Überrascht ist man nicht mehr, wer sich im Rockzirkus zurückmeldet (Led Zeppelin mit einem Konzert), es noch einmal versucht (Blur), sich finanziell verbessern möchte (The Police), Entzugs-Auflagen erfüllt (Britney Spears) oder es schlicht nicht lassen kann (Westernhagen). Erwischt hat uns diesmal Selig. Sogar mit dem Prädikat „In Originalbesetzung“, also Jan Plewka (Gesang), Christian Neander (Gitarre), Leo Schmidthals (Bass), Malte Neumann (Keyboard) und Stephan Eggert (Schlagzeug).
Fraglos die echteste Rockband der 90er, die mit Songs wie „Sie hat geschrien“, „Ohne dich“ und „Ist es wichtig“ einen Grunge prägte, der gar nicht erst als Kopie funktionierte, sondern eigen war. Vor gut zehn Jahren und nach drei Alben (Selig, Hier, Blender) hatte man genug. Voneinander. Von der Musik. Getrennte, aber doch musikalische Wege der Bandmitglieder ließen sich ausfindig machen: Jan Plewka machte Solo, Christian Neander spielte in der ungewürdigten Band „Kung Fu“. Die nmz sprach mit Christian Neander über das „Warum“.
„Eine Telefonkette hat das Comeback im September 2007 eingeleitet“, erinnert sich Christian Neander, der beim Gedanken an eine Wiedervereinigung aber nicht gerade in Begeisterung ausbrach. „In meinem Leben passierte Musik, deshalb war es für mich nicht so notwendig, Selig neu zu beleben. Es war eine interessante Idee. Vorher mussten allerdings viele Gespräche geführt werden, schließlich hatte sich einiger Groll angestaut.“ Irgendwann war genug geredet. Musik war ja Grund des Neustarts. „Prinzipiell mussten wir se-hen, was passiert, wenn wir Musik machen“, gibt Christian Neander zu, „denn nichts ist bei einer Reunion peinlicher, als schreckliche Musik zu produzieren. Die erste Probe erwies sich als absoluter Flash. Man konnte fühlen, dass eine Sehnsucht brennt, miteinander Musik zu machen. Ich empfinde es als Glück, in dieser Konstellation Musik zu machen, weil jeder Musiker ein starker Charakter ist, etwas zu sagen hat und man sich gegenseitig erhöht.“
Christian Neander scheinen noch im Rückblick Steine vom Herzen zu fallen. „Ich hatte Angst, dass das, was wir machen, schäbig klingt.“ Zumindest hier kann man Selig entlasten. Das, was man vom neuen Album als Journalist hören durfte (digitale Bemusterung, nur ein Song in voller Länge, sonst Schnipsel aus Strophe und Refrain) war zwar geizig, zeugt jedoch von Qualität. Christian Neander zeigt sich ebenfalls nicht „d’accord“ mit der Bemusterungspolitik: „Das haben wir oft gehört, dass die Presse darüber unglücklich ist. Ganz ehrlich, der Sinn und Zweck erscheint uns auch fraglich, und sicher muss man das überdenken.“ Wäre schön. Ist aber ein Indiz, dass die neue Musikwelt auch für Selig anders arbeitet.
In diesem Kontext stellen sich speziell beim Comeback einer geschätzten Rockband mehrere Fragen. Will man alte Fans aktivieren, kümmert man sich um neues Publikum, ist es eine Herausforderung, sich in wirtschaftlich schlechten Zeiten durchzusetzen oder ist man Egoist? Für wen also die Platte, das Comeback? „Alle Platten, die wir gemacht haben, haben wir für uns gemacht. Aus dieser Begeisterung entwickelten wir ein Sendungsbewusstsein. Und genauso ist es 2009. Bis jetzt war der Prozess zufriedenstellend. Nun folgt das ‚Livespielen‘. Dementsprechend nervös bin ich, denn ich will das gut machen. Zudem soll der Albumtitel darauf hinweisen, dass wir noch ein paar Platten machen wollen.“
Zu Recht, denn „Und endlich unendlich“ ist Selig in Reinform. Wunderbare Gitarrenarbeit, der Rest fügt sich mit bekannter Eigenständigkeit und Jan Plewka hat gesanglich zugelegt: relaxter, intensiver. Zwar nicht im Orbit eines Rio Reiser oder Eddie Vedder (Pearl Jam), wie uns das Bandinfo glauben machen möchte, sondern viel eigener und erkennbarer, als dass Vergleiche herhalten müssten. Damit einhergehend wirkt die Musik stimmig und das Songwriting klassisch. „Musik ist bei uns immer intuitiv“, erklärt Neander, „zudem war das Songwriting wahnsinnig leicht. Beim ersten Treffen haben wir alte Songs angespielt. Das klappte ohne große Vorbereitung. Anschließend begannen wir zu jammen und da entstand die Urversion von ,Schau Schau‘, der ersten Single des Albums. Es ging erstaunlich einfach, vermutlich auch wegen der Erfahrungen, die jeder sammeln konnte.“ Umgekehrt lässt sich erahnen, dass man sich im Fall eines musikalischen Scheiterns keine Quälerei angetan hätte. „Das wäre ein Albtraum gewesen“, stimmt Neander zu.
Und so wird aus einer Pause eine kreative Auszeit. „Die wir gebraucht haben“, ergänzt Christian Neander, „weil wir extrem auf der Überholspur gelebt haben. Mir persönlich hat die Pause gut getan. Ich konnte mit unterschiedlichen Leuten arbeiten, bekam viel Input und möchte diese Erfahrungen nicht missen. Und das werde ich weiterhin machen. Überhaupt werden alle ein Leben neben Selig haben.“ Dann bis zur nächsten Pause.