Vor einigen Jahren kamen drei Veteraninnen des deutschen Tingel-Tangels auf die Idee, sich zusammenzutun und selbstironisch als „drei alte Schachteln“ zu firmieren: Helen Vita, Evelyn Künneke & Brigitte Mira. Innerhalb nur weniger Wochen haben nun die ersten beiden Damen die Brettl-Bühne für immer verlassen. Zurück bleibt die Älteste im Bunde, die Berliner Schnauze Brigitte Mira, Jahrgang 1905, die in den 70ern von Peter Zadek und Rainer Werner Fassbinder („Angst essen Seele auf“) wiederentdeckt worden ist.
Vor einigen Jahren kamen drei Veteraninnen des deutschen Tingel-Tangels auf die Idee, sich zusammenzutun und selbstironisch als „drei alte Schachteln“ zu firmieren: Helen Vita, Evelyn Künneke & Brigitte Mira. Innerhalb nur weniger Wochen haben nun die ersten beiden Damen die Brettl-Bühne für immer verlassen. Zurück bleibt die Älteste im Bunde, die Berliner Schnauze Brigitte Mira, Jahrgang 1905, die in den 70ern von Peter Zadek und Rainer Werner Fassbinder („Angst essen Seele auf“) wiederentdeckt worden ist.Die Vita und die Künneke, wie vertrug sich das? Die eine von Brecht fürs Brettl entdeckt, die andere die Swing-Queen der Landser („Sing, Nachtigall, sing“). Die Diseuse Vita war die Ikone der linken Intelligenz in der Wirtschaftswunderzeit, die Schlager-Tante Künneke dagegen die feucht-fröhliche „Vetterin aus Dingsda“. Ihr Mäcki war ein Seemann und kein messerschwingender Ganove. Der Vita standen Friedrich Hollaender und Erich Kästner näher als die alten Ufa-Helden Peter Igelhoff & „Mäcki“ Jary, der die Tochter des Operetten-Komponisten Eduard Künneke umschwirrte, „wie Motten das Licht“.Als Rosa von Praunheim die Künneke in den 70er-Jahren als Schwulenikone entdeckte und sich mit ihr verlobte, hat man ihr das Etikett „Diseuse“ angehaftet. Das gefiel ihr gar nicht. „Diseusen haben keinen Swing“, protestierte sie – und das zu Recht. Denn sie war stolz, nicht nur Deutsche zu sein – wie sie in ihrer unsäglichen Bemerkung über die „Vaterlandsverräterin“ Marlene Dietrich betonte, sondern auch auf ihre Swing-Vergangenheit. Für sie gehörte das zusammen, als „Sinatra-Sklave“ mit dem Traum ihrer „schlaflosen Nächte“ (?) auf der „Pariser Lotterliege“ gelandet zu sein und mit dem Stan Kenton Orchestra als neue „Misty Miss Christy“ durch Amerika getourt zu sein. „Benglisch“ sang sie übrigens ein Leben lang, denn die ehemalige „Stepteuse“ hielt als „Anti-Star“ nie besonders viel von Präzision, dafür um so mehr von Energie – die ihr bis zuletzt nicht ausging.
Stichwort Präzision. Auftritt Helen Vita, geboren 1928 in Hohenschwangau, aufgewachsen in Genf. Spielte in der Uraufführung von Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ am Züricher Schauspielhaus. Landete als Vortragskünstlerin danach in den frühen 50ern in Trude Kolmans legendärer „Kleinen Freiheit“. Und dort sang sie auch eines ihrer besten Chansons: Martin Morlocks bissiges „Neo-Nora oder das Puppenheimchen“ – wie sich die Trümmerfrau zurückverwandelte in das Heimchen vom Dienst. Irgendwann in den Sixties landeten ihre „freizügigen“ Chanson-Platten („Dolce Helen Vita“) dann auf dem Index der „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“, putzig. Und natürlich wurde die Vita auch für das Kino entdeckt. Als „Verruchte“ vom Dienst war sie in „Das Mädchen Rosemarie“ genauso dabei wie in Bob Fosses „Cabaret“. Zu Vitas Lieblingsnummern gehörten in den letzten Jahren Hollaenders „Wiener Schmarrn“ und „Stroganoff“. Hört man ihre Interpretation davon, beginnt man zu ahnen, warum sie als „Diseuse“ in einem Atemzug zu nennen ist mit Blandine Ebinger, Claire Waldoff, Marlene Dietrich oder Lotte Lenya. Mit Helen Vita ging eine Ära zu Ende. Zuletzt schwärmte sie nur noch von Menschen, „die nicht mehr existieren. Dann bilde ich mir ein, sie seien noch am Leben – und noch jünger.“