Noch wird moralisch aufgerüstet und die Reinheit der Species und der Genres beschworen. Aber die Zukunft gehört mit voraussehbarer Sicherheit transgenen Chimären: „organlosen Körpern“, von denen der gespenstische Surrealist und Hieronymus Bosch-Klon Artaud genauso fantasierte wie, auf einem technoideren Level, der Performance-Künstler und Wissenschafts-Futurist Stelarc. Die Biologen basteln an Äffchen, deren Eiweiß leuchtet wie das fremdartiger Tiefseebewohner und dass die Mensch-Maschinen die Evolution des Homo sapiens fortführen und ihr „natürliches“ Biotop im Cyberspace und WorldWideWeb finden, daran zweifeln nur noch Kulturkritiker, die ihre Reservate für „die“ Welt halten.
Chimären Noch wird moralisch aufgerüstet und die Reinheit der Species und der Genres beschworen. Aber die Zukunft gehört mit voraussehbarer Sicherheit transgenen Chimären: „organlosen Körpern“, von denen der gespenstische Surrealist und Hieronymus Bosch-Klon Artaud genauso fantasierte wie, auf einem technoideren Level, der Performance-Künstler und Wissenschafts-Futurist Stelarc. Die Biologen basteln an Äffchen, deren Eiweiß leuchtet wie das fremdartiger Tiefseebewohner und dass die Mensch-Maschinen die Evolution des Homo sapiens fortführen und ihr „natürliches“ Biotop im Cyberspace und WorldWideWeb finden, daran zweifeln nur noch Kulturkritiker, die ihre Reservate für „die“ Welt halten. Faszinierende Konsequenzen hat das neue Chimärentum auch im Bereich der Kunst. Mit den diversen „Fusions“, die vor allem in den 60er- und 70er-Jahren grassierten, hat das nichts zu tun: damals kam zusammen, was nicht zusammen gehörte, weil die Ambition der Künstler größer war als ihr Geschmack und ihre Kreativität. „Classic-Rock“ oder „Rock-Jazz“ waren Produkte der Unzufriedenheit von Musikern mit ihrer sozialen Reputation. Sie glaubten, Anerkennung zu finden, wenn sie demonstrierten, dass Rock mit Klassik oder Jazz kompatibel ist oder, dasselbe Spiel, nur eben auf der Seite der Arrivierten, dass Jazz und Klassik so „sexy“ und subversiv sein können wie der gerade „angesagte“ Gitarren-Machismo. Das Resultat war der kleinste gemeinsame Nenner, eine im besten Fall rührende Seichtheit.Das neue Chimärentum geht nicht auf Kosten der Differenz, sondern betont sie. Radiohead etwa, im weitesten Sinn Maestri des 90er-Jahre-Brit-Pop, der selbst schon hoch-referenziell war, nämlich den Mersey-Sound der Sixties auf unverwechselbare und souveräne Weise zitierte, haben sich nie als Beat-Band im Stadium medialer Selbstreflexivität verstanden, sondern als offene Kunst-Kommune, in deren „Factory“ alles Platz findet, sofern es sich nur zerlegen und bearbeiten lässt. Radikaler noch als Nirvana, die ja auch Massen-Appeal durch Verweigerung gewannen, setzten Thom Yorke und Co. auf Demontage und Bruch. „OK Computer“ (1997) galt manchen britischen Pop-Magazinen als wichtigstes Album „ever“, verkaufte fast fünf Millionen Stück und zwar paradoxerweise indem es den Irrsinn einer multimedialen Welt ohne Authentizität techno-virtuos beschwor. Bei Radiohead gab es drei Gitarristen und die Band setzte sich für sämtliche Graswurzelrevolutionen der Globalisierungsgegner ein und doch entstand in sich permanent überlagernden Loops der chimärische Sound eines neuen transhumanen Jahrtausends. Und wie Kurt Cobain wollte sich Thom Yorke weigern, ein Star zu sein. Das filmische Tour-Tagebuch „Meeting People Is Easy“ des Video-Regisseurs Grant Gee geriet zu einer Warhol’schen Beschwörung eines sich unablässig wiederholenden Alltags und zu einem anti-babylonischen Pamphlet. „Kid A“, das neue, nach vielen Geburtswehen endlich auf den Markt geworfene Album (bei EMI), sollte ein virtuoses Kommerzialitäts-Verweigerungs-Dokument aus dem Geist bohemistischen Künstlertums sein und landete doch sofort auf den ersten Plätzen der Charts. Das ist erstaunlich: denn Thom Yorke ist wirklich eine betörend düstere, zerrissene Rock-Oper aus Songs und Sounds gelungen, die demonstriert, dass sich Radiohead längst weniger auf die Beatles als auf die Kraut-Rock und -Elektronik-Avantgarde der 70er-Jahre von Can bis Kraftwerk, auf Ambient-Pioniere wie Brian Eno oder das neue Techno-Mönchstum von Aphex Twin oder DJ Shadow beziehen. Dass in diesem Abbruch-Universum aus lauter irritierenden Fragmenten selbst Brass-Jazz seinen Ort finden kann, überrascht dann nicht mehr.
So wie Radiohead chimärischen Post-Beat, so machen Labradford auf „Fixed-Context“ (Mute) gespenstisch-suggestiven Post-Rock: Morton Feldman oder John Cage sind hier näher als Metallica, obwohl selbst die wüst durchscheinen können, aber die dissonante Kammermusik erscheint hier als kaputter Jenseits-Sound der, zerstückt und aneinander gereiht, hypnotisch wirkt. In diesem chimärischen Neo- oder Trans-Pop, der keine Rang-Unterschiede zwischen Genres, aber auch zwischen Sounds und Stilen mehr gelten lässt, sondern alles auf gleichgültige Weise fragmentiert und neu kodiert, entsteht eine in den Alltag eindringende, paradoxerweise sehr körper- und umweltbezogene Maschinenmusik.
Demgegenüber wirkt Fatboy Slim fast schon old-fashioned. Denn sein DJ-ing, das die happy few von Madonna bis Robbie Williams verzauberte und zu nachhaltigen Kooperationen animierte, setzt auf starke Kontraste: vor allem der maschinellen Körper-Beats aus den funktionalen Discos der 90er mit dem Ältesten, was es gibt: Stimmen, „Soul“, Sentiments. So wie ein Virus ein Gen von einem Organismus zu einem ganz anderen transportieren und dort einbauen kann, so verfährt Norman Cook mit den Geschichten und Intensitäten, die in R’n’B und Soul stecken und im vergangenen Jahr als RetroNuevo eine ungeahnte neue Karriere begannen. Das Vermittelnde – und das macht vermutlich den coolen DJ und Starproduzenten aus – sind die kleinen Effekte, die fast schon unter die Hörbarkeitsgrenze rutschenden Sounds und Gimmicks. „Halfway Between The Gutter And The Stars“ (Epic/Sony) ist beste Disco-Ware, die auch in anderen Kontexten genieß- und dekodierbar ist. Sie hat aber mit dem fatalen Umstand zu kämpfen, dass niemand so „tot“ wirkt wie der, der gerade einige Tage und Nächte auf allerhöchstem Intensitäts-Level verbracht hat und dass nichts so leicht und so rasch „verdächtig“ erscheint wie das, was eben noch ganz unbezweifelbar schien.