Oft liegt es an einzelnen Persönlichkeiten. Der Geiger Gregor Hübner ist ein neugieriger Mensch und weit vernetzt. Er lebt in München und New York, kennt beide Szenen gut, erstere auch durch seine Arbeit als Professor an der Münchner Hochschule für Musik und Theater. Er ist Gründungsmitglied des stilübergreifenden Sirius Quartets, experimentiert gleichermaßen in den komponierten und improvisierenden Gefilden der zeitgenössischen Musik. Und er kennt Gerd Baumann seit langem, seinerseits Professor für Filmmusik an den Münchner Hochschule, ein erfahrener Komponist, Musiker und Mitbetreiber des Milla Clubs in den Katakomben des Münchner Glockenbachviertels. Kombiniert man die Voraussetzungen, würzt sie außerdem mit reichlich Engagement und der Bereitschaft, auch als Veranstalter ins Risiko zu gehen, kann eine Reihe wie das Progressive Chamber Music Festival entstehen, die zeitversetzt in beiden Metropolen stattfindet und in München am 22. und 23. November nun zum sechsten Mal über die Kellerbühne ging.
Szenetreff mit Ausblicken
Risiko heißt in diesem Fall, erstens nicht zu wissen, ob das Publikum sich auf eine Kombination der Stilformen einlässt, die von avancierten Folkklängen und kammermusikalischem Jazz bis hin zu zeitgenössischen klassischen Kompositionen reicht. Zweitens bedeutet es auch, Premieren und noch unerprobten Kombinationen wie in diesem Jahr etwa der Band Jacques-Pierre Kollektiv oder auch der Triobesetzung von Hübner, Baumann und der Sängerin Jelena Kuljic ein Forum zu geben. Im einen Fall wurden filmmusikalische Song- und Soundideen in einer Live-Version mit rockjazzigem Klangverständnis aus dem Studio ins reale Leben geholt. Es mündete im zweiten Fall aber auch in eine Kom-bination von freien Flowimprovisationen, intuitiv rezitierten Gedichten und fröhlich affektiven Popsongs, bei der das offene Trio um die theatererprobte und stimmflexible Sängerin sich sehr aufmerk-sam und inspiriert in die eigene Musikkommunikation versenkte.
Überhaupt gab es an den zwei Tagen viel zu entdecken. „Auch der zweite Abend hat wunderbar begonnen mit dem Duo ‚Sequenz’ mit Matthias Lindermayr und Matthieu Bordenave, einer Kombination, die mit filigran schillernder Musik überraschte,“ kommentiert Gregor Hübner selbst das Festival. „Die Band ‚Pre.Pared‘ war wirklich prepared und hat mit ihrer unglaublichen rhythmischen Präsenz beein-druckt. Mit dem nun schon obligatorischen Abschluss durch das Munich Composers Collective und besonders durch die Uraufführung einer neuen Komposition von Marina Schlagintweit wurde das Festival wieder passend progressiv abgerundet“. Tatsächlich ist gerade auch das 18-köpfige Ensemble aus Student*innen und Alumni der Hochschule ein Beispiel für die Offenheit des Konzepts. Unter der Leitung von Hübner, der sich vor allem als musikalischer Koordinator der Ideen der Jüngeren und nicht als Tonangeber versteht, hat sich das mit Streichern, Electronics oder auch Gitarre ungewöhnlich instrumentierte Jazz-Orchester zu einem markanten Inspirationspool der heimischen Szene entwickelt.
Denn es geht um das Gemeinsame, um die Gelegenheit, die eigenen Kompositionen im großen Klangkörper erleben zu können. Das hat den Reiz des Skizzenhaften, weil die Werke immer in Bewegung bleiben und an den Erfahrungen der Konzerte – und mit dem übrigens auch des ersten, unlängst erschienenen Albums des Munich Composers Collectives „Digital Code“ – wachsen, sich verändern und verfeinern. Es reicht außerdem darüber hinaus, wenn Komponist*innen und Künstler*innen wie Monika Roscher ans Pult treten und mit sehr eigenwilligem, impulsivem Musikverständnis das Ensemble vorantreiben. Denn am Ende geht es um die Eigendynamik, die ein Event wie das Progressive Chamber Music Festival entwickeln kann. Gregor Hübner mag es einst angestoßen haben. Die nächste Generation auf der Bühne führt die Ideen dann aber mit eigenem Selbstbewusstsein weiter.
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