Ein Kilometer Kabel war nicht genug. Per Eilbestellung mussten noch weitere 100 Meter geordert werden, sonst wäre es für die Summer Week mit Matthias Bublath eng geworden. Zwei Wochen Musikpause hatte sich das Team der Unterfahrt zugestanden, Tage, an denen noch mehr gearbeitet wurde als bereits zuvor. Denn eine neue Bühne wurde gebaut. Die alte hatte ihren Dienst getan, war nach 22 bespielten Jahren, rund 7.500 Konzerten mit etwa 40.000 beteiligten Künstlern vor geschätzt einer Dreiviertelmillion Zuhörern derart runtergejazzt, dass ein Update anstand. Also wurde gesägt und eingepasst, gelötet und geschraubt, verkabelt und verfugt, bis das gute Stück im Akkord fertig war, einschließlich frisch gestrichener Wände, neuer Lichtkonstruktion und einiger weiterer sinnvoller Details wie der für die angebrochene Streaming-Ära notwendige Kamera- und Bildtechnikbestückung.
So konnte Anfang September gefeiert werden, musikalisch eine Woche lang mit dem Pianisten und Organisten Matthias Bublath, seinen Trio Partnern Tim Collins am Vibraphon im Wechsel mit Bassist Thomas Stieger und Christian Lettner am Schlagzeug, außerdem Tony Lakatos als tenorstarkem Gast. Dieser hatte ganz frisch den Hessischen Jazzpreis 2020 im Gepäck. Lakatos, der aus der gleichnamigen ungarischen Geiger-Dynastie stammt, die heute sein Bruder Roby international vertritt, wurde am 13. November 1958 in Budapest geboren und wandte sich zum Gewinn des Jazz schon als Teenager von der Geige ab und dem Saxcophon zu.
Doch in München stand nicht er im Mittelpunkt: Ein Jubiläum wurde begangen, das Vierzigjährige des zwei Jahre nach dem ursprünglichen Club Unterfahrt gegründeten Trägervereins Förderkreis Jazz und Malerei München e.V., der die Basis des bewährten Kooperations- und Überlebenskonstrukts aus Eintrittsgeldern, Mitgliedsbeiträgen und Fördergeldern durch das Kulturreferat der Landeshauptstadt München darstellt.
Und dann wurde noch etwas präsentiert, das in dieser Form in Deutschland einmalig ist und auch in mancher Hinsicht eng mit der Geschichte des Clubs zusammenhängt: die neu ins Leben gerufene Jazzstiftung München. Denn hinter dieser wunderbar wegweisenden Einrichtung steht ein Privatmann und inzwischen Privatier, der über Jahrzehnte hinweg als Zuhörer und ehrenamtlich Engagierter den Jazz in München begleitet hat. Andreas Schiller, während seiner Berufsjahre unter anderem als Vorstandsmitglied einer großen Versicherung erfolgreich und im Club unter anderem für sein herzhaftes Lachen am Bartresen bekannt, war nicht nur in Jugendjahren durch Schulfreunde und Livebühnen von der „Nachteule“ bis zum „domicile“ mit dem Spaß am Jazz geimpft worden, sondern saß von 1997 an auch für sieben Jahre im Vorstand des Förderkreises und ansonsten oft genug in der Unterfahrt selbst, um die Höhen und Tiefe des erfüllenden, aber auch erschöpfenden Musikerdaseins zu erleben. Inzwischen nähert er sich seinem 80. Geburtstag und dachte schon länger darüber nach, wie er seine lebenslange Begeisterung für die Musik noch sinnvoll verstetigen könnte.
So entstand die Idee der Jazzstiftung München. Schiller machte sich schlau, sondierte Partner und wurde beim Kulturreferat fündig. Er wählte als Modell eine Hybridstiftung mit einem Grundstockkapital von 500.000 Euro und einem Verbrauchskapital von 200.000 Euro, wobei erstes im Bedarfsfall auch für aktuelle Projekte eingesetzt werden kann. „Das Geld soll ja auch ausgegeben werden“, meint Schiller, „es soll ja am Ende den Musikern zugute kommen“. Leisten kann er sich die Stiftung, weil sich eine in grauer Immobilienvorzeit gekaufte Innenstadtwohnung zu einem Euroesel entwickelt hat, einer der seltenen Fälle, wo Wertsteigerung nun auch an die Menschen vor Ort zurückgeben wird. Es ist außerdem ein offenes Modell, bei dem jeder zusätzliche Förderer gerne willkommen ist, ebenfalls Finanzmittel beizusteuern. Um dabei steuerlich sinnvoll gemeinnützig zu sein, dürfen wiederum nur ebenfalls gemeinnützige Vereine wie der Förderkreis Jazz und Malerei oder der Münchner Verein zur Förderung von Jazz - mucjazz unterstützt werden.
Das wird sich einspielen und am Ende in zahlreiche kreative Projekte münden. Das Organisatorische jedenfalls ist erledigt, am 17. Juni hat der Stadtrat offiziell die Stiftung (und damit deren Organisation) übernommen, wenig später stimmte am 7. Juli die Regierung von Oberbayern zu und erkannte sie als rechtsfähig an. Ein dreiköpfiges Kuratorium, derzeit bestehend aus Heike Lies als Vertreterin des Kulturreferats, Andreas Heuck als Vertreter der Unterfahrt und Andreas Schiller selbst kümmert sich zunächst um die inhaltliche Orientierung, wobei die Projekte für sich offen sind. Denn die Jazzstiftung kann sowohl Veranstaltungen, Meisterklassen, Workshops fördern oder auch bei Künstlergagen, Tonträger-, Video- oder anderen Medienproduktionen helfen. Sie darf Spielstätten unterstützen und vielleicht schafft sie es sogar, ein Münchner Jazzfestival anzuschieben, das weit über die Stadtgrenzen hinaus leuchtet. Vieles ist möglich, solange es sich laut Satzung um „moderne, zeitgenössische, aber auch in Ausnahmen klassische Jazzmusik“ handelt, die einem möglichst großen Publikum zugänglich gemacht werden kann. Am 27. September spielten das Technojazz-Trio LBT und die Jazzrausch Bigband in einem Doppelkonzert im Olympiastadion, unterstützt von der Unterfahrt und auch bereits von der Jazzstiftung München. Sehr viel größer geht ja kaum, Andreas Schiller dürfte zufrieden schmunzeln.