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Mark Turner beim Jazzfestival Frankfurt. Foto: Ssirus W. Pakzad
Mark Turner beim Jazzfestival Frankfurt. Foto: Ssirus W. Pakzad
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Kommunizierendes Röhren

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Das 46. Deutsche Jazzfestival Frankfurt
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Manchen Werken kann die Zeit nichts anhaben: in den rumorigen späten 60er Jahren veröffentlichte Michael Mantler eine Aufnahme, die Geschichte schreiben sollte, sein „Jazz Composers Orchestra“, mit Don Cherry, Pharoah Sanders, Gato Barbieri, Carla Bley, Roswell Rudd und Cecil Taylor, neben anderen. Fünfundzwanzig war der in die USA ausgewanderte Österreicher damals und vielleicht schon so etwas wie ein Visionär. Aber war es eine gute Idee, nun ein „Update“ seines legendären Werks vorzunehmen? Ja, war es. Klug hat Mantler mit neuen kompositorischen Texturen hier und da aufgefüllt, wo ihm der Freiraum für heutige Verhältnisse zu groß schien. Erhalten geblieben ist der Geist von damals, ist die vor einem knappen halben Jahrhundert schon vorhandene eigene Klangsprache des Trompeters und Tonsetzers. Sie ist vielschichtig, differenziert, geschickt aufgefächert, wuchtig und immer wieder durchdrungen von einer schwelenden Bedrohlichkeit.

Beim 46. Deutschen Jazzfestival in Frankfurt hat Mantler sein „Jazz Composers Orchestra Update“ nun zelebriert, mit der grandios aufspielenden hr Big Band unter Christoph Czech sowie diversen Gastsolisten. Als eine Art Bindeglied zu alten Zeiten fungierte Peter Brötzmann. Und einer der Höhepunkte des Konzerts war sicher, wie er sich mit einem der Star-Instrumentalisten aus den Reihen der öffentlich-rechtlichen Jazzer austauschte, dem formidablen Tenoristen Tony Lakatos – kommunizierendes Röhren.

Die für das Mantler-Konzert zu recht gefeierte hr Big Band wird seit vielen Jahren als Aushängeschild ihres Senders (der Veranstalter des Deutschen Jazzfestivals ist) beim Deutschen Jazzfestival ausgiebig in Szene gesetzt. In einem zweiten Programm konnte das Orchester allerdings kaum retten, was Gast-Arrangeur Mike Holober ihnen da vorsetzte. Der Titel „Jazz From Hell“ passte nur in sofern, als sich der Amerikaner höllisch harmlos an Werken von Frank Zappa verging. Nichts war da vom Geist des musikalischen Revolutionärs zu spüren. Mit Holobers Fassung von „Sofa“ hätte die hr Big Band auch problemlos im ZDF-Fernsehgarten auftreten können.

Und da wir gerade bei Flops sind: es war sicher ein ehrenwertes Anliegen, den 50. Geburtstag der „Association For The Advancement of Creative Musicians“, kurz AACM, zu feiern, sind doch viele Lichtgestalten der Avantgarde aus dieser Chicagoer Organisation hervor gegangen, die sich sowohl als Künstlerkollektiv wie auch als eine Art Förderverein verstand. Das derzeitige Treiben in diesem Zirkel verheißt nichts Gutes. Zuerst wurde uns ein a cappella Quartett geboten, das zwar durchaus Lebensfreude zeigte, leider aber eben auch tat, was Chöre nun mal tun: Singen. Da durfte man, wenn man denn ein wenig intonationsverwöhnt ist, wahrlich nicht so genau hinhören. Stilistisch schön bunt war immerhin eine Art Revue, die Trompeter Ben LaMar Gay aus Fragmenten von Scott Joplins „The Entertainer“ entwickelt hatte – aber irgendwie war da kein roter Faden, keine Stringenz auszumachen in dem auch handwerklich dürftigen Programm. So musste ein Trio die Ehre der AACM wieder herstellen, bestehend aus zwei Recken, dem Schlagzeuger Jack DeJohnette und dem Saxofonisten Roscoe Mitchell sowie dem E-Bassisten Matt Garrison. Abgesehen von kurzen Digital-Müll-Durststrecken entwickelten die Drei aus minimalistischen Strukturen immense Energie.

Die war auch im Quartett von Mark Turner, des derzeit wohl besten Tenoristen seiner Generation, zu spüren, obwohl es viel feinnerviger, filigraner musizierte. Was sich da zwischen den beiden eng umschlungenen Bläserstimmen (Avishai Cohen, Trompete) und den Rhythmusleuten - Bassist Joe Martin und der unglaubliche Schlagzeuger Obed Calvaire – abspielte, kann als Lehrstück für Improvisationen herhalten, in denen das Strukturdenken verinnerlicht ist. Famos war in Frankfurt auch ein fast schon unwirklich virtuoses Duo des Sopransaxofonisten Emile Parisien und des Akkordeonisten Vincent Peirani. Im traumwandlerischen, flirrenden Zusammenspiel zitierten die Beiden aus den goldenen Zeiten des Pariser Nachtlebens und tönten doch immer hochaktuell.

Obwohl es „Hope“ heißt, versprach ein Quartett um den Multi-Instrumentalisten Alfred „23“ Harth und des Schlagzeugers Chris Cutler zum Ausklang des 46. Deutschen Jazzfestivals Frankfurt wenig Hoffnung. Das „Konzert“ hatte etwas von einem Kindergarten – jede Tröte mal kurz ausprobieren und dann in die Ecke feuern. Mit dieser Band verabschiedete sich übrigens Peter Kemper als Programmgestalter des Festivals (über drei Dekaden hat er ehrenvoll gewirkt). Mit ihm zusammen hört nun leider auch der HR-Jazz-Redakteur Guenter Hottmann auf, sich um das Image des Deutschen Jazzfestivals zu kümmern. Die beiden haben immer wieder etwas gewagt, wofür man ihnen sehr dankbar sein muss. In Frankfurt wird man sich noch an selige Zeiten mit Kemper und Hottmann erinnern, denn, wie der Flurfunk flüstert, soll die künftige Ausrichtung des Festivals zukünftig deutlich mainstreamiger werden. Wer braucht den so was.     

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