Die klapprige Wellblech-Arena ist voll; kein anderer Club als das „Backstage“ dürfte die norwegische Kapelle Kaizers Orchestra willkommen heißen. Nur dieses Ambiente passt. Klein genug, atmosphärisch dicht und nostalgisch sowieso. 1998 starteten Jan Ove Ottesen (Gesang, Piano, Resonanzkörper), Geir Zahl (Gitarre, Gesang), Terje Vintersto (Gitarre, Mandoline), Rune Solheim (Schlagzeug, Perkussion), Helge Risa (Pumporgel, Piano) und Jon Sjoen (Bass) in Bergen (Norwegen) ihr skuriles, eher ungewöhnliches Orchester. Rockmusik trifft da auf russische Polka-Seele, Tom-Waits-artige Destruktivität und auf unendliche Tanzbarkeit.
Im Jahr 2001 veröffentlichen sie ihr Debütalbum „Ompa Til Du Dor“, das 2003 in Deutschland erscheint. Ein Jahr später kommt der Nachfolger „Evig Pint“, ein düsteres Rockalbum, und 2005 schließlich „Maestro“, der klare Höhepunkt der Bandgeschichte. Dabei sehen die Norweger eher aus, als kämen die frisch aus der DSDS-Show; die Anzüge gebügelt, die Haare modisch bis trendy frisiert. Der Schein trügt. Wahrscheinlich lügt er sogar. Den Beweis trat Kaizers Orchestra am 21. März in München an. Furios und kannibalisch legen sie los. Das Repertoire besteht aus den bisherigen Alben-Veröffentlichungen, gleichzeitig kann man praktischerweise auf die bald anstehende Veröffentlichung der Live-CD/DVD „Live At Vega“ (Universal) hinweisen.
Der Sound ist glasklar und angenehm laut. Die Gitarren kratzen nebenbei ein wenig mit, hinter allem sitzt der man mit der Gasmaske, die er während des gesamten Auftritts auch nicht abnimmt: Helge Risa. Er bedient die Pumporgel oder das Akkordeon oder das Piano und fertigt den unnachahmlichen, unikaten Kaizer‘s Orchestra-Sound. Zur Schlagzeugunterstützung wird mit dem Brecheisen auf eine Autofelge gedroschen, auf der Bühne stehen regentonnenartige Resonanzkörper, die mit allem bearbeitet werden, was die Band zur Hand hat. Schlicht ein Erlebnis, weil so angenehm vom herkömmlichen Rockauftritt abweichend. Obendrein drischt Bassist Jon Sjoen, der ausschließlich Kontrabass spielt, während seines Solos mit Drumsticks auf seine Saiten und avanciert so zur personifizierten Garantie für freie Gehörgänge. Sänger Jan Ove Ottesen hat Band und Publikum im Griff, ohne sich aufzudrängen. Keine peinlichen Ansagen, keine Verlegenheits-Animation. Wozu auch.
München tanzt den kompletten Auftritt durch; an manchen Stellen des Konzerts spricht man scheinbar norwegisch, mitgesungen wird prophylaktisch alles. Jan Ove Ottesen gibt den Rest freiwillig dazu: eine saubere Stimme, die durch eine eigene Färbung und markante Brillanz über den Songs steht. Ein Vergnügen wie unkompliziert und gestenfrei Kaizers Orchestra durch den Abend schunkelt. Musik muss wieder humorig und verrückt sein. Das wird allen klar an diesem Abend. Dass man dazu ruhig ausgeflippte Ideen haben darf, sich was trauen muss und gleichzeitig eine unbekümmerte Lockerheit bewahren kann, das dürfte ein Fazit des Abends sein. Darum gibt’s in Deutschland eben nur das Motto „Einer macht es vor, die anderen hecheln hinterher“. Dazu passte der wohl komischste Kauz an diesem ersten Frühlingsa bend: „Micka from Sweden“ eröffnete das Konzert. Bewaffnet mit einem Revolver, um Ratten auf der Bühne zu erlegen. Ausgestattet mit einem spießig dekorierten Piano, auf dem ein grünes Wahlscheiben-Telefon steht, daneben Bilder, ein Pokal und ein Kerzenleuchter für drei Kerzen, die „Micka from Sweden“ huldvoll anzündet, um alsdann sein Repertoire vorzustellen. Man könnte ihn Singer/Songwriter nennen. Ohne Gitarre. Er spielt sich durch fünf Songs, deren unaufgeregte Texte uns aber auch kaum Neues vermitteln: „Life can be a mystery, life can be a whore“. Die Pianobegleitung ist eine verknotete Mischung aus gehobener Western-Saloonmusik und ausholenden Melodien, die gar nicht so subtil ständig an die amerikanische Nationalhymne erinnern. Während der Songs unterbricht „Micka from Sweden“, um einen Anruf des schwedischen Königs entgegenzunehmen oder um eine Geschichte seiner Frau zu erzählen, die einen Schuhtick hat, den er zum Song verwurstet hat. Rein musikalisch ein verzichtbarer Auftritt. Doch eigenbrötlerisch und verschroben und somit wieder perfekt in den Kontext des Kaizers Orchestra passend.