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Relaxtes Powerplay: Jack DeJohnette. Foto: Susanne van Loon
Relaxtes Powerplay: Jack DeJohnette. Foto: Susanne van Loon
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Musik ist geglückter Augenblick

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Jazzfest Berlin vereint alte und neue Strömungen der Improvisation
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„Die improvisierte Musik bleibt 2013 integraler Bestandteil des Jazzfestes Berlin.“ Mit diesem Satz war im Programmheft die Präsentation dreier „Working Bands“ des Saxophonisten und Klarinettisten Ernst-Ludwig Petrowsky zu dessen 80. Geburtstag am 10. Dezember angekündigt worden. Die unfreiwillige Komik war der Redaktion des ansonsten sehr ambitioniert gemachten Programmheftes, das auf jede lobhudelnde Programmheftlyrik verzichtete, entgangen. Tatsächlich steckt aber in jedem Freudschen „Verschreiber“ Wahres: Die hohe Kunst der Improvisation, eine Bestandsaufnahme 2013 – so hätte das Jazzfest Berlin ohne Weiteres übertitelt werden können.

Das zeigte sich eben nicht nur bei Petrowsky oder dem Zentralquartett, sondern auch – um nur einige herausragende Konzerte zu nennen – beim meisterlich aufspielenden Jack DeJohnette und seinem Ensemble, beim zum Tanzen hinreißenden Powerplay aus Funk und Klezmer von David Krakauer, Fred Wesley und Socalled oder bei der passionierten Chet Baker Hommage von Bassist Riccardo del Fra. Selbst das auskomponierte „Big Circle“-Konzert von  Michael Riessler stellte das Improvisieren aufs Podest: Riessler benutzte die determinierte Musik einer die Lochstreifen-Drehleier – dem Prototyp einer Musikmaschine – als Basis für ein furioses einstündiges Bassklarinetten-Solo.

Seit seiner Gründung im Jahr 1964 hatte das Jazzfest Berlin sieben künstlerische Leiter: Auf den Gründer Joachim-Ernst Berendt folgten George Gruntz, Albert Mangelsdorff, Nils Landgren, John Corbett,  Peter Schulze und Bert Noglik, Musikjournalist, Radiomacher und  langjähriger Leiter der Leipziger Jazztage (1992 bis 2007). Auffällig ist, dass sich Publizisten und Musiker in regelmäßiger Unregelmäßigkeit abwechselten. Und so pendeln etwas verkürzt ausgedrückt die programmatischen Pole zwischen dem System „The Musician and his Friends“ und „Konzeptkunst“. Aufregende Musik gab es fürs Publikum unter allen sieben Chefs und auch 2013 hieß es wieder „ausverkauft“ bei fast allen Konzerten. Es war das zweite Jahr von Bert Noglik, der seine Themen noch klarer und präziser formulierte als im Vorjahr. Programmlinien wie Porträtkonzerte, wie Länder- und Kontinentschwerpunkte sind Gefäße, die Noglik äußerst qualitätsvoll befüllte und damit auch Vorfreude auf den 50. Jazzfest-Jahrgang 2014 weckte.

Einige ausgewählte Beispiele mögen fürs Ganze stehen: Nachdem 2012 Julia Hülsmann ihr Projekt „Remembering Jutta Hipp“ vorgestellt hatte, folgte 2013 das Ilona Haberkamp Quartet mit einer weiteren Hommage auf die Leipziger Pianistin „Cool is Hipp is Cool“. Immer dabei: einer der Kühn-Brüder. Während bei Hülsmanns Hipp-Hommage der Klarinettist Rolf Kühn eine tragende Rolle spielte, erhielt dieses Jahr sein jüngerer Bruder, Joachim Kühn, eine Plattform. Kühns Projekt fürs Jazzfest 2013 war „Calling Africa“ überschrieben: eine Serie von Konzerten des Leipziger Pianisten mit verschiedenen Musikern afrikanischer Provenienz.

Bert Noglik ist ausgewiesener Experte für Musik aus Südafrika, Polen und natürlich der ehemaligen DDR. Für die beiden letztgenannten Musikländer standen 2013 das Quartett des Pianisten Michal Wróblewski mit Terence Blanchard als Gast und die Geburtstagshommage „Vom Ruf der Heimat  zum Zentralquartett“ an den Saxophonisten und Klarinettisten Ernst-Ludwig Petrowsky: eine bemerkenswerte Gesamtschau eines sublim-widerständigen und dennoch – zumindest bis zur Wende – beinahe populär zu nennenden Freejazz, die leider vom Festspielhaus an die Akademie der Künste am Hanseatenweg verbannt wurde, wo sie wie ein in die Jahre gekommenes Familientreffen der Bürgerrechtsbewegung, Abteilung Freejazz, anmutete. Die Standbilder wurden zurecht verehrt, die jungen Improvisatoren fehlten jedoch.

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