Das machen Jazzmusiker und ihre Produzenten gerne: sich auf Helden, Säulenheilige, Legenden berufen. Ist auch meist verkaufsförderlich, wenn auf CDs oder Konzertplakaten etwa „...plays the Music of John Coltrane“ prangt. Unzählige Projekte befassten sich schon mit dem musikalischen Erbe, das manche Größe hinterlassen hat. Und so war die Erwartung gewaltig, als der BMW Welt Jazz Award in diesem Frühjahr „Inspired by Legends“ überschrieben war. Am Ende des renommierten internationalen Wettbewerbs muss die Frage erlaubt sein, ob sich angesichts des vorhandenen Angebots nichts Spannenderes hat finden lassen als die sechs Bands, die sich diesmal in den sonntäglichen Matinee-Konzerten um den Einzug ins Finale mühten.
Oft genug geht es bei Projekten, die uns als Huldigung oder Tribut verkauft werden nur darum, mit großen Namen hausieren gehen zu können. Andere Würdigungen, die tatsächlich auch so gemeint sind, scheitern an den Ambitionen der Aus-übenden. Aber es gibt im Jazz der letzten paar Jahre eben auch eine ganze Reihe Beispiele für wirklich kreativen Umgang mit Legenden, für schlüssige Konzepte.
Im achten Jahrgang des „BMW Welt Jazz Awards“ rieb sich manch einer im Publikum morgens verwundert die Ohren. Wie hat es etwa die Band des Schlagzeugers Karl Latham in die Auswahl eines so wichtigen Wettbewerbs schaffen können – mit einem solch grottigen, einfallslosen, anachronistischen Tribut an die isländische Fee Björk? Die wäre bestimmt hochgegangen wie ein Geysir oder der Vulkan Eyjafjallajökull, wenn sie gehört hätte, was der Drummer aus ihrem schönen, mitunter visionären Material im Doppelkegel der BMW Welt anstellte. Das Konzert war der Tiefpunkt im Rennen um den Pokal und das höchst stattliche Preisgeld von 10.000 Euro.
Über einige der anderen fünf Konzerte lässt sich sagen, dass sie zwar vielleicht nicht sonderlich aufregend waren, aber immerhin schön und angenehm anzuhören. Niemand musste angesichts der Auftritte des Dieter Ilg Trios (das sich mit Beethoven beschäftigte), des Stefano Battaglia Trios (mit einer Hommage an den Komponisten Alec Wilder) oder des Scheherazade-Verehrers Oded Tzur bedauern, sich am frühen Sonntagmorgen aus dem Bett gequält zu haben. Bei zwei Gruppen, die dann auch verdientermaßen im Finale landeten, hat sich das zeitige Aufstehen sogar richtig gelohnt: das schweizerisch-irisch-amerikanische Quartett Erika Stucky-Christy Doran-Jamaaladeen Tacuma-Fredy Studer feierte Jimi Hendrix mit einem wilden, anspielungsreichen, energetischen, Klischees vermeidenden, recht freakigen Programm – und wurde dafür mit dem Publikumspreis belohnt. Jetzt dürfen sich die vier Musiker ein paar Tage lang auf Schloss Elmau kostenlos durchwalken und kulinarisch verwöhnen lassen.
Gewonnen aber hat den „Inspired by Legends“ überschriebenen BMW Welt Jazz Award 2016 eine in Dänemark lebende New Yorker Sängerin, die das diesjährige Motto gewissermaßen ad absurdum führte. Denn Indra Rios-Moore ist, wie jeder andere Musiker auch, von einer Vielzahl berühmter Kollegen beeinflusst. So weit, so unoriginell.
Sie beruft sich halt auf Jazz, Singer-Songwriter-Ästhetik, Blues, den Candomblé-Kult, auf Johnny Hartman, Pink Floyd, Louis Armstrong, David Bowie. Weil das, was sie über die Jahre inspiriert hat, aber durch ihren Filter, ihre starke Persönlichkeit läuft, kommt nichts Beliebiges heraus, sondern tiefe, verinnerlichte, berührende, beseelte, gefühlvoll dargebotene, superb gesungene und bei aller Zurückhaltung originelle, dicht verwobene Kammermusik mit klaren Zügen. Den Pokal, einen fünfstelligen Scheck und einen Blumenstrauß nahm sie aus den Händen von BMW-Vorstand Ian Robertson im ausverkauften Auditorium der BMW Welt strahlend entgegen.
Im Januar geht es weiter mit dem Wettbewerb. In seiner neunten Ausgabe wird er „Bass erstaunt“ überschrieben sein. Im Vorfeld kann sich der Jury-Vorsitzende aus einem riesigen Tieftöner-Fundus bedienen und seinen vier Kollegen zur Blindverkostung und der daraus resultierenden Auswahl einiges vorlegen. Wir wünschen den zwei Damen und drei Herren ein gutes Händchen bei der Programmierung.