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Victor Gama im Haus der Kulturen der Welt. Foto: © Victor Gama
Victor Gama im Haus der Kulturen der Welt. Foto: © Victor Gama
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Am Rand der Antarktis – Victor Gama bei „Krieg singen“

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In einem Stück über einen israelisch-südafrikanischen Atomwaffentest präsentiert Victor Gama im Berliner Haus der Kulturen der Welt erstmals in Deutschland seine einzigartigen Instrumente. Am Vortag hat bereits Laibach gespielt. Im Kontext der viertägigen Konzert- und Veranstaltungsreihe „Krieg singen“ im Haus der Kulturen der Welt wirkt Victor Gamas friedliche Musik zunächst überraschend harmonisch. Und doch birgt „Vela 6911“ mit dem Kammerensemble Neue Musik, Gamas eigenen Instrumenten und Video den brisantesten Zündstoff.

Der Titel bezieht sich auf den amerikanischen Aufklärungssatelliten, der 1979 zwischen Südafrika und der Küste des antarktischen Kontinents zwei Lichtblitze registrierte, die nach fast einhelliger Expertenmeinung nur von einer Atombombenexplosion herrühren konnten. Selbst eine von der amerikanischen Regierung eingesetzte Kommission, die dies in Zweifel zog, konnte keine überzeugende andere Erklärung anbieten. Bis heute behandeln die Amerikaner das Thema mit Stillschweigen, offenbar weil es sich um einen israelischen Versuch handelte: Seit langer Zeit haben sich die USA darauf festgelegt, das Atomwaffenprogramm des Verbündeten zu verschweigen. Als Gama das Stück im März 2015 in Stanford aufführen wollte, musste er sich am Flughafen einem langen Verhör unterziehen. Erst als der Beamte überzeugt war, dass es sich lediglich um Kunst handelte, ließ er ihn ziehen.

Ausgangspunkt des Stücks ist ein Tagebuch einer südafrikanischen Marine-Leutnantin, die den Test seinerzeit an Bord eines Schiffs miterlebte. Die nur ausschnittweise unter Decknamen veröffentlichten Aufzeichnungen sind nahezu das einzige aussagefähige südafrikanische Zeugnis zu diesem Test. Die inzwischen an Krebs verstorbene Offizierin muss sich nicht mehr vor Repressalien schützen, wohl aber die südafrikanische Journalistin Stacy Hardy, die sich mit dem Fall beschäftigt hat und Victor Gama als einer von wenigen Vertrauenspersonen Einsicht gewährte. Leutnantin zur See Lindsey Rooke, wie sie in der Veröffentlichung genannt wird, trug wie die gesamte Besatzung an Bord eine schwarze Sonnenbrille. Sie hatte sich zunächst abgewandt, dann jedoch unwillentlich doch hingesehen. Ein gewaltiger Sturm brachte das Schiff fast zum Kentern und Rooke an die Grenzen ihrer physischen Widerstandskraft.

In dem Stück erscheinen Sätze aus dem Tagebuch als Untertitel, wie von Schreibmaschine getippt, auf dem Video, das über die volle Breite den Bühnenhintergrund bildet. Zu sehen sind Wellen – die Bühne scheint zu schwanken – aus dem Wasser aufragende Felsen und Eisberge, an einer Stelle, wo die Autorin von zahllosen Tierkadavern spricht, auch Knochen. Die sechs Streicher beginnen mit Tremoli und Glissandi, dazu Paukenwirbel und rhythmische Fagott-Töne, wie das Stampfen eines Schiffsmotors. Rhythmische, minimalistische Streicherakkorde versanden wieder – wie Wellen, die an den Strand schlagen.

Vorn auf der Bühne stehen die drei Instrumente, mit denen Victor Gama zumeist unterwegs ist. Sie heißen Acrux, Toha und Dino und erinnern allenfalls von fern an afrikanische Lamellophone, die indische Tambura, den brasilianischen Berimbau oder seine afrikanischen Vorläufer. Die Form ist allerdings weniger an konkrete Vorbilder angelehnt, als vielmehr mit Hightech-Werkzeugen nach südostafrikanischen musikalischen und philosophischen Grundsätzen gestaltet. Gama stammt aus Angola, das sich nach der späten Unabhängigkeit 1975 infolge der portugiesischen Nelkenrevolution mit Hilfe kubanischer Truppen der Angriffe des südafrikanischen Apartheid-Systems erwehren musste. Das bis heute streng geheime Atomprogramm in Kooperation mit Israel hatte von südafrikanischer Seite die Funktion eines Drohpotenzials gegenüber den Nachbarländern.

Acrux, das Instrument, benannt nach dem hellsten Stern im Kreuz des Südens, sieht aus wie eine flache Kesselpauke mit drei Stangen, an denen Reihen metallener Ringe befestigt sind. Wie die Lamellen der in Angola Kissange genannten Instrumente werden sie mit den Daumen gezupft. Obwohl gestimmt, ist der Klang sehr stark geräuschhaft. Die Toha, ausgeschrieben Totem Harp, ist eine kreisrunde, diatonische Harfe. Vom breiten, unteren Resonanzkörper auf dem Boden sind 21 Saiten über kleine Stege, die auf einem oberen Resonanzkörper aufliegen, um eine mittlere Säule gespannt. Das Instrument hat einen vollen, runden Klang. Gama spielt die Toha zuerst allein, auf einem Kissen am Boden sitzend, dann mit Salomé Pais Matos, die schon mehrmals mit ihm aufgetreten ist.

Viele von Gamas Instrumenten sind rund, manche von mehreren Musikern zu bespielen. Dies entspricht den Prämissen des angolanisch-kongolesischem Weltbildes, demzufolge Musik eine Harmonie stiftende, gemeinschaftliche Aktivität ist, der heilende Wirkung zugesprochen wird. Traumatische Erlebnisse lassen sich durch Musik in den Zyklus des Lebens mit seinen gewohnten Abläufen zurückführen. Die Komposition besteht aus einer Serie von 14 Video- und akustischen Bildern im Wechsel von Ensemble, Soloinstrumenten und tutti. Die Toha erklingt erstmals, nach „The Storm“, „Sinking“ und „Ice Age Dreams“, im siebten Satz unter dem Titel „Alive Again“.

Das dritte Instrument, Dino, besteht aus einem gebogenen Bambusstab, von dem aus eine einzelne Saite zu einer umgekehrten Kalebassenhälfte als Resonanzkörper am Boden gespannt ist. Gama spielt darauf, indem er die Saite verkürzt und mit einem Bogen streicht, wobei allerdings keine Töne, sondern geisterhafte Geräusche entstehen, die aus einer anderen Welt zu kommen scheinen. Die auch elektronisch bearbeiteten Klänge kommen gegen Ende in zwei Sätzen unter dem Titel „The Explosion“ zum Einsatz. Die Tagebuchschreiberin ist sich ihres Lebens nicht mehr sicher und stellt den Sinn ihres Tuns in Frage.

Am Ende pflügt das Schiff zu den Klängen von Toha und Ensemble durchs Eismeer. Das Leben geht weiter, auch nach der Katastrophe. Stille Trauer gilt der Autorin, die am Ende ihre Aufzeichnungen der Nachwelt überlässt, wobei sie dem Leser freistellt, ob er ihrem Wahrheitsgehalt traut oder sie als Fiktion auffassen will.

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