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„In dubio pro disco“: F.S.K. wird 30. Foto: Katja Runge
„In dubio pro disco“: F.S.K. wird 30. Foto: Katja Runge
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Was kostet die Welt? 30 Jahre „Freiwillige Selbstkontrolle“: von Polka bis House

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„Heute Disco, morgen Umsturz, übermorgen Landpartie“ – ein schönes Motto ist das, das einst die Band „Freiwillige Selbstkontrolle“ ausgegeben hat, die sich seit langem nur noch F.S.K. nennt. Ja, man kann sich die Mitglieder der Münchner Musik-Künstler-Gruppe schön vorstellen in der legendären New Yorker Disco „Studio 54“ oder bei den Pariser Unruhen ‘68 oder einfach irgendwo im US-Süden bei einer „Hayride“.

Wobei sie ihre „teutschen“ Wurzeln seit den Punktagen in den frühen 80er-Jahren nie verleugnet, sondern immer sehr vertrackt-kritisch betont haben. So haben sie die „Tagesschau“ besungen und sogar eine „Lesezirkel-Melodie“ komponiert. Später haben sie alte Klassiker ausgegraben wie „Hitler Lives“ oder „Muss Ich denn zum Städtele hinaus“, den Elvis einst in einen G.I.-Blues verwandelt hat. Ihr grandioses politisches Motto freilich ist das selbe geblieben: „Flagge verbrennen (Regierung ertränken)“. Wer will, kann nun Ersteres selbst tun, denn der großen Werkschau der Band liegen drei F.S.K.-Zahnstocherfähnchen bei.

Der Titel dieser bei Disko B Records erschienenen 3-CD-Box erinnert an die Ursprünge der Gruppe: „Freiwillige Selbstkontrolle ist ein Mode & Verzweiflung Produkt“. „Mode & Verzweiflung“, so hatte in den späten 70er-Jahren das erste große „Projekt“ eines der „Köpfe“ des Kollektivs geheißen: Thomas Meinecke. Ein Münchner Fanzine, bei dem auch ein gewisser Schlingensief mit dabei war. Gewissermaßen als „Abfallprodukt“ dieser „bohemistischen Zeitschrift“ ist dann die „Freiwillige Selbstkontrolle“ entstanden. Während das Fanzine bald verschwand, feiert F.S.K. nun ihren 30. Geburtstag. Und während die einstigen (im Rückblick lächerlichen) Urteile der anderen F.S.K., der Sittenwächterorganisation der Filmwirtschaft, in den letzten Jahren – gegen Bezahlung – sehr oft aufgehoben wurden, sind sich unsere F.S.K.-Freunde in ihrer Verwandlungsfähigkeit sehr treu geblieben. „Diskurs-Pop“ könnte man das nennen, was F.S.K. seit ihren Anfängen macht.

Und so ist hier nicht nur ein musikalischer und politischer Streifzug durch die letzten 30 Jahre zu verfolgen, sondern auch die „Vor-Geschichte“ dieser Musiken zu hören: von Polka über Country zu Soul, Disco und House bis zu Easy Listening. Und vielleicht war das Grund genug, warum die Band zu den Lieblingen des legendären britischen Pop-Papsts John Peel avancierte. Weil sie in „M – wie München“ einen sehr liebevoll-distanzierten Blick auf die Musik der amerikanisierten Welt warfen. So durfte Michaela Melián im Nico-Stil für John Peel sogar ein Ständchen von den Beatles singen: „Komm gib mir deine Hand“.

Als die F.S.K. Ende der 90er-Jahre immer elektronischer wurden, klang ihre Musik manchmal wie der Soundtrack zu einem Film von Christian Petzold, den er dann doch nicht gedreht hat. Die Liebe zu Burt Bacharach verbindet im übrigen Meinecke und Petzold. Und vielleicht arbeiten ja F.S.K. und Petzold am selben Projekt: den deutschen „Stand der Dinge“ in Kunst zu verwandeln. „In dubio pro disco“, sagt Meinecke immer. Und weil er das wirklich ernst nimmt, ist ihm in den frühen Nullerjahren als Texter der – für mich – schönste „teutsche“ Song gelungen, eine Hommage an eine seiner „campen“ Lieblings-Discoformationen aus den „Studio 54“-Tagen: „Dr. Buzzard’s Original Savannah Band“.

Mit Unterstützung von Anthony „Shake“ Shakir singt Michaela Melián die ganz große subversive House-Hymne: „With a click of the computer mouse getaucht in Musik schalten wir Regierungen aus“. Der alte Traum vom Paradies, er spukt hier wieder herum. Und vielleicht ist es auch dieser große utopische Traum, der all die anderen großen – sehr präzisen – Projekte des hellwachen Pop-Künstler-Paars Meinecke/Melián antreibt, das beim Bayerischen Rundfunk seine „Heimat“ hat: das Schreiberlings- und Plattenspielerleben von Thomas Meinecke, der seit seinen Romanen „The Church of John F. Kennedy“ und „Tomboy“ zu den wichtigsten „Pop“-Autoren des Suhrkamp-Verlags zählt; das Künstler-Leben von Michaela Melián, die mit preisgekrönten Hörspielprojekten wie „Föhrenwald“ oder „Memory Loops“ ihre sehr moderne Art von „Erinnerungskultur“ betreibt. Und irgendwie scheint hier wirklich alles zusammenzugehören: das Lesen und Schreiben, das Musikmachen und Tanzen, das Reisen und Feiern. Und so kann man diese Song-Kollektion als Soundtrack hören zum politisch-musikalischen Diskurs der letzten 30 Jahre. That’s Entertainment aus Germany.

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