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40 Jahre und sehr weise: Ensemble Modern „Beschenkt“ das Publikum und sich mit einem digitalen Festakt und zwei CDs
40 Jahre und sehr weise: Ensemble Modern „Beschenkt“ das Publikum und sich mit einem digitalen Festakt und zwei CDs
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40 Jahre und sehr weise: Ensemble Modern „Beschenkt“ das Publikum und sich mit einem digitalen Festakt und zwei CDs

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Aufgrund der Pandemie fand der Festakt zum 40-jährigen Jubiläum des Ensemble Modern am 9. Dezember aus der Alten Oper Frankfurt im digitalen Rahmen statt. Der Abend mit 40 Uraufführungen unter der musikalischen Leitung von Ingo Metzmacher und der bewegend eindrucksvollen Hommage von Ilja Trojanow hatte Sinn, Stil und Format. Chapeau!

Minimale Tribute ans kollektive Musikgedächtnis: Im ersten Konzertstück flötet es „Happy birthday“, später erklingt ein schlichtes ungarisches Weihnachtslied, das liturgisch in jede Jahreszeit passende „Maria durch ein Dornwald ging“ und vor Schluss angeschrägte „Tristan“-Assoziationen. Das ist Tonmaterial, wie es auch Komponisten im langen 19. Jahrhundert gerne als Albumblatt bei geschätzten oder renommierten Gastgebern auf die Notenleiste des Flügels legten. Miniaturen, die den Vorlieben gebildeter Kreise angepasst waren, manchmal Moden aufgreifend oder spiegelnd, die eigenen künstlerischen Mittel mit geringem Aufwand für sich und Interpreten wirkungsvoll in Szene setzend.

Diese Form des Schenkens und Beschenkt-Werdens griff das Ensemble Modern bei seinem Festakt, der notgedrungen ohne Publikum auf digitalen Kanälen ausgestrahlt wurde, in modifizierter Form auf. Gefeiert wurde das eigene 40-jährige Bestehen seit dem Gründungskonzert am 30. Oktober 2020 und das halb so lange Bestehen des eigenen Tonträger-Labels. Eine tolle, epochale Chronik im Einsatz für Neue Musik, die in seinen ersten zehn Jahren zum beträchtlichen Anteil durch das Ensemble Modern aus dem Schmuddelecken-Image herausgeholt wurde.

Festakte werden meist von den Jublilaren selbst gesetzt, organisiert und besetzt. Deshalb zeigen sie das Prestigelevel mittels der auf dem Podium und als Gäste herbeigewunkenen Repräsentanten, aber auch die Prioritäten der Selbstdarstellung und damit das Selbstwertgefühl der (sich) Feiernden. Aufschlussreich: Das Ensemble Modern versicherte sich der Schirmherrschaft der Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters, beharrte allerdings für die ‚Festrede‘ bei einer Persönlichkeit aus der Kultur und passioniert-kritischen Kulturbetrachtung: Ilja Trojanow beschenkte die Jubilare und uns vor den Endgeräten mit einer Phänomenologie des Ensemble Modern, modelliert aus sensibler Prosa und einer Poesie der Aphorismen. Sicher wurde knapp vor dem Stream, der drei Monate in der Mediathek liegen wird, nochmals überlegt, was wirklich und weniger wichtig war. In den fein ausgeleuchteten Totalen mit dem Podium der Alten Oper Frankfurt und in den Einstellungen auf die neunzehn hierarchielosen Musiker in Selbstorganisation (und auf ihren Gast am Schlagwerk) demonstrierte man paritätische Gleichheit. Die Details finden sich auf der Website, bei Förderern wie der Kulturstiftung des Bundes und langfristigen Partnern, welche die noch immer exemplarische Konzert-, Projekt- und Bildungsarbeit des Ensemble Modern begleiten.

Nur die nötigsten Daten erwähnte Trojanow nach seinen hintersinnigen Benimmregeln für das nicht-physische Publikum. Er resümierte den Kampf gegen Vorbehalte, die Mitwirkung für die wirtschaftliche Lebensfähigkeit des freien Klangkörpers und dessen basisdemokratische Haltung, welche die Art des Musizierens sowie das Erobern von Partituren und Klangräumen bedingt. „Mitglied werden ist fast eine Lebensentscheidung“. Trojanow akzentuiert alles, was er sagt, mit Emotion.

