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Natürlich ist Kunst Kode: ein Reich der Zeichen, das nicht die Welt selbst, sondern ihr Reflex ist; künstlich, also hergestellt; virtuell, also ohne „eigene“ Schwerkraft und Tragik, flirrend und voller Referenzen auf alles, was es sonst noch gibt. Ihr Innerstes aber ist das Gegenteil von Kode: Physiologie und Physiognomie; der ganze Apparat an Wünschen und Ängsten, Gesten und Dramen, der ewig zu sein scheint und doch Produkt von Evolution und Geschichte ist.
Johnny Cash, der schon mehrere Leben und Karrieren hinter sich hat, der längst eine Ikone mit mehreren Identitäten ist, weiß, dass alles von weit her kommt und viele Voraussetzungen hat. Auf „Solitary Man“ (American Recordings/Columbia), dem gefeierten Abschluss der Americana-Trilogie, die sich seiner Kooperation mit dem Produzenten Rick Rubin verdankt, singt er davon, dass es Songs schon gab, lange bevor irgend jemand etwas von Radio wusste – von MTV und Napster ganz zu schweigen! – und dass die Liebe nicht mit Mr. Cash auf die Welt kam und auch nicht mit ihm verschwinden wird. Johnny Cash beschreibt die dunkle „backside“ von Niklas Luhmanns „Liebe als Passion“: love, devotion, surrender nicht als Gesellschaftsspiel und Zeichensystem, sondern als das Schicksal roher Körper und reiner Seelen.

Natürlich ist Kunst Kode: ein Reich der Zeichen, das nicht die Welt selbst, sondern ihr Reflex ist; künstlich, also hergestellt; virtuell, also ohne „eigene“ Schwerkraft und Tragik, flirrend und voller Referenzen auf alles, was es sonst noch gibt. Ihr Innerstes aber ist das Gegenteil von Kode: Physiologie und Physiognomie; der ganze Apparat an Wünschen und Ängsten, Gesten und Dramen, der ewig zu sein scheint und doch Produkt von Evolution und Geschichte ist.Johnny Cash, der schon mehrere Leben und Karrieren hinter sich hat, der längst eine Ikone mit mehreren Identitäten ist, weiß, dass alles von weit her kommt und viele Voraussetzungen hat. Auf „Solitary Man“ (American Recordings/Columbia), dem gefeierten Abschluss der Americana-Trilogie, die sich seiner Kooperation mit dem Produzenten Rick Rubin verdankt, singt er davon, dass es Songs schon gab, lange bevor irgend jemand etwas von Radio wusste – von MTV und Napster ganz zu schweigen! – und dass die Liebe nicht mit Mr. Cash auf die Welt kam und auch nicht mit ihm verschwinden wird. Johnny Cash beschreibt die dunkle „backside“ von Niklas Luhmanns „Liebe als Passion“: love, devotion, surrender nicht als Gesellschaftsspiel und Zeichensystem, sondern als das Schicksal roher Körper und reiner Seelen. Johnny Cash hat im mythischen Sun- Records-Land der 50er-Jahre den Rock’n’Roll miterfunden. Er hat in den Sixties nicht Hippie-Träumen nachgehangen, sondern den „Folsom Prison Blues“ so eindringlich gesungen, dass ihn jeder Zweite fragte, wie lange er denn eingesessen habe. Er war der mythische Mann in Schwarz und, als die Geschmacklosigkeiten des Geschäfts ihm keinen Ausweg mehr zu lassen schienen, ein selbstzerstörerisch-sarkastisches „chicken in black“. Und er begann, jenseits der 60 und vollkommen „down and out“, zusammen mit dem Hip-Hop- und Metal-Avantgardisten Rubin ein auf die Americana-„Essentials“ reduziertes Comeback. Jetzt, mit beinahe 70, todkrank, singt er Lieder, die einen frösteln lassen, weil Schmerz und Glück, Kälte und Barmherzigkeit so nah beisammen sind und weil Cash, der das „posing“ des archaischsten Machismo beherrscht wie kaum ein anderer, zu einer Neo-Authentizität findet, die das Raffinement der smarten Pop-Post-Histoire blamiert. „Nobody“ ist die Hymne des Neo-Liberalismus, aber aus dem Mund eines alten Westerners: eine quälende Litanei der Einsamkeit und des Verlorenseins; ein Mann, der nie etwas bekommen hat und der deshalb nie etwas geben wird; Cash als Monument einer steinernen Souveränität. Bei keinem anderen Sänger sind nacktester Trieb und Sehnsucht nach Erlösung so untrennbar verbunden.

