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Mit der Stimme des Staatsfeinds

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Verderben Rocker und Rapper die Jugend? Das Beispiel Eminem
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Liegt der Ursprung des Bösen in der Popkultur? Sind Rocker und Rapper für Schulmassaker und Selbstmorde verantwortlich, können die „Kids“ im Pixelzeitalter ihre Fantasien nicht mehr von der Realität unterscheiden? Das Beispiel des weißen Rappers Eminem („Staatsfeind Nr. 1“) lehrt, wie hysterisch die „liberale“ Mittelklasse in Amerika und Europa mittlerweile ist – und dass die „Wissenschaft“ alles beweist, was nicht zu beweisen ist.

Liegt der Ursprung des Bösen in der Popkultur? Sind Rocker und Rapper für Schulmassaker und Selbstmorde verantwortlich, können die „Kids“ im Pixelzeitalter ihre Fantasien nicht mehr von der Realität unterscheiden? Das Beispiel des weißen Rappers Eminem („Staatsfeind Nr. 1“) lehrt, wie hysterisch die „liberale“ Mittelklasse in Amerika und Europa mittlerweile ist – und dass die „Wissenschaft“ alles beweist, was nicht zu beweisen ist. Auch George W. Bush trägt gern ausgewaschene Jeans, Holzfällerhemden wie einst Kurt Cobain und Lederjacken, mit denen er in seiner Jugendzeit zur Not als „wild one“ durchgegangen wäre. Abends am Kamin greift er zur Gitarre und betört die Gattin mit Presley-Balladen. Was er anscheinend ganz vergessen hat: dass jeder Auftritt von „Elvis the pelvis“ in den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts den Untergang des Abendlandes annoncierte, dass sich in seinem Hüftschwung die sexuelle Revolution verbarg und dass sein Becken per se so pervers war, dass nur noch ein Doppelbeschluss die ansonsten unaufhaltsame Verderbnis der Jugend stoppen konnte: Mr. Presley wurde vertraglich verpflichtet, sich nicht so aufrührerisch zu bewegen; und die Kameraleute mussten sich auf die staatstragenden Regionen jenseits des Bauchnabels beschränken.

Ein halbes Jahrhundert später gehört Elvis längst zu den Guten, aber die Fronten stehen wie am ersten Tag. Nur dass die Zeiten härter und die Paradoxe so paradox geworden sind, dass das Schwanken zwischen Gutsein und Gewinn die gewieften Seelen der „moral majority“-Aktivisten von god’s own nation schier zu zerreissen droht: Einerseits ist nichts so notwendig wie die tägliche Rendite, andererseits ist sich die fernsehpredigende und jugendschützende Rechte mit dem „Gottseibeiuns“ Brecht darin einig, dass das Übel in der Welt nicht nur eine Ursache hat, sondern auch Name, Anschrift und Gesicht.

Die „Lösung“ scheinen die Sticker auf den Album-Covern zu versprechen, welche („parental advisory“) die Eltern vor „explicit lyrics“ warnen. So werden die Gewissen beruhigt und die Gewinne der Industrie doch nicht geschmälert: denn der Hinweis auf das Böse steigert nur das Begehren; jeder Rapper, dem das „parental advisory“ verwehrt wird, müsste die „moral majority“ wegen Geschäftsschädigung und übler Nachrede verklagen.

Natürlich stehen alle „Diagnosen“ aufgeregter oder auch nur karrierebewusster Medienwissenschaftler, Pädagogen, Politiker und Journalisten über die fatale Wirkung von Bildern und Tönen auf Kinder- und Jugendpsychen auf einer prekären Grundlage. Die Analyse realer Verhältnisse, dessen, was man früher „strukturelle Gewalt“ genannt hat, wird bewusst vermieden. Die Verwüstungen und Verletzungen, auch die Verwahrlosung, die eine Folge von Egoismus und Konkurrenz, oder genereller: von Macht-Asymmetrien sind, werden ausgespart, die Ursachen in den Bereich des Imaginären und Symbolischen, also der Vorstellungen und Kodes und deren „Beschädigungen“ durch die Medien verschoben. Als wäre es das Hauptproblem der doch gerade in dieser Hinsicht sehr versierten, nachwachsenden Generation, zwischen Fakten und Fiktionen nicht unterscheiden zu können.

Die „Beweisführung“ der Wissenschaft bewegt sich auf dem trostlosen, aber mittlerweile allgemein akzeptierten Niveau einer systematischen Verwechslung von „post hoc“ und „propter hoc“. Also: Der Attentäter oder Selbstmörder hat vor seiner Tat ein bestimmtes Video gesehen oder einen bestimmten Song gehört; daraus „folgt“ dann: Video oder Song waren kausal verantwortlich für die Tat. Und was hat er vor der Tat noch getan? Einen Tierfilm gesehen, Spinat gegessen, ein Vaterunser gebetet? Alles Ursachen? Und selbst avanciertere Argumentationen, die darauf hinweisen, dass das Szenario oder die Waffe eines Täters einem „Vorbild“ entsprächen, verwechseln die Form, die eine Tat annimmt, mit ihren Ursachen.

Warum aber zieht ausgerechnet Eminem, so viel staatstragenden Hass auf sich? Warum erscheint er gefährlicher als seine schwarzen Kollegen? Nun, die Songs der „Neger-Rapper“ sind zu sehr Hollywood oder Ghetto, sie folgen drei durchschaubaren Strickmustern. Die einen beschränken sich aufs pure Posing: Ihre „rhymes“ machen ausschließlich Propaganda für die eigene Poesie und, mehr noch, Potenz. Die anderen, die „Gangsta-Rapper“, folgen immer noch dem Muster, das einst Ice-T oder Ice Cube vorgaben, sie glorifizieren eine Ghetto-Gewalt, die ihre Attraktivität spätestens dann verloren hatte, als immer mehr HipHop-Stars der schnellen Kugel zum Opfer fielen. Und die dritten, die Edutainment-Rapper à la „Public Enemy“, die schwarzes Selbstbewusstsein predigen, verkörpern klassische „race-music“, sind also Stimme der Minderheiten.

Eminem alias M. Mathers aber ist ein verlorener Sohn. Er zerstört als ein böserer Harald Schmidt der amerikanischen Mittelklasse, der zu rappen begonnen hat, die hohlen, vergifteten und gewalttätigen Werte und Normen der eigenen Schicht. Seine virtuosen Raps sind Zerrspiegel, die manches bis zur Unkenntlichkeit entstellen. Die „böse“ Missachtung der Sprachregelungen entfaltet eine subversive Kraft. Er raubt Amerika die Grundlagen seiner Selbstgerechtigkeit. Das tut wirklich weh. Und die Musik, die er zusammen mit dem schwarzen HipHop-Superstar Dr. Dre entwickelt, ist von einer Vielfalt und Kraft, die berauschend wirkt.

Eminem: The Eminem Show
Motor Music/Universal.

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