„Man muss absolut modern sein!“ Das bilderstürmerische Motto der Avantgardisten-Ikone Rimbaud wurde zum Leitmotiv der ästhetischen Bewegungen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, die vor allem eins sein wollten: up to date, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Und selbst der vergleichsweise coole Bert Brecht befand, dass man sich besser am schlechten Neuen als am guten Alten orientiere. Im Lande Pop verband sich dann die Überbietungs- und Aktualitäts-Ästhetik noch mit den Gesetzen des Marktes, der nur ein Regime zu kennen scheint: das der „nouveauté“. Nichts ist so alt wie die Neuheit von gestern: das kann rasch zum Problem werden für die Helden und Herrscher der letzten Saison. Wer nicht einfach verschwinden oder in engen Genre-Nischen überleben will, der muss sich etwas überlegen. „Relaunch“ heißt das Zauberwort post-moderner Ökonomie und PR-Kunst.
„Man muss absolut modern sein!“ Das bilderstürmerische Motto der Avantgardisten-Ikone Rimbaud wurde zum Leitmotiv der ästhetischen Bewegungen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, die vor allem eins sein wollten: up to date, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Und selbst der vergleichsweise coole Bert Brecht befand, dass man sich besser am schlechten Neuen als am guten Alten orientiere. Im Lande Pop verband sich dann die Überbietungs- und Aktualitäts-Ästhetik noch mit den Gesetzen des Marktes, der nur ein Regime zu kennen scheint: das der „nouveauté“. Nichts ist so alt wie die Neuheit von gestern: das kann rasch zum Problem werden für die Helden und Herrscher der letzten Saison. Wer nicht einfach verschwinden oder in engen Genre-Nischen überleben will, der muss sich etwas überlegen. „Relaunch“ heißt das Zauberwort post-moderner Ökonomie und PR-Kunst.Lo-Fi war seit den späten 80er-Jahren eine der ästhetisch erfolgreichsten oder zumindest folgenreichsten Indie-Strategien. Dem Produktions- und Werbe-Overkill wurde konsequenteste Reduktion entgegengesetzt: „homerecording“ sollte sich der Kontrolle entziehen und Unerhörtes zu Gehör bringen, die „nackte Wahrheit“ sollte zum Vorschein kommen, wenn man nur auf allen Schnickschnack verzichtete. Jetzt, ein gutes Jahrzehnt später, ist zwar Lo-Fi nicht mehr Mode oder „Jugendbewegung“, aber erstaunlicherweise immer noch zu Überraschungen und Innovationen fähig. Das gilt für Smog genauso wie für Will Oldhams diverse Palace-Projekte und neuerdings für seine Kooperation etwa mit Johnny Cash. Auch Mark Linkous geht einen ähnlichen Weg wie Oldham: den der Zusammenarbeit beziehungsweise der Freilegung bis dato verschütteter Zusammenhänge. So singt auf dem dritten „Sparklehorse“-Album „It’s a wonderful life“ (bei EMI) zum Beispiel B.P.J. Harvey, die selbst gerade, Björk vergleichbar, ihre experimentellen Erkundungen Mainstream-tauglich gemacht hat und, auf „Dog Door“, Tom Waits, dessen „Rain Dogs“-Album für viele Lo-Fier und besonders für Linkous eine Art Initiations-Erlebnis war. „Dog Door“ ist kryptischer und sinistrer Blues im klassischen Waits’schen Rumpel- und Röhr-Stil, nur vielleicht noch kruder durch Linkous‘ Vorliebe für seltsame Geräusche und eine geradezu abgründige Sanftheit. Die findet sich auch auf „Gold Day“, seiner Kooperation mit der Cardigans-Sängerin Nina Persson, einem verstörenden Lullaby der etwas anderen Art, wo vieles wie aus dem Unbewussten oder Nacht-Gespenstischen heraustönt.Sehr viel rationaler und scheinbar entseelter klingt die neue CD von Richie Hawtin („DE9: Closer To The Edit“, bei Virgin/Mute), der seit mehr als einem Jahrzehnt der Maestro reduziertesten Detroiter Minimal-Technos ist. Reduziert? Nur, was die Klarheit und Konsequenz der Konzepte und den scheinbar durchlaufenden Oberflächen-Flow angeht. Produktionstechnisch und strukturell ist Hawtin mehr denn je von äußerstem Raffinement. Hundert Samples hat Hawtin „gesplittet“ und abgespeckt. Übrig geblieben sind 300 verschiedene Loops: musikalische Miniaturen, die Hawtin nicht nur neu montierte (das haben längst andere vor ihm getan), sondern auch durch De-Kontextualisierung, permanente „Überschreibungen“ und Effekte so „verklebte“, dass sie vollkommen anders gelesen werden müssen. Ein Meisterwerk des „Relaunchs“, das vorführt, was an Neuem entstehen kann, wenn man die Entdeckungen des letzten Jahrzehnts, ja in gewisser Weise sogar den Sound-Puzzle-Kosmos der Post-Moderne generell eindampft.
