Hüsker Dü war das „missing link“ zwischen Velvet Underground und Nirvana: Die Post-Punk-Band verband den düster-psychedelischen Sixties-Underground mit dem „alternativen“ Seattle-Sound der frühen 90er-Jahre. Für ein paar Jahre waren Bob Mould und Grant Hart die SPEX-Hausheiligen: Die Musiker, auf die sich alle einigen konnten, was immer sie ansonsten für Vorlieben haben mochten. „Zen Arcade“, das Hüsker-Dü-Meisterwerk aus den Mittachtzigern, hat einen festen Platz in der „hall of fame“ diverser All-Time-Rock- und Pop-Charts.
Nach dem Hüsker-Dü-Split gründeten Mould und Hart eigene Bands: Sugar und Nova Mob. Die beiden hatten ein anderes Problem als Eddie Vedder: Sie mussten nicht das Ende eines klar definierten Genres überleben, denn alle Wege führten nach Hüsker Dü, wohl aber das einer Band, auf die sich alle, parasitär und vampirisch, so sehr bezogen, dass die Hüsker-Dü-Musiker als leere Hüllen am Weg zurückblieben. Eddie Vedder verfügte über eine funktionierende Band, aber das Genre, für das sie stand, war tot. Bob Mould und Grant Hart hatten Optionen für einige Künstler-Karrieren, aber nach dem Ende von Hüsker Dü waren sie plötzlich marginalisiert, nur noch eine Sache für Hardcore-Fans und Spezialisten. Gerade Grant Hart, von der Schlagzeug-Maschine im Hintergrund zum Guitarrero-Frontman mutiert, schrieb Hits am laufenden Band – die nur keine wurden. Privates Pech kam hinzu: Ein schwerer Autounfall und unzuverlässige Musiker, die die Band-Baisse zum Anlass nahmen, einfach nicht mehr zu verabredeten Gigs zu erscheinen. Nur im Rückblick fügt sich alles: per aspera ad astra. Vier Jahre war von Grant Hart überhaupt nichts zu hören. Er feilte an seinen Songs, als gelte es, den „Ulysses“ neu zu erfinden. Er ging ins Studio und spielte alle Instrumente selbst: Die Band, die auf „Good News For Modern Man“ so fantastisch harmoniert, besteht aus Grant Hart und seinen Overdub-Klons.
„Good News For Modern Man“ demonstriert, wie komplex – und wie kompliziert! – Genealogien sind. Was zu Hüsker-Dü-Zeiten fast unhörbar in den Drum-Sets verhallte, wird jetzt offensichtlich: Dass nämlich der Songwriter Grant Hart weniger aus Andy Warhols Factory kommt und auch nicht die „doors of perception“ durchschreiten möchte, sondern sich eher an den nur scheinbar taghellen, in Wahrheit aber zutiefst melancholischen „melody makers“ der Sixties orientiert: An den Hollies und vor allem an den Beach Boys – bekanntlich hasste Surf-Sound-Erfinder Brian Wilson nichts so sehr wie Strände.
Der Opener „Think It Over Now“ ist ein aufregendes Brian-Wilson-Double aus dem Jahr 2000: so fröhlich, dass es einen frösteln lässt. Grant Harts unbezweifelbarer Vitalismus ist nichts für die Fun-Society: Die düsteren Ränder ergreifen nicht selten das „Herz“ der Songs und die Lyrics sind voller Fallen. Das kommt daher, dass Grant Hart die Realität, die er beschreibt, nicht so lange ausdünnt, bis sie den Kitsch-, Trost- oder Heilsbedürfnissen leichtsinniger Lebenskonsumenten entspricht. Seine Ästhetik des Augenblicks geht über das „Verweile doch, du bist so schön“ hinaus: „never wish away a moment“. Und: Was geschehen ist, ist geschehen. Du kannst dein Dasein nicht nachträglich flicken und schönen. Du kannst es auch nicht mit einem Mausklick löschen und von vorn beginnen. Alles, was geschieht, hat einen Zeit-Index. Das macht es dramatisch. So wird Grant Hart, der „no future“-Apostel des Post-Punk zum alteuropäischen Humanisten, für den Existenz und Erinnerung ein unzertrennliches Paar bilden. Programmatisch in dem Song „Run Run Run to the Centre Pompidou“, der surrealistisch-zersplitterte und autobiografisch grundierte Reminiszenzen einer verzweifelten Tour de Force durch die verstopfte Pariser Innenstadt zum Tempel der Moderne bietet.
Grant Hart: Good News for Modern Man, Zomba.