Fürwahr ließ sich das Ensemble fürstlich beschenken und verteilte im Konzert wie auf der bereits im November veröffentlichten Doppel-CD köstliche Gaben. Vierzig Komponist*innen sandten Visitenkarten mit sie auszeichnenden Musikidiomen und ästhetischen Positionierungen, die das buntschillernde Aufgaben- und Lebensspektrum des Ensemble Modern spiegeln. Jedes der kurzen Stücke wurde den Musiker*innen mit allen Finessen zeitgemäßen Warendesigns ausgelegt: Knackig, frisch, appetitanregend und mit dem richtigen Sättigungsgehalt. Unterschied zu vielen Worthülsenakkumulationen rundum: Beim Ensemble Modern wirken Produktdesign, -philosophie und -strategie definitiv glaubwürdig.

Im Anpreisungs- und Wettbewerbsgetümmel beherzigt das Kollektiv nämlich das Axiom, dass keine oder wenig Werbung die beste Werbung ist. Kein Wort fiel von Premium-Tourneen zu den Paradehotspots der Szenen, keine Eigen-Schulterbeklopfungen mit Promireigen und Bestsellerzahlen, kaum Beschmückungslegitimationen durch Ausnahmepersönlichkeiten wie Hans Werner Henze, Nina Hagen und Frank Zappa.

Den Blick in die große, imponierende Diskographie mit Weill, immer Helmut Lachenmann und nahezu allen echten Sternen der Neuen Musik müssen Interessenten nach dieser Hommage noch immer selbst leisten, selbst wenn Trojanow mit einigen Musikern kurze Einzelgespräche führte und demonstriert wurde, wie ein Soundcheck geht. Trojanow sagt es: „Was Sie heute Abend hören, hängt von Ihren Ansprüchen ab.“ Das gilt für jede Begegnung mit dem Ensemble Modern.

Es gibt nur ganz wenige Vereinigungen, die so lebendig nach (aufgrund der Werk-Komplexitäten nötigen) Noten spielen wie das Ensemble Modern. Möge das noch lange so bleiben. Auf dem Podium sitzen viele Angehörige der mittleren Generation und bestätigen den nicht eigens als innovativ ausgepreisten Verjüngungsprozess.

Kein Wort fiel im Festakt zum anderen bedeutenden CD-Projekt des Jubiläumsprogramms: Zwölf Jahre Zeit ließ sich das Ensemble Moderne seit der von ihm geschulterten Uraufführung und darauf Auftritten mit der Tanzkompanie von Sasha Waltz. Die CD-Edition von Pascal Dusapins Oper „Passion“ treibt gegen den Strom des Merchandising: Diese Einspielung entstand nicht bei einem Try-Out vor der Uraufführung oder Demo-Tape, sondern ist nach einer intensiven Vorstellungsserie das Resume einer verdichteten Beziehung zu dieser filigranen Partitur. Eine derart entschleunigte strategische Nachdenklichkeit tut unheimlich gut und hat die Wirkung einer Glückspille. Happy Birthday!


Album: „Beschenkt – 40 Miniaturen zum Jubiläum“ am 27.11.2020 - Ensemble Modern | Ingo Metzmacher Dirigent - Komponist*innen: Mark Andre, Georges Aperghis, George Benjamin, Anthony Cheung, Pascal Dusapin, Peter Eötvös, David Fennessy, Brian Ferneyhough, Fred Frith, Bernhard Gander, Heiner Goebbels, Michael Gordon, HK Gruber, Martin Grütter, Georg Friedrich Haas, Saed Haddad, Markus Hechtle, Arnulf Herrmann, AAAnders Hillborg, Heinz Holliger, Márton Illés, Chikage Imai, Johannes Kalitzke, Hanspeter Kyburz, Philippe Manoury, Martin Matalon, Cathy Milliken, Ennio Morricone, Johannes Motschmann, Brigitta Muntendorf, Olga Neuwirth, Samir Odeh-Tamimi, Enno Poppe, Johannes Schöllhorn, Salvatore Sciarrino, Johannes Maria Staud, Vladimir Tarnopolski, Manfred Trojahn, Mark-Anthony Turnage, Vito Žuraj - EMCD-048/49: www.ensemble-modern.com/de/shop/cds/beschenkt-40-miniaturen-zum-jubilae…

CD Pascal Dusapin: Passion - Ensemble Modern - Franck Ollu, Leitung - Keren Motseri, Sopran - Georg Nigl, Bariton - Ueli Wiget, Cembalo - Vocalconsort Berlin. Thierry Coduys, Klangregie – EMCD-047: https://www.ensemble-modern.com/de/shop/cds/pascal-dusapin-passion/148#…

 

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