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Foto: Matthias Piekacz.
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Amyntas und Knirfix: „Pastorelle en musique“ bei den telemann festtagen Magdeburg

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„klangfarben“ lautet das Motto der 25. Magdeburger telemann festtage. Diese sind ein Corona-Chiaroscuro mit zweijähriger Verzögerungshistorie. Die Produktion von „Pimpinone“ wurde 2020 fast fertig geprobt und doch ein Opfer des ersten Lockdowns wie vieles andere. Im Rahmen geltender Bestimmungen konnte man 60% der bestehenden Platzkapazitäten anbieten.

Zwei Konzerte mit dem russischen Geiger und Countertenor Dmitry Sinkovsky und dem Ensemble La Voce Strumentale entfielen wegen aktueller Reiseerschwernisse. Die Festtage enden am 27. März mit der Verleihung des Georg-Philipp-Telemann-Preises 2022 an den US-amerikanischen Musikwissenschaftler und Interpreten Prof. Dr. Steven D. Zohn und einem Abschlusskonzert im Opernhaus Magdeburg.

Georg Philipp Telemann war ein Meister musikalischer Schäfer:innen-Spiele. Das weiß man spätestens seit den Telemann-Festtagen 2016, als Opera Fuoco „Damon, der neumodische Liebhaber oder Die Satyrn in Arcadien“ (Leipzig 1718) aufführte. Telemann komponierte „La Pastorelle en musique“ während seiner Frankfurter Jahre nach 1713 für eine Hochzeit. Als 2002 das Notenarchiv der Berliner Sing-Akademie aus Kiew in den Bestand der Berliner Staatsbibliothek kam, beschäftigten sich Kirill Karabits und Peter Huth parallel mit diesem musikalisch reichen Bühnenwerk. In Magdeburg fanden die letzten Vorstellungen der letztes Jahr bei den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci, Musica Bayreuth und den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik gezeigten Produktion statt. Leider war das Alte Theater zur letzten Vorstellung am Dienstagnachmittag nicht besonders voll. Die Mehrzweckspielstätte Altes Theater spiegelt auch die Geschichte der erstmals 1962 in der DDR veranstalteten Telemann-Festtage. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente die Reit- und Exerzierhalle der Hindenburg-Kaserne als Kinosaal für Angehörige der Sowjetarmee, die in diesem Areal lebten. 1992 wurde sie in ein Theater umgebaut.

Bei „Pastorelle en musique“ galt‘s neben der satten musikalischen Leistung der hochbarocken Bühnenkunst. Deren Arrangements verantwortete der unter anderem im Liebhabertheater Schloss Kochberg die Spieltechniken des 18. Jahrhunderts reanimierende Nils Niemann. Mit einem gewissen Erstaunen stellte man bei Niemanns Bewegungssprache fest, dass sich an Gestik und Mimik singender Komödiant:innen zwischen 1712 und 1800 so gut wie nichts verändert hatte. Dabei liegt schon zwischen Telemanns origineller ‚Schlafszene‘ in „Pastorelle en musique“ und deren Vorbild in Lullys „Atys“ (1676) – wie jüngst zu hören am Grand Théâtre Genève – eine halbe Musiktheater-Welt. Aber ehrlichen, das Ensemble beflügelnden Theatersinn hat Niemann. Zwischen Johannes Ritters Seitenkulissen mit schönen Blatt- und Astornamenten, dem gemalten Panoramaprospekt einer hessisch-mitteldeutschen Hügellandschaft und unter rosigem Wolkenwerk bewegten sich die brillante Solistenschar und der fünfköpfige Vocal Consort Berlin mit Miedern, Zöpfen, Spitzenpracht. Vollkommen ungespreizt, ohne Anbiederei sind sie in touch untereinander und mit dem Publikum. Wie manchmal für die Regie trifft es hier auf die historisch informierte Aufführungspraxis zu, dass Resultate sich am besten dann entfalten, wenn man den Gestaltungswillen nicht merkt.

Das galt für alle. Dorothee Oberlinger zeigte als Dirigentin in ihrer ersten Bühnenproduktion Ehrgeiz zur Spitzenleistung und die optimale Empathie des Gewährens. Die sich zum Concerto grosso auswachsende Intrada mit Pauken und Trompeten, die Farben der Arien und die erfreulich vielen Ensembles hatten Glanz, Verve und Eloquenz. Ensemble 1700 spielte Telemann so, dass er einer der besten Bühnