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Uwe Schenker-Primus (rechts am Schreibtisch) mit Marlene Gaßner und Emma Moore (Verkäuferinnen) und dem Opernchor, im Film: Johanna Geißler (Verkäuferin). Foto: © Candy Welz.
Uwe Schenker-Primus (rechts am Schreibtisch) mit Marlene Gaßner und Emma Moore (Verkäuferinnen) und dem Opernchor, im Film: Johanna Geißler (Verkäuferin). Foto: © Candy Welz.
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Ätzend und burlesk: „Der Silbersee“ von Kaiser und Weill am DNT Weimar

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„Der Silbersee. Ein Wintermärchen“ wurde die letzte Zusammenarbeit des Dramatikers Georg Kaisers mit Kurt Weill . Drei Wochen nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, vor fast 90 Jahren war die dreifache Uraufführung der ‚Schauspieloper‘, am 18. Februar 1933 in Erfurt, Magdeburg und Leipzig. Die musikalische Seite ist am Deutschen Nationaltheater Weimar unter dem neuen zweiten Kapellmeister Friedrich Praetorius erfüllt von Charisma und hat sogar maliziöse Süße. Die Inszenierung von Andrea Moses gerät zum bildschönen, aber auch harten Kommentar über Wirtschaftsgegenwart und nahe Zukunft.

Am Ende schwirrt alles in Silber. Der Opernchor des DNT (Einstudierung: Emanuel Winter) wirkt als apotheotische Silbersee-Community so glitzernd wie eine frisch polierte Auto-Karosserie. Paare aller geschlechtlichen Couleurs bilden ein glückliches, sanft bewegtes Meer. Indes brausen Spielzeug-Teslas mit Antennensteuerung nach vorne. An den Seiten reihen sich in übergroßen Projektionen menschliche Arbeiter-Avatare. Schöne neue turbo-kapitalistische Welt mit Renditegarantie. Was soll's, dass in Jan Pappelbaums schwarzem Bühnenkasten sich vor allem industrieller und dekorativer Konsum-Tand ansammelt? Was soll's, dass Meentje Nielsens Kostüme schreiend bunt Arbeitswelten, faden Alltag und Luxus-Gehabe attraktiv verzaubern? Andrea Moses’ Inszenierung ist ein bildschöner, aber hinter den schönen Bildern perfider Kommentar zur Gegenwart und nahen Zukunft: Zeitgeschichte als antihumaner Supergau aus Wachstum und Massenbeschwichtigung. Ohne es eigens zu erwähnen, zieht Moses mit den düsteren Visionen des Romanciers Michel Houellebecq an einem Strang, nur entschieden unterhaltsamer und vor allem operettiger.

Trotz der von ihm ausgehenden Faszination wurde „Der Silbersee“ kein Repertoirestück wie Weills und Brechts „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“. Die Nationalsozialisten rasselten nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933, welcher drei Wochen später die „Silbersee“-Uraufführung folgte, noch bedrohlicher mit ihren ideologischen Ketten und beendeten mit wenigen Schlägen das pulsierende, quicklebendige, queere Kulturleben der Weimarer Republik. Bereits fünf Wochen nach der „Silbersee“-Uraufführung war der jüdische Komponist Kurt Weill auf dem Weg in die Emigration. Insofern ist „Der Silbersee“ ein großer Abgesang.

Bänkelton und politische Aphorismen, Modernität und Poesie prallen in diesem Opus summum aufeinander. Die ausgedehnten Dialoge mit der weniger umfangreichen Musik zu verbinden ist sehr schwer – und gerade das gelang am DNT außerordentlich gut. Sowohl szenisch, weil Operndirektorin Andrea Moses Videos mit dramaturgischem Geschick und Komödiantik ansetzt. Und auch musikalisch, weil der neue zweite Kapellmeister Friedrich Praetorius ein elegantes Händchen für Kurt Weill hat. Ganz ungewohnte Weill-Klänge entwickelt er mit der Staatskapelle Weimar. Selten hört man die angeschrägten Bläsersoli und Gesänge so schön, manchmal mit einem Schuss pikanter Parfürmiertheit und so ganz ohne den Geruch der Gosse. Das nimmt der Musik die Bodenschwere herkömmlicher Interpretationen und gibt den langen Sprechszenen automatisch mehr Gewicht. Diese Mischung macht‘s einfach, auch weil der „Silbersee“ dadurch sogar ein bisschen melancholisch und reminiszenzen-selig leuchtet und trotzdem welkt.

Das Ensemble dazu passt optimal: Heike Porstein hat als Fennimore die Stimme eines Engels, der ohne prätentiöses Röhren auch böse, besser unartig ist und bringt auf Rollerskates am Ende sogar die Sektgläser für die beiden Verlierer Severin und Olim. In ihrem anderen Paradeauftritt tritt sie mit Germania-Flügelhelm im schwarzen Spitzenkleid an die Harfe. Camila Ribero-Souza gibt als Frau von Luber mit Akzent und Grandezza eine neofeudale, großkapitalistische Bitch vom allerfeinsten. Auf gleicher Grandeur-Ebene agiert die Herrenriege. Uwe Schenker-Primus als Landjäger und Ordnungshüter Olim, der seinen gestellten Diebeshäftling Severin im Hospital besucht und die Freundschaft anträgt. Alexander Günther, der als Ganove Severin neben vielen Dialogen einen ins Heldentenorale spielenden Song bravourös anstimmt. Dann noch Jörn Eichler in den Rollen von Elon Musk alias Lotterieagent, Diener und vor allem als Baron Laur, seines Zeichens Bettgespiele der am Schluss triumphierenden Frau von Luber, der Euro- und Dollarprinzessin aus Grünheide. Die kleineren Partien machen sich bestens.

Am Peetzsee bei Grünheide östlich von Berlin, wo Georg Kaiser lebte und Weill als dessen Gast einen Teil der Partitur komponierte, gibt es neben dem 2022 mit viel Wirtschafts- und Regionalspektakel eröffneten Tesla-Werk Spuren deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts. Dort lebte der Sozialismus-Utopiker Robert Havemann und befand sich ein Außenlager des KZ Sachsenhausen. Mit einer fast übergriffigen Zeichenvielzahl ist das alles im Bühnenbild und im szenischen Spiel zu sehen oder zumindest angedeutet. Helmut Dietl hätte an der mit schwarzem Klebeband an eine Säule gefesselten Rewe-Verkäuferin seine helle Freude gehabt und die Verfolgungsjagd durch die Ladenpassage neben dem DNT erreichte bestes Vorabend-Fernsehformat (Film: Sarah Derendinger). Es gab gleich vier beste Nebenrollen von Babelsberg- und Geiselgasteig-Format: Aus dem Musiktheater Emma Moore und Marlene Gaßner als naiv bis resigniert über Dienstzeit-Vergünstigungen palavernde Verkäuferinnen und aus dem Schauspielensemble Nahuel Häfliger mit Isabel Tetzner, letztere „nur“ auf der Leinwand. Um Lichtjahre entfernt von dem, was episches Theater sein sollte, könnte oder müsste, macht hat dieser „Silbersee“ nur wenig Traurigkeit und glänzt dafür mit einem Sarkasmus, der wie Lack einen ätzenden Pessimismus überlagert.

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