen zu den Highlights eines Programms, das erst nach und nach in Schwung kam, das mal angenehm gaga, zunächst aber so ziemlich lala war. Mit dem letzten Tag der Veranstaltung, die auf verschiedene Bühnen und Reihen verteilt war, kam es doch noch zu einer versöhnlichen Bilanz. Saalfelden 2018 war – ein Jahr vor der großen Jubiläums-Ausgabe – ein Festival, bei dem die Gitarristen Marc Ribot oder Raoul Björkenheim, der Schlagzeuger Tomas Fujiwara, der Cellist Erik Friedlander, der Geiger Théo Ceccaldi oder die Band „Little Rosies‘ Kindergarten“ ihr Publikum mit ihren Projekten zu begeistern verstanden. 2018 war in Saalfelden nicht zuletzt ein Jahr der starken Frauen: Die Trompeterin Jamie Branch bot differenzierten Free Jazz, die Pianistin Kaja Draksler überwältigte uns mit dem Bassisten Petter Eldh und dem Schlagzeuger Christian Lillinger unter dem Namen „Punkt.vrt.Plastik“ mit einer hoch intensiven, kompakten, dichten, komplexen wie feinsinnigen Musik. Und dann gab es da noch zwei Sängerinnen, die den Kritikern und den Zuhörern wohl in Erinnerung bleiben werden.

Die zum Münchner Kammerspiele-Ensemble gehörende Schauspielerin Jelena Kuli gab als Frontfrau der rockigen Band KUU alles – und überzeugte stimmlich mit unzähligen Ausdrucks-Nuancen. Und da war noch die Französin Leïla Martial. Sie war vielleicht die Entdeckung des Festivals. Mal singt sie ganz zart, mit diesem sanften Flackern in der Stimme, mal mutiert sie zur Furie. Mit ihren beiden wunderbaren Bühnenpartnern kreierte sie ihre ganz eigene, reizvolle Klangwelt, in die man sich wehrlos hineinziehen ließ.

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