Auf den ersten Blick scheint das Ultraschall-Festival Federn gelassen zu haben, und doch kann der erste Jahrgang im neuen „Design“ und unter teils neuer Leitung als rundum positiv gewertet werden. Mit Andreas Göbel hat der rbb (Rundfunk Berlin-Brandenburg) endlich wieder einen regulären Redakteur für Neue Musik, der mit Rainer Pöllmann vom Deutschlandradio Kultur nahtlos, doch durchaus aktiv – etwa in Pausengesprächen mit Künstlern und Komponisten oder im unermüdlich angepriesenen „Blog“ der neuen Website – zusammenarbeitete. Die Strategie der „zwei Handschriften“, mit der sich Pöllmann und Göbels Vorgängererin Margarete Zander bisher teils befruchtend, gelegentlich auch störend gegenseitig profilierten, ist bei der Reduzierung des Festivals von zehn auf fünf Tage, ergänzt durch einen „Prolog“ und einen „Epilog“, nicht mehr durchführbar. Unter dem neuen Titel „Ultraschall Berlin“ sollen durch diese Reduktion und Konzentration mehr auswärtige Besucher angezogen werden. Bei gleichbleibendem Budget können so etwas entspannter durchaus noch die alten Schwerpunkte bearbeitet werden – obwohl das diesjährige Thema „Duo“ zunächst den erschrockenen Stoßseufzer hervorlockte: „Oh Gott, die Sender haben kein Geld mehr!“
Doch gerade die Vielgestaltigkeit und Differenziertheit der Duos überzeugte – die sich nicht nur als Kompositionen für zwei Musiker, sondern zum Teil auch innerhalb größerer Formationen oder in Gestalt virtuos musizierender Komponisten antreffen ließen. So bei Jörg Widmann, mit dessen „Drei Bruchstücken“ für Klarinette und Klavier das Festival eröffnet wurde und dies im Konzert des Deutschen Symphonie-Orchester-Berlin, das in kluger Dramaturgie jeweils zur nächstgrößeren Besetzung fortschritt. Fragmentarisch zersplittert, verschiedene Ausdrucksqualitäten kontrastreich konfrontierend, lieferten sie vielleicht keine neuen Erkenntnisse über Anton Webern hinaus, doch gefielen sie durch klangliche Dichte und Sensibilität. Stücke, die eigentlich eher ins „normale“ Konzertprogramm gehören, um für die Kontinuität im Neuen zu werben, statt vors originalitätssüchtige Avantgarde-Publikum – das es so bei Ultraschall Gottseidank gar nicht gibt. Denn hier ging es erklärtermaßen ja immer um das Wiederaufgreifen „guter“ Musik, die nach ihrer mehr oder weniger spektakulären Uraufführung in der Versenkung oder einfach irgendwo im gewöhnlichen Konzertbetrieb verschwand, um sie erneut auf den Prüfstand oder in neue Zusammenhänge zu stellen, Aufführungs- und Hörtraditionen zu verstärken. So erfreute in den beiden Orchesterkonzerten die „Wieder“-Begegnung mit dem Doppelkonzert „Janus“ von Heinz Holliger, in dem das „Duo“ Violine und Viola konfliktreiche, von ausgewählten Instrumentengruppen sekundierte „Duelle“ und „Dialoge eingeht, erschütterte sie aufs neue bei „Tenebrae“ von Klaus Huber – „ich glaube, das Stück wird heute genauso, wenn nicht besser verstanden als, damals 1968, meinte der fast 90-Jährige Komponist dazu, der sich dagegen verwahrte, jemals etwas „direkt Politisches“ geschrieben zu haben. Helmut Lachenmanns „Schreiben“ überwältigte durch Fantasie und Konsequenz der Materialbehandlung, die Gudrun Ensslins „Schreibt auf unsere Haut“ auf Trommelfellen, Violinstegen, Gongs, Posaunenventilen und in der bloßen Luft beherzigt, eine unendlich differenzierte Geräuschpalette zum riesigen, farbenreichen Klang weitet. Eher dokumentarischer Wert kam dagegen Giacinto Scelsis als Rarität angepriesener Uraufführung „Kamakala“ zu, zu deutlich trug dieses 2012 entdeckte und auf das Ende der 1950er- Jahre datierte Werk Spuren des Übergangs zwischen zwei sehr gegensätzlichen Stilphasen.
