Hauptbild
Julius Kuhn, Wolfgang Schwaninger Foto: Jan-Pieter Fuhr

Julius Kuhn, Wolfgang Schwaninger. Foto: Jan-Pieter Fuhr

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Allzu Vielerlei von Allerlei – Moritz Eggerts „Die letzte Verschwörung“ in Augsburg

Vorspann / Teaser

Im Idealfall trifft ein Verdi seinen Boito – und beide genial Begabten vertrauen einander, hören künstlerisch aufeinander, nehmen Ratschläge und Verbesserungsvorschläge an, gestalten miteinander – und wir können am Ende Meisterwerke erleben, Werke, die sich an die großen Themen ihrer Zeit wagen.

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

In unserer Zeit: die Flut aller Probleme. Inmitten all unserer Reizüberflutung haben sich der gerne inszenierende Intendant André Bücker und sein inzwischen auf Jahre in den Martini-Park ausgesiedeltes Staatstheater Augsburg getraut, diese Problematik auch in der technisch beschränkten Ersatzspielstätte zu gestalten. Also ein Spielsteg über das große Orchester bis nach vorne an die erste Sitzreihe; links und rechts große Bildschirme und mit Robi Voigt ein Video-Mann, der „in die Vollen“ gehen durfte, also Videozuspiel eines Moderators, der als „System“ vorgibt, wir könnten via eines QR-Codes Spielfassungen auswählen – natürlich Fake – und dann über beide Akte eine Flut aus bunter Designer-Grafik, verwaschenen Daten-Bildschirmen, im Text mal genannten Fotos und schließlich  bedrohliche Echsen-Aliens … bunte Dauerbeflutung ohne bannende Wirkung. 

Der Handlungseinstieg um „Immer wieder Mittwochs“ könnte interessieren: eine jener Talkshows, die den Äther vermüllen mit dem an sich Vernunft-orientierten, aber halt Quoten-fixierten Moderator Quandt – doch nach Talkshow-Schwachsinn folgen: Promi-Leben, Geheimdienst-Geschwurbel, eine Flut an Verschwörungsmythen, von der „Erde als Scheibe“ bis hin zu den Illuminaten aus dem 18. Jahrhundert, Techno-Monopole um „6G“, Ibiza-Anspielung, Ehe–Kinder–Probleme, neue Liebe zur geheimnisvollen Lara, alberne nächtliche Park-Chöre, Cum-Ex-Anspielung, Scheitern der Idylle, Polit-Korruption, Quandt und Lara als Widerständler mit Schnellfeuergewehren im Kanzleramt, dazwischen immer wieder der „System“-Moderator mit hüftlangem Zopf ohne Witz oder Gefährlichkeit … und auch noch alle anderen Themen unsere Welt von der „Gates“-Verschwörung hin zu Kindermorden wegen Adrenochrom und der von einem Elvis-Imitat per Gitarren-Penis bewirkten Geburt eines neuen Hybrid-Menschen … 

Doch der Themen-Tsunami verstrahlte weder Abgrund oder gar Horror und leider auch nur mal müden Witz: wenn Augsburgs unwürdiger Theaterbau-Skandal mit einem unverantwortlich selbstherrlichen Bauamtsleiter, unverantwortlicher Architektenkündigung und unverantwortlichen Kostensteigerungen auf ein Nebensatzerl herabgewürdigt oder dann gar mal auf „blöder“ halt „Söder“ gereimt wird … Erkenntnis nach zwei Akten: Moritz Eggert wurde als sein eigener Librettist vom „horror vacui“ überwältigt: ja nix weglassen, ja zu allem Stellung beziehen. Da er gerne als Polit-Kolumnist schreibt: fast jedes der angerissenen Themen wäre es wert, ernsthaft, bissig, entlarvend, spöttisch schonungslos, gnadenlos enthüllend behandelt zu werden – doch zur Polit-Operette fehlte alle intellektuell spritzige Leichtigkeit und zur Oper die dramatisch erschreckende Fallhöhe.

Bild
Avtandil Kaspeli, Opernchor. Foto: Jan-Pieter Fuhr

Avtandil Kaspeli, Opernchor. Foto: Jan-Pieter Fuhr

Text

Denn Eggert hat all das gleich für ein großes Orchester komponiert. Doch auch hier: kein eingängiges, wieder erhörbares Thema, etwa zur Liebe Quandt-Lara, oder wirklich drohende, gar überwältigende Wucht – so sehr die Paukerin mit dem Tam-Tam-Kollegen auch mal einen Donnerschlag versuchte. GMD Domonkos Héja leitete das alles klar und engagiert – doch das wabernd austauschbare Klangmeer mit allerlei Zitaten konnte er auch nicht zu beängstigender Fahlheit oder tosendem Chaos aufspannen. 

Dennoch einhelliger Beifall am Schluss: den hatten alle Solisten, voran der ölig überhebliche Moderator von Julius Kuhn, dann der zwei Akte durchweg geforderte und bravourös durchhaltende Quant von Wolfgang Schwaninger und die schön-geheimnisvolle Lara von Jihyun Cecilia Lee verdient. Insgesamt leider eine Parallele zum Erdscheiben-Verschwörungsmythos: auch wenn es Überarbeitungen nach der Wiener Uraufführung gab – Eggert hat „seinen Boito“ noch nicht getroffen – und so blieb die Wirkung des Werkes „flach“.

Artikel auswählen

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!