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Babylonische Verwirrung der Stimmen, Gesten und Grimassen: Das Collegium Musicum der Universität zu Köln bei der Uraufführung von Gerhard Stäblers „...AUSREISSEN DAMIT / ES GRÜN BLEIBT...“. Foto: Stefan Pieper
Babylonische Verwirrung der Stimmen, Gesten und Grimassen: Das Collegium Musicum der Universität zu Köln bei der Uraufführung von Gerhard Stäblers „...AUSREISSEN DAMIT / ES GRÜN BLEIBT...“. Foto: Stefan Pieper
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Alles neu macht der Mai: Kölner Acht-Brücken-Festival kümmert sich um Politik

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Musik und Politik ist das Motto des Kölner Acht-Brücken-Festivals, das noch bis zum 10. Mai überall in Köln musikalische Aufgeklärtheit verbreitet. Die fünfte Festivalausgabe konnte sich ab dem Maifeiertag mit bester Publikumsresonanz warmlaufen!

„Acht Brücken“ zeigt, wie Neue Musik geht: „Jetzt singen Sie die Silben, welche auf dem Zettel stehen mal in einer beliebigen Tonlage, ganz so wie Sie möchten“, fordert Michael Ostrzyga den Publikums-Chor im Foyer der Kölner Philharmonie auf. Cluster-Vielklänge stellen sich ein – gar nicht mal so unähnlich denen bei jener elektrisierenden Luigi-Nono-Aufführung durch das SWR-Experimentalstudio am Eröffnungsabend. Im Foyer erklingt nun imaginäre Hymne für ein Land, das es nicht gibt. „Das Gras müssen wir ausreißen, damit es grün bleibt“ ist der Leitsatz in Gerhard Stäblers neuer Komposition „Aufriss“. Damit der Schoß nicht wieder fruchtbar wird, aus dem so manches schlimme kroch? Auf jeden Fall geht es um die Demaskierung hohler Rituale. Was Hymnen manchmal ja auch sind.

Fantasiegesättigte Klangwelten erobern das Kölner Rathaus mit Stäblers besagtem Raumklang-Werk, der ersten großen Uraufführung. Ein halbes Dutzend Instrumental- und Vokalgruppen sind überall auf den Emporen verteilt. Oft ist das akustisch babylonisch verwirrend. Aber die Vernetzung der Klangereignisse und Dirigate über große räumliche Entfernungen fasziniert das Laufpublikum bei diesem mittäglichen Gratis-Konzert. Die gesungenen Texte von Nono, Heiner Müller und Paul Celan kreisen um das Verhältnis zwischen dem „heute“ und dem wohl düstersten Kapitel unserer Geschichte. Zivilcourage muss her, damit sich so etwas nie wiederholt.

Dem politischen Festivalmotto wird in Köln mal loser, dann wieder unmittelbarer gehuldigt - während bei den Maikundgebungen auf dem Kölner Heumarkt fleißig gegen TTIP & Co unterschrieben wurde.

Der 1989 geborene Komponist Sascha Thiele sieht Zusammenhänge zwischen Musikereignis und öffentlicher Sache eher pessimistisch und bricht alles erstmal auf die ganz unmittelbare Umgebung herunter. Also erstmal direkt im Konzertsaal die dortigen Rituale aufbrechen! Viel temperamentvolles Aufrührertum entfaltet Thieles neues Orchesterwerk „Pseudo“. Mittendrin geht der Dirigent einfach weg – das Landesjugendorchester NRW spielt trotzdem weiter und übernimmt auch gleich den Schlussapplaus dieser Uraufführung. Respekt, wer es selber macht.

Der Niederländer Louis Andriessen gehört zu den Schwerpunktthemen in diesem Jahr. Er fühlte sich in seinem Werk „Klokken voor Haarlem“ in historische und akustische Gegebenheiten seiner Heimat ein: Die Glocken in seiner Heimat wurden während des Krieges demontiert und versteckt, weil sie sonst von den Nazis geraubt worden wären, die nach dem Metall gierten.

Das Läuten in den Niederlanden erfolgt oft in einer eigenwilligen Vielstimmigkeit. Andriessen hat daraus eine minimalistisch atmende Melodik abgeleitet – und die zwei Pianisten und zwei Schlagwerker vom Jugendensemble des Landesmusikrats NRW schufen daraus eine kurze, aber eindringliche Sternstunde der Sensibilität.

Einer der besten Konzertsäle des Landes befindet sich in Köln tief unter dem quirligen Mittelpunkt der Stadt. In dieser Unterwelt ging es mit den New Yorker Philharmonikern spektakulär zu: Esa Pekka-Salonens 2011 entstandene Komposition „Nyx“ ist eine Auseinandersetzung mit unbewussten Traumzuständen – oder gleich mit dem Jenseits? Die New Yorker vereinen typisch amerikanische Klangbrillanz mit einer frappierend analytischen Präzision. In Bartoks „Wunderbarem Mandarin“ toben in logischer Konsequenz orgiastische Crescendi, zielt die Motorik auf brutale rhythmische Zuspitzung ab. Thematisch geht es eine Mordgeschichte aus dem Zuhältermilieu, aber auch um Verführung. Noch Konrad Adenauer verbot soviel Unanständigkeit auf einer Konzertbühne und damit die Aufführung dieses – seitdem selten zu hörenden – Bartok-Werkes.

In Peter Eötvös‘ neuem Opern-Einakter „Senza Sangue“ geht es um die Auswirkungen von Bürgerkriegen auf das Einzelindividuum. Eine Frau wurde als Kind bei einem Überfall auf ihre ganze Familie von einem der Täter verschont. Beide treffen sich später wieder, reden über Schuld, Verletzung und Vergeltung. Die schwedische Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter gestaltet diese Rolle mit hypnotischer Präsenz. Auch Russell Brauns klarer Bariton durchdringt den gewaltigen, oft beängstigenden Ozean aus tosenden, bebenden, funkelnden Klangereignissen, mit denen unter Alan Gilberts Leitung dieser riesige Apparat jede noch so feine Seelenregung  ausdifferenziert. Ganz große Klasse ist auch, wie Gilbert die New Yorker Philharmoniker auf ihre deklamatorische Aufgabe einzuschwören weiß.

Dass sich tatsächlich Festivalbesucher nach dieser grandiosen Uraufführung sofort ein Konzert von Atari Teenage Riot antun, hatten die Programm-Macher anscheinend nicht wirklich einkalkuliert. Sonst hätte man dieses Kontrast-Ereignis wohl etwas später anfangen lassen. Erst einmal vor Ort, geraten Körper und Sinne schnell in Rage bei Ravesounds, Noise, Punk und Industrial. Die Energie der 90er lebt auf, wird aber auch mit frech platzierten Eurodance-Synthezisern und Metal-Einflüssen ins Heute verpflanzt. Die schneidenden Slogans von Alec Empire, die gellenden Vocals seiner künstlerischen Partnerin Nic Endo und die Rap-Salven eines Rowdy Superstar üben Systemkritik gegen Kapitalismus und Überwachung – und als amtliche Cyberpunk-Rebellen haben Atarti Teenage Riot mehr denn je die Netzwelt im Fokus. Auch wenn die Performance „zahmer“ geworden ist und allzu brachiale Attacken aufs Publikum heute ausbleiben: Genug Ästhetik des Widerstands ließ dennoch die Wände des Stadtgartens wackeln. 

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