Dass die Jungen noch suchen und sich erproben, versteht sich von selbst. So kann die Generation der Dreißig- bis Vierzigjährigen zu Ergebnissen kommen, die auf Lachenmanns Spuren verbleiben. Dem Alltagsgeräusch ergibt sich die Schwedin Malin Bong, die ein Jahr lang als Gast des DAAD in Berlin lebte. Die „musikalische Feldforschung“ ihres Ultraschall-Programms bezog die Stadt ein, versuchte Orte wie den Flohmarkt am Mauerpark oder das Tempelhofer Feld musikalisch zu konkretisieren, teils durch zum Klingen gebrachte Objekte, teils durch eingesprochene Texte von doch eher äußerlicher Wirkung. Zwei Schaufensterpuppen, Schaukeln, eine Metallskulptur, das fügte sich zwar in eine elegante, ästhetisch ausgeleuchtete Choreografie der „Curious Chamber Players“ stimmig ein, auch schreibt Bång durchaus dichte Partituren von akribischer Genauigkeit. Der klingende Gewinn der vielfältigen Aktionen blieb aber dennoch bescheiden: Zu allgemein, auf das erste Hören zu gleichförmig entwickeln sich ihre Panoramen raschelnder, klappernder und zappelnder Geräusche, verbleiben im Duktus einer archaisch wirkenden Entstehung aus dem Nichts und ihrer hektischen Steigerung. Natürlich, ein Stück wie „Splitt Rudder“ für die schon optisch eindrucksvolle verstärkte Paetzold-Kontrabassflöte und Elektronik kann seine Wirkung nie verfehlen, entkam in Anna Petrinis fulminanter Wiedergabe und in Auslotung sämtlicher Klangmöglichkeiten der allgemeinen Entsinnlichung.
Das umfangreiche Portrait der schwedischen Komponistin ergänzte ein Streifzug durch die norwegische Avantgarde, präsentiert vom Ensemble „asamisimasa“, das schon vor drei Jahren mit einer hinreißenden Performance mit Werken des Dänen Simon Steen-Andersen begeistert hatte.
Doch die Werke Lars Petter Hagens oder Max Wainwrights zeichneten sich zwar durch undogmatische Experimentierlust und furchtlosen Umgang mit Elektronik aus; zur erfindungsreichen Konkretion eines Steen-Andersen stieß aber auch Øyvind Torvund mit seinem Stück „Plastic Wave“ für Klavier und Quartett nicht vor, das immerhin mit beachtlicher Virtuosität instrumentale Identitäten immer neu überformt und „überschwemmt“.
Das vielleicht interessanteste Stück dieser Serie, „Inferno“ für Schlagzeug und Video von Trond Reinholdtsen, fiel der allzu komplexen Computertechnik zum Opfer – ein echter Festival-Unglücksfall, über den auch die Awussicht, dem Stück im nächsten Jahr zu begegnen, kaum hinwegtrösten konnte.
Deutsch-flämisch-französische Zusammenarbeit betreibt das Projekt „New Forum Jeune Création“ – ein fragwürdiges Unterfangen angesichts von 180 Bewerbungen, aus denen sage und schreibe sechs junge Komponisten zur zweijährigen Zusammenarbeit mit Ensembles und Studios übrig blieben. Das deutsche „ensemble mosaik“ spielte also Dünnblütiges von Eduardo Moguillansky, in dem Visuelles und Akustisches allzu kongruent blieben. Stärkere, originellere Klänge bot Aurelio Edler-Copes in „Contre les Murs“. Johannes Kreidlers „Slide show music“ setzt auf den fragwürdigen Schockwert von „Muzak“, aus der sich Instrumental- und Video-Elemente ebenso platt wie rudimentär erheben. Unterhaltsameres Futter erhielt das Ensemble „ChampdAction“ durch Hikari Kiyamas „Kojiki“, „irgendwie“ erfrischend, vielleicht sogar provozierend durch seinen vitalen, ungeniert in Pop und Free Jazz wildernden Lärm. Das Ensemble Orchestral Contemporain setzte dem gepflegte Instrumentalkunst von Aurélien Dumont und Christopher Trapani entgegen, klanglich elegant., selten überraschend.
Und die Duos? Apart wirkte vor allem die Kombination von Basszither und Violoncello in Leopold Hurts „Aggregat“ - dem orchestral verstärkende Elektronik keinen Gefallen tat. Das Klavierduo Grau/Schumacher bewies vor allem mit György Ligetis „Monument – Selbstportrait – Bewegung“, dass ehrgeizige Konstruktion und Unmittelbarkeit kein Widerspruch sein müssen, zur Begeisterung eines zahlreichen Publikums. Herausragend, berührend, in entlegene Welten führend dann zu späterer Stunde das Recital von Claudia Barainsky mit verspielten, spröden, hochsensiblen und ausdrucksstarken Beiträgen zur immer noch lebendigen Gattung Klavierlied von Jan Müller-Wieland, Philipp Maintz, Walter Zimmermann und Hans-Jürgen von Bose.