Auch Karl Francis alias Dillinja, die Legende des Drum’n’Bass-Undergrounds der 90er-Jahre stand vor dem Problem, wie er das (angebliche!) Ende dieses einst gehypeten Genres überleben sollte. Ihm half eine Kenntnis der Bestände und die Bereitschaft, Tabu-los mit ihnen umzugehen. Sozialisiert wurde er im South London der Endachtziger durch die Jazz-Sammlung seiner Mutter, später kamen dann Roots-HipHop und Elektro hinzu, bevor er den „warmen, tiefen Bass-Sound“, wie er heute noch sagt, zu seiner Sache machte. Selbst Goldie nannte ihn, ohne Einschränkungen, „den Bass-Forscher der 90er-Jahre“. Der Nach-Millenniums-Dillinja sucht einen Ausweg aus der Krise durch Annäherung an die everlasting 70er-Jahre: die satten und heftigen Sound-Architekturen auf „Cybotron“ (bei WEA) sind, anders als Hawtins Sample-Labyrinthe, nicht entsentimentalisiert, sondern suchen Body und Soul dort, wo sie am klischeehaftesten auftreten: in der Disco. Die vitale Macht verdankt sich auf dieser neuesten Post-Drum‘n’Bass-Spielart den Wünschen und Sehnsüchten, die offenbar dann besonders „potent“ sind, wenn sie durch Vorbereitung schon Code beziehungsweise Bild geworden sind.
Noch ein Relaunch, wenn auch der etwas anderen Art: „Station 17“, das Hamburger Projekt, das mit Genie und Wahnsinn nicht nur spielt, sondern beide durch eine „befreite“, kollektive Praxis im (musikalischen) Alltag zu entdämonisieren trachtet. Nach mehr als einem Jahrzehnt und vier musikalisch sehr unterschiedlichen Alben, die von heftig improvisierendem Post-Jazzrock unter dem Einfluss Holger Czukays über „groovenden Krautrock-Underground“ (Spex) bis zu „loopigen“ und „frickeligen“ New Electronica-Experimenten reichten, zieht Station 17 Bilanz: „Hitparade“ (Mute/Virgin) ist aber kein schlichtes „Best of“-Album und sehr viel mehr als die gerade modischen Remixe. Der Versuch nämlich, das ästhetisch auszureizen, was immer schon Arbeitsgrundlage war: Kooperation; ein Zusammenkommen und Sich-Weiterentwickeln des Differenten. Von Kreidler bis to rococo rot, von Thomas Fehlmann bis FM Einheit, von DJ Koze bis Steve Bug haben sich die diversen Maestri der deutschen elektronischen Szene, die in den meisten Fälle auch alte Freunde der „Station 17“-Musiker sind, der alten Songs und Sounds angenommen. Und zumindest die „Ich und Ich“-Version von denyo 77 hat, wie Marketing-Strategen sagen würden, Hit-Potenzial.