Europa hat nun sein erstes Rock- und Popmuseum. Seit 21. Juli 2004 können sich Besucher über Popmusik, Popkultur und Popidentität informieren. Doch nicht Berlin, Hamburg oder München wurde als Standort gewählt. Die westfälische Stadt Gronau sollte es sein, nahe der niederländischen Grenze. Denn Udo Lindenberg, oft missbrauchtes Kultur-Schutzschild und gebürtiger Gronauer, darf als geistiger Vater des Museums bezeichnet werden. Mit Musikerkollegen hatte er vor einigen Jahren die Idee, Popmusik ins Museum zu bringen. Aber nicht nur um Devotionalien zu bestaunen, sondern auch mit dem Anspruch neue Konzepte und Diskussionen in das Thema Musikvermittlung zu bringen. So war es geplant.
Doch der Weg zur Eröffnung war kein leichter. Dreimal mussten die Gronauer Museumsmacher um Geschäftsführer Andreas Bomheuer den Eröffnungstermin verschieben. Schuld daran waren Finanzierungsprobleme, technische Schwierigkeiten oder die Gronauer SPD, die das Projekt, das sie einst mit abgesegnet hatte, wieder stoppen wollte. Natürlich gab es für die Ruderaktionen stichhaltige Gründe, denn in einer von der Marktwirtschaft nicht gerade geküssten Stadt wie Gronau (46.000 Einwohner) ein derartiges Millionenprojekt zu realisieren, bedeutet ein glasklares Risiko. So musste die Stadt zirka zwei Millionen Euro für den Umbau der Turbinenhalle aufbringen, in der sich das Museum befindet. Insgesamt kostete der Bau zehn Millionen Euro, wobei sich das Land und der Kreis beteiligten. Voraussichtlich muss die Stadt für das Jahr 2004 weitere 900.000 Euro für das Museum aufbringen. Das ist ein Prozent des städtischen Haushalts und in der Summe das Vierfache dessen, was anfänglich vorgesehen war.
Dennoch scheint es der Stadt weiterhin geradezu unausweichlich zu sein, in das Museum zu investieren. „Trotz mancher Planungsfehler muss das ein Erfolg werden“, sagt etwa der Grüne Parteisprecher Karl-Heinz Hoffmann-Hansen nach einem Bericht der taz, „denn die Fördergelder könnte die Stadt doch gar nicht zurückzahlen“. Zudem wirkt Gronau nicht wie eine Metropole, liegt scheinbar unerreichbar im Niemandsland zwischen Münster und Holland. Man muß also Akzente setzen und Kooperationen suchen um das Konzept der Ausstellung („Zusammenspiel von Erlebnis und Information“) mit einem unverwechselbaren Gronauer Profil zu versehen und zu verkaufen. Schnell könnten sich bei handwerklich dilettantischer Arbeit Nachahmer mit vielleicht potenterer Politik- oder Wirtschaftslobby finden. Dann wäre Gronau wieder Gronau.
So wurde Konzept treu viel in die multimediale Besucher-Betreuung gesteckt. Auf 800 m² wird der Besucher im High-Tech-Verfahren an Popkultur vorbeigeführt oder zum Verweilen animiert: groß- und breitflächige Videoleinwände mit Einspielungen bedeutender Konzerte oder Trance artige Videocollagen empfangen den Besucher in der zentralen Halle der Dauerausstellung. Im Zeitraffer werden prägende Konzerte in die Halle projiziert. Eine erste Begegnung mit vielen Stars der Popgeschichte.
Jene ist wiederum in Eckpfeiler beziehungsweise Collagenwände unterteilt, hält zeitgeschichtliche Erinnerungsstücke (Sounds, Filme, Plakate, Fotos) bereit oder offeriert mit Hilfe hochmoderner Touchscreens mehrsprachige Informationen zur Epoche (unter anderem Black Music, Mainstream der Achtziger, DDR-Popzusammenhänge, Popkultur im Angesicht der NS-Diktatur, Elektronische Musik), soziokulturelle Texte oder schildert Einflüsse auf und aus anderen gesellschaftlichen Bereichen. Nebenbei sind kleine Anekdoten, Skandale und Musikbiografien von Künstlern abrufbar und Schubladen zu öffnen, in denen Exponate und dazu passende Sounds gelagert sind. Ferner gliedert sich das Museum in Themenschwerpunkte wie „Emotionsbereich“ (sinnliche Erfahrungen) oder „Rhythmusbereich“ (der Besucher kann an Rhythmus Stationen interaktiv verschiedene Rhythmen anwählen und anschießend selbst spielen).
Gronau treibt bewusst einen großen Aufwand, Popmusik in ein modernes, nicht staatlich verordnetes Gewand zu stecken. Dass der Weg U-Musik neben E-Musik gleichwertig zu installieren noch ein weiter ist, steht außer Frage. Doch die Gronauer Ambitionen Schulklassen als Besucher zu locken und auch Lehrern Popkultur einmal anders als auf dem Lehrplan näher zu bringen, scheinen eine verführerische Idee. Allein die Umsetzung dürfte zumindest aktuell noch Schwierigkeiten bereiten. Denn die vorhandenen und „ausgestellten“ Pop-Epochen sind – fast wie beim Schullehrplan – die plakativsten (Marlene Dietrich, Udo Lindenberg, Beatles und so weiter). Schmerzlich vermisst man das Fehlen und die exakte Aufarbeitung der jüngsten Jugend prägenden Popbewegungen wie Techno, Rap, Hip-Hop oder Grunge, die leider nur exemplarisch erwähnt werden. Hier fehlt eine Zeitschiene und Geschichte, an der jüngere Besucher noch leibhaftig mitwirkten und deren Auswirkungen bis 2004 reichen und selbst Eltern oder Lehrern näher sein müsste als die Vorzeigemodelle Beatles, Stones, Elvis oder Deep Purple. Ein wenig mehr Subpopkultur würde man sich wünschen. Und mehr Platz für Phänomene wie die deutsche alternative Popmusik der letzten fünf Jahre mit Künstlern, die Deutsch als Muttersprache wieder entdecken.
Davon abgesehen könnte das Rock’n’Pop Museum Gronau als Musikvermittlung und Bewusstseinserweiterung zwischen Generationen und Popkultur funktionieren. Wenn alle involvierten mitziehen: Politik, Wirtschaft, Lobbyisten, Phonoindustrie, Kulturträger, Kreative. Vielleicht ist Gronau der letzte Strohhalm.