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Tobias Wiklund. Foto: Oliver Hochkeppel
Tobias Wiklund. Foto: Oliver Hochkeppel
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Kaleidoskop mit Drehbuch

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Eindrücke vom gelungenen Neustart des Internationalen Jazzfestivals Münster
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Genau wie ein Jazzmusiker, sollte auch ein Jazz-Festival idealerweise eine eigene Handschrift haben. Das Internationale Jazzfestival Münster trägt die seines langjährigen Leiters Fritz Schmücker und ist wohl vor allem deswegen eines der wichtigen in Deutschland. Schmücker ist nicht nur einer der charmantesten und wortgewandtesten Moderatoren und ein stets beste Laune ausstrahlender Fels in der Brandung eines solchen immer von Unwägbarkeiten begleiteten Großereignisses, er ist vor allen der Garant für Außergewöhnliches. Auf seiner auch nach über 30 Dienstjahren immer noch jugendlichen Neugier und Aufgeschlossenheit, auf seinem Vermittlungswillen und Sinn für Qualität fußt das Programm.

Die „Ästhetik der Kontraste“ ist seine inzwischen vielzitierte Leitlinie. Die Vielfalt des Jazz zu präsentieren, seine unbegrenzten kreativen Möglichkeiten und seine neuesten Errungenschaften, im Zweifelsfall lieber mit Newcomern als mit großen Namen, das hat Schmücker schon gemacht, als der Jazz noch stilistisch weit festgelegter war. Heute geht es eher darum, aus dem Meer des Individuellen Gemeinsamkeiten zu destillieren, um einen spannenden dramaturgischen Bogen schlagen zu können. Das ist nach zwei Corona-bedingten Festival-Ausfällen, also genau genommen drei Jahren Pause, wieder mustergültig gelungen.

Im für dieses Konzept idealen Theater Münster (plus ganz neu der aufgelassenen renovierten Dominikanerkirche mit der eindrucksvollen Pendel-Installation von Gerhard Richter) konnte man drei Tage lang in 19 Konzerten alles in Augenschein nehmen, was den Jazz aktuell so spannend und wegweisend macht. Und das nach Schmückers Willen gerne als erster: allein sechs Deutschland-Premieren, eine Uraufführung und zwei noch nie gesehene „Blind Dates“ waren darunter. Und ein Füllhorn starker Eindrücke. Von der immer noch fast jugendlichen Freejazz-Traditionsbewältigung der erstmal so zusammengefundenen alten Recken Aki Takase, Louis Sclavis und Han Bennink oder der inspirierten und inspirierenden Bartok-Exegese des Trios Lucian Ban, John Surman und Mat Manieri bis zum Jazz-Rave-artigen „Circus“ des Norwegers Paal Nilssen-Love oder dem sensationellen, fast schon überfordernden Klang- und Stilkaleidoskop der Großformation Été Large der Saxophonistin Luise Volkmann (die hier auch mit dem Westfalen-Jazz-Preis ausgezeichnet wurde und als eine Art „artist in residence“ vier Konzerte in unterschiedlichen Besetzungen bestritt).

Vom in seiner Kombination aus Klangkultur und Wucht unerreichten österreichischen Trio Interzone bis zum eher ruhigen Schönklang der neuen Ethan-Iverson-Band mit Eva Klesse und Andreas Lang. Und mit jeder Menge meist aufstrebender Instrumentalvirtuosen wie der israelischen Mundharmonika-Neuerin Ariel Bart, der französischen Bandoneonista Louise Jallu, der belgischen Posaunistin Nabou Claerhout (vielleicht die größte Entdeckung), dem schottischen Pianisten Fergus McCreadie (im Duo mit seinem nicht minder eindrucksvollen Landsmann Matt Carmichael am Saxophon) oder den sich nur in der Wärme ihres Tons ähnelnden Kornettisten Laura Jurd aus England und Tobias Wiklund aus Schweden, die den perfekten Bogen vom Eröffnungs- zum Schlusskonzert spannen durften.

Es ist mehr als ungewöhnlich und erfreulich, wenn ein solcher Musik-Marathon (zeitlich wie thematisch) mit einer an 5.000 Besucher heranreichenden Kapazität schon vorab praktisch ausverkauft ist. In Münster ist das aber kein Wunder: Wenn man sich unabhängig vom persönlichen Geschmack vorstellen kann, von 17 großen Konzerten 15 gleich noch einmal anzuhören, weil sie auf irgendeine Art fesselnd genug waren, dann hat ein Festival alles richtig gemacht.

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