Im Vorfeld der österlichen Tiefenreflexionen ließ Mariss Jansons zusammen mit BR-Chor und-Symphonieorchester sowie den Sopranistinnen Mojca Erdmann und Anna Prohaska und Hanno Müller-Brachmann, Bariton, „Requiem-Strophen“ von Wolfgang Rihm zum ersten Mal öffentlich erklingen.
Dieses vierteilig durchgehend dem Totengedenken und seinen extraterrestrischen Dimensionen gewidmete Werk basiert auf liturgischen Texten, die freilich nicht komplett durchreflektiert und durchräsoniert werden, sondern sich mit Gedanken von Rilke, Michelangelo, Bobrowski und Hans Sahl zu einer durchaus jenseitig anmutenden Collage verdichten – zusammen mit Rihms musikalischer Reflexion, der er selbst seine Textauswahl einprogrammiert hatte. Und da bewegten wir uns im Nachdenk-Modus des zurück-, des voraus-, des über-alle-Grenzen-hinaus-Denkens. Und des intensiv empfindenden Erfühlens real-sinnlicher Trauerarbeit.
Klar assoziierten sich da Mozart und Verdi auratisch auch in all ihrer Theatralik, bei Rihm freilich nach Art der inwendigen Sichtweisen. Wie überhaupt – wenn da schon traditionsverbundene Anlehnungen strapaziert werden sollen – lässt sich eine Brahms-Nähe ausmachen, Fauré lässt grüßen. Mit dem „Gruß Moment 2 – In memoriam Pierre Boulez“ von 2016 hatte Mariss Jansons den introvertierten Abend beginnen lassen. Der in der Tat packend die Mühen des Durchquerens langgezogener Ebenen und die Länge des Weges erahnen – und spüren ließ – beim Einfahren der Ernte des Erkenntnisgewinns.
Irdischer ging es weiter im Prinzregententheater zwei Tage später mit „Call“ von Luciano Berio, der hier von fünf Blechbläsern zum Einstieg in die Auseinandersetzung mit musikalischen Vielfältigkeiten der besonderen Art einlud.
Und ohne Unterbrechung folgte „Lux aeterna“ für 16-stimmigen gemischten Chor a capella von György Ligeti und „Lonely Child“ für Sopran und Kammerorchester von Claude Vivier, fulminant-packend und ergreifend-komprimiert durch die Solistin Sophia Burgos dargestellt. Verantwortlich für die Programmierung des Abends – und für die musikalische Qualität – zeichnete der zuweilen als Shootingstar unter den Dirigenten apostrophierte Teodor Currentzis, aus Griechenland stammend, im ziemlich weit östlich-end-europäischen Perm Vordenker und Chefmusiker von Oper und Ballett und Orchester- wie Chorwesen.
Dass er mit einem absolut außergewöhnlichen Chor (MusicAeterna Choir) auf Reisen ist, den er verteilend zwischen die Instrumentalisten des Mahler Chamber Orchestra setzte, führte er nicht zuletzt mit „Coro“ für vierzig Stimmen und Instrumente von Luciano Berio vor, jenem multistilistischen Opus, das vom einfachen Volkslied bis zur Vielklangorgie im Chor-Orchester-Zusammenspiel expandierte und bis dato nicht unbedingt als Spitzenwerk von Berio galt.
Dass der plastisch, ohne Stab den Ton und den Klang modellierende Dirigent Currentzis für Berio das Gegenteil beweisen wollte, das unterstrich er mit diesem erinnernswerten Konzert.
Ein Musik-Wochenende der besonderen Art, mit direkter Zeitgenossenschaft samt Zeitgenossenschaften der vergangenen fünf Jahrzehnte. Wobei deren Produkte frischer und wilder zu klingen das Recht sich genommen hatten…