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Eine Schwarz-Rote Bühne, mehrere Mädchen in weißen Blusen, roten Mützen und roten Röcken stehen und schweben in verschiedenen Größen herum. In der Mitte eine Kabine. Links ein paar gestalten in Piratenkluft.
(v. l. n. r.) Young Doo Park, Dorothea Herbert, Tommi Hakala; im Video: Nina Vohs. Foto: Thomas Aurin
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Abgestürzter Holländer: Berger scheitert in Wiesbaden an Wagners „romantischer Oper“

Vorspann / Teaser

Regisseur Martin G. Berger zeigt am Hessischen Staatstheater Wiesbaden eine andere Geschichte als die, die Wagner erzählt: In der Schrift „Eine Mitteilung an meine Freunde“ hat Richard Wagner den Fliegenden Holländer eindeutig charakterisiert: Es sei „die Sehnsucht des Odysseus nach Heimat, Herd und Eheweib“ die diese mythische Figur, halb Ahasverus, halb Seefahrer, kennzeichne. Er führt weiter aus, leider in antisemitischem Ton und mit einer fragwürdigen Beschreibung eines „unvorhandene[n], unendlich weibliche[n] Weib[s]“, dass nur eine utopische, heroische Aufopferungsbereitschaft einer Frau die Todessehnsucht des „Holländers“ erfüllen kann. Diese Bereitschaft also kennzeichnet Senta, als sie sich opfert, um den Seefahrer, die Erlösung von seinem Fluch zu ermöglichen. Den hatte einst Satan über den „Holländer“ verhängt, als dieser beim Versuch, das Kap der Guten Hoffnung zu umsegeln, einen gotteslästerlichen Fluch ausstieß. Seitdem kann der Verfluchte nicht sterben und nur alle sieben Jahre an Land gehen, um die Frau zu finden, die ihn durch ihre Treue erlösen kann.

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Als Vorlage für diese romantische Oper diente Wagner Heinrich Heines Erzählung über den sagenumwobenen Holländer im gesellschaftskritischen Romanfragment „Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski“. Als reale Vorlage mag die Überlieferung der Geschichte des niederländischer Ostindienfahrer des 17. Jahrhunderts, Bernard Fokke gelten. Er war bekannt für die unglaubliche Geschwindigkeit, mit der er von den Niederlanden nach Java fuhr. Er legte die Strecke regelmäßig so schnell zurück, dass man ihm schon einen Bund mit dem Teufel nachsagte. Als er von seiner letzten Fahrt nicht zurückkehrte, ging man davon aus, dass er nun als „Fliegender Holländer“ im Auftrag des Teufels die Meere kreuzen müsse.

In Wiesbaden wohnt man einer Piraten Party des Unternehmers Daland in einem Bungalow mit Garage und hölzernen Gartenmöbeln samt bunter Glühbirnengirlande bei. Für die Mischung aus opulenter historischer Kostümierung (wie aus dem Fundus zusammengesucht) und heutiger Freizeitmode zwischen Karneval und Betriebsfeier ist Esther Bialas verantwortlich. Auf den Übertiteltafeln und auch auf einer Leinwand über dem Bungalow, den Alexandre Corazzola auf die Bühne gesetzt hat, ist bei geöffnetem Vorhang schon vor Beginn zu lesen: „Alle sieben Jahre feiert der Unternehmer Daland eine große Piratenparty. Auf dem Fest vor einundzwanzig Jahren verließ ihn seine Frau und nahm die damals vierzehnjährige Tochter Senta mit.“

Nun kehrt Senta also erstmals nach Hause zurück, ist mittlerweile schon 35 Jahre alt und soll an Dalands Zufallsbekanntschaft verschachert werden. Das lässt sich mit Wagners Libretto überhaupt nicht vereinbaren. Außerdem lernen wir vermutlich zum ersten Mal in der Inszenierungsgeschichte von Wagners vorrevolutionärem Werk aus dem Jahre 1843 die vom dichtenden Komponisten nicht einmal erwähnte Mutter kennen. Sie taucht jedenfalls in den Rückblende-Videos von Vincent Stefan immer wieder auf. Auf der heruntergelassenen Leinwand sieht man aber auch stürmische Meeresszenen, Ausschnitte aus einem historischen filmischen Holländerschinken, die Gesichter Sentas und des Holländers sowie Senta-Doubles als Mädchen mit roten Röckchen und roten Kopfbedeckungen. Das Regieteam erzählt plakativ psychologisierend „die Geschichte einer Entzauberung, in der die Realität hinter dem Mythos erkannt wird“ (Alexandre Corazzola).

Konsequent enttäuschende Umsetzung

Schon in der ersten Szene bemerkt man allerdings, dass die Behauptung der Rahmenhandlung, und der dann neben der Party konventionell aber willkürlich erzählten Geschichte, ein reines regieliches Lippenbekenntnis ist.

Im Video sieht man, zunächst nur angedeutet, doch im Verlaufe der Aufführung immer deutlicher, was Frau Daland und ihre Tochter aus dem Haus getrieben hat: Es war wohl ein Übergriff des Vaters auf die Tochter. Das ist eine Ergänzung, die einerseits mit Wagners Text nichts zu tun hat. Als Senta am Ende – gekleidet wie damals als Mädchen – von mehr als einem Dutzend anderen jungen Alter Egos umringt (Mädchen mit roten Röckchen) von ihrem Kindheitstrauma befreit an der Rampe steht, wird das Stück dadurch andererseits auch noch zu einem MeToo-unwürdigen, plakativen Erlösungsdrama.

Die Inszenierung ist verquast und sprunghaft, eine unruhige, verwirrende Bilderflut, es wird kräftig gegen die Vorgaben des Librettos gearbeitet, mehr und mehr wird das Bühnengeschehen der pausenlosen Aufführung tumultuös. Nach und nach werden „alle im übertragenen Sinne immer mehr zu Piraten“, so Regisseur Berger im Programmheft. „Das Zivilisatorische wird mit dem Piratischen überschrieben“. Wie Ausstatter Alexandre Corazzola erläutert: „In unserer Interpretation erzählen wir eine Art schieflaufender Coming of Age-Story.“ Und Schiefgelaufen ist auch die Inszenierung, die das Publikum beim Auftreten des Regieteams vor den Vorhang denn auch mit einem Buh-Orkan quittierte.

Missglücktes Quasi-Debut

Im Gegensatz dazu ist die musikalische Qualität der Aufführung geradezu fulminant, wenn auch mit sängerischen Einschränkungen. 
Der Wiesbadener GMD Leo McFall dirigiert das Hessische Staatsorchester Wiesbaden vom ersten Takt der Ouvertüre an zu einem dramatisch zupackenden, ja stürmischen Wagner. Der finnische Bariton Tommi Hakala ist ein stimmlich geradezu sensationeller Holländer. Er spielt, wie ein Gespenst als mythische Gestalt in historischer Kleidung auftretend, trotz allem Verwirrenden um ihn herum höchst kultiviert und singt mit gut sitzender, durchschlagskräftiger, viriler Stimme und bewundernswerter Wortverständlichkeit. Auch der koreanische Bass Young Doo Park singt einen prachtvollen Daland. Die Münchner Sopranistin Dorothea Herbert, die an vielen Theatern von sich reden macht, hat zwar erstaunliche Spitzentöne und eindrucksvolle Kraft, aber so ganz nimmt man ihr die Partie nicht ab, was aber vor allem der Regie anzulasten ist. Allein ihre Ausstattung ist unglücklich, spielen muss sie schließlich in Jeans, mit schlechter Frisur und mit übergestülptem Mädchenrock, der einfach lächerlich wirkt. Sowohl der irische Tenor Aaron Cawley als Erik mit großen gesangstechnischen Problemen und unschön forcierten Tönen, als auch die kalifornische Mezzosopranistin Ariana Lucas (Mary) als groteske Partynudel sind schlichtweg inakzeptabel. Der Steuermann von Lukas Schmidt ist vokal einerseits nicht gerade bezaubernd und stimmlich andererseits eine Nummer zu klein. Die von Albert Horne einstudierten Chöre begeistern, auch wenn im letzten Akt alles Drunter und Drüber ging. Alles in allem eine Enttäuschung, szenisch zumindest, auch wenn der Dirigent alles tat, die Aufführung zu retten.

Richard Wagners abgründige romantische Oper „Der fliegende Holländer“ ist die erste große Musiktheaterpremiere aus dem klassischen Repertoire, die unter der Leitung des Wiesbadener Intendantinnen-Duos Dorothea Hartmann und Beate Heine über die Bühne geht.

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