Keiner ist heute so illusionslos und existentialistisch wie Cash, keiner aber auch so porös und hingegeben. In „I see a darkness“, dem beklemmenden Duett mit Will „Palace“ Oldham, singt er von den Dämonen, die einen umtreiben, aber auch von der Hoffnung auf Frieden. Cash schont niemanden, auch sich selbst nicht. Seine Songs sind grausam, aber nicht ohne Gnade. Nick Caves Todesstrafen-Statement „The mercy seat“ klingt bei Johnny Cash noch düsterer.
Der Kern des Songs ist der Körper: der Tod, der vor ihm, die Lieben, die schon hinter ihm liegen. Seine Form aber findet er durch die Reflexion eines kulturellen Musters: „Männlichkeit“. Wo sich bei Johnny Cash ein Großteil seiner Intensität der Dialektik des Immer-mehr-zerstört-Seins und eines paradoxerweise gerade darauf gründenden Rests an Integrität verdankt, da setzt Henri Salvador ganz auf eine mediterrane oder Latino-Variante des alt-rockistischen „forever young“: freilich nicht in einer vitalistischen Version, die bei einem, der sich schon in den 30er-Jahren autodidaktisch („nach Gehör“) den großen Duke-Ellington- und Cole-Porter-Stil aneignete und in den 40er-Jahren mit Django Reinhardt zusammenspielte, zwangsläufig komisch wirken müsste, sondern sehr cool und entspannt; als ewiger Strizzi, der seine letzten Chancen zu nutzen weiß: „Chambre Avec Vue“ (Source/Labels/Virgin) versetzt die Frivolität des französischen Chansons mit Bossa Nova-Melancholie – heraus kommt eine schläfrige Sinnlichkeit, der alles Greisenhafte fehlt. Diese Henri Salvador-Novität ist „easy listening“ nicht aus dem Designer-Studio, sondern aus der südländischen Bar. Und Hardcore-Connaisseuren der Pop-Geschichte dürfte seine Zusammenarbeit mit der Sixties-Ikone Francoise Hardy gerade recht kommen.

Auch Neil Young ist einer, der alle „die young“-Parolen, mit denen junge Männer, die noch nichts erfahren haben, gerne „posen“, längst hinter sich hat. Er bastelt an einem Männer-Bild, das den Kollaps der Macho-Images überstehen kann, das nicht prä-feministisch sein, aber auch nicht in „gender“-Konstrukten aufgehen will. Sein Live-Album „Road Rock“ (WEA) zeigt den ungeschönten Körper als Zentrum einer Musik, die auf den Song zwar nicht verzichtet, aber im Rauschen mehr sieht als nur Redundanz. Also: Die Gitarren dürfen sich hier entfalten; nicht in narzisstischen Soli, sondern als roher Lärm, der zeigt, wo die Geschichten und Bilder herkommen – und wo sie auch wieder untergehen.

Und Stephen Malkmus? Der Frontmann von Pavement, einer Band, die lange Zeit die Young’sche Position zu reformulieren und auf den neuesten Stand zu bringen schien, geht auf seinem Solo-Debüt (bei Virgin) den anderen Weg: also den eines neuen Pop-Raffinements, einer Betonung der Künstlichkeit – der Images, aber auch der Sounds und der Songs, die hier aus smartesten Arrangements ganz plötzlich aufblühen: ebenfalls sehr aufregend und das Resultat vertracktester Erfahrungen, mit der eigenen Biografie genauso wie mit dem Business.

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