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Mahagonny in Radebeul.Foto: Sebastian Hoppe
Mahagonny in Radebeul.Foto: Sebastian Hoppe
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Allzu billige Gegenwart: „Mahagonny“ an den Landesbühnen Sachsen

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Vor der neoliberalistischen Realität versagt sogar das Instrumentarium des post-realistischen Musiktheaters der guten alten DDR-Schule. Mit „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ haben die Landesbühnen Sachsen neben großen Verdiensten wie zuletzt mit „Katja Kabanova“, „Der Besuch der alten Dame“ und „Sunday in the Park with George“ kein großes Glück.

1962 kam das in der legendären Brecher-Ära an der Oper 1930 uraufgeführte Opus an den Landesbühnen Sachsen erstmals auf einem DDR-Theater heraus. 1995 wiederholte Joachim Herz dort seinen durch Remakes am Münchner Gärtnerplatztheater und im durch die Wiedervereinigung beschleunigten Zeitgeist lahm gewordenen Ansatz.

Schlechte Zeiten also nicht nur für Lyrik, die Brecht in „Mahagonny“ von der Poesie schon in den sachlichen Aphorismus überführt, sondern ebenso mustergültig für die Darstellung von dekorativer Dekadenz? Genau: „Wer es mit dem Laster treibt, der wird nicht alt.“ Gilt das auch für die Inszenierung von Manuel Schöbel? Der Intendant der Landesbühnen Sachsen versammelt auf der Bühne eine Menge schräger Vögel und sogar eine gesund-vitale Dragqueen, die mit perfekten Umgangsformen zwischen Fitness-Studio und einem „Käfig voller Narren“ swingt.

Der verfremdende Laufsteg zieht eine Diagonale quer durch den Zuschauerraum im Stammhaus Radebeul bis zur Bühne, auf die Stefan Wiel mit der kindlich gemalten Asphalt-Straße zum Horizont (hinter die sieben Berge?) erst ein naives Bild, später mit dem projizierten Hurrikan dann ein fotoscharfes Bild setzt. Die Kostüme: Bemüht billig und „Extra“ ordinär. Hier rächt sich, dass man offenbar mit bester Absicht die Ramsch-Polystilistik der Jetztzeit imitiert, aber die Überhöhung und Verzauberung für un-Brechtmäßig hält. Also wird Brechts und Weills Pseudo-Realismus zum traurig bemühten Realismus.

Die Solisten reißen einiges heraus – in erster Linie der vokal und szenisch ebenso sympathisch wie als Persönlichkeit spannungslose Jim Mahoney (Aljaz Vesel). Der will niemanden etwas Böses und kommt wenigstens in der ersten Stückhälfte zu seiner hart erarbeiteten Ballermann-Freizeit. Aber das als Pauschalurlaub mit Extraleistungen missverstandene Mahagonny-Gastspiel nimmt dann halt doch ein anderes Ende als erwartet. Dabei sind die beiden Frauen Begbick (Michaela Ische) und Jenny (Kirsten Labonte), die schon etwas reifer und deshalb im bordeauxroten Samt-Overall etwas verruchter wirkt, mit geoutet wirtschaftlicher Kaltblütig- und Schlampenhaftigkeit ganz gut getroffen. Aber etwas fehlt, wenn ein etwa aus „Endstation Sehnsucht“ bekannt intensiver Darsteller wie Paul G. Song (Dreieinigkeitsmoses) blass wird. Die heutige Dekadenz ist demzufolge nicht opulent, sondern platt – das versteht man: So empfangen die dumpfen Lohnabhängigen – es sind bei Schöbel eher Arbeiter von früher als mobilisierte Bürofuzzis in absurden Jobverhältnissen – die Nachrichten über Mahagonny aus dem Smartphon. Der Herrenchor legt in die großen Choreinsätze (solide einstudiert von Karl Bernewitz) müde Deutlichkeit, durch welche die von Brecht und Weill hellsichtig vorausgeahnte Demonstration der Populisten so gar nicht aufrüttelnd geraten will. Die Produktion wird zum perfekten Lehrmittel dafür, dass sich die Spiegelung sozialer Lethargie nicht mit bühnengemäßer Lethargie reproduzieren lässt.

Man merkt den konzeptionellen Gestaltungswillen an der musikalischen Umsetzung: Hans-Peter Preu beginnt mit der Elbland Philharmonie Sachsen und der Spezialeinheit mit Zither, Banjo und Saxophonen erst beglückend angemessen: Weills instrumentale Reizungen kommen kammermusikalisch selbstverständlich. Der Sound hat nicht das Pseudo-Provokative, mit der sich einige Kapellmeister fast 90 Jahre nach der Uraufführung mit Weill noch immer eine Nasenlänge Extravaganz genehmigen und dann für mutige Avantgardisten halten. Preu hätte es gekonnt: Etwas schräg, etwas kammermusikalisch und dann voll in die von Weill zwar karikierte, aber trotzdem geliebte Melodramatik hochrauschend. Das hätte schön, wahrhaft und stimmig werden können. Aber auch hier: Weill verträgt die Verwechslung von gesuchter Neutralität und selbstschädigender musikalischer Askese nicht ganz. Gipfel der Dialektik: Als die Drag Queen (Anderson Pinheiro da Silva) im schulterfreien roten Paillettenkleid ein besonders exponiertes Tanzsolo hinlegt, stecken zwei in der Nähe des Laufstegs sitzende Besucherinnen die Köpfe zusammen und flüstern sich Intimes über einen Pausensnack zu. Also doch: “Warum soll ich nicht meinen Hut aufessen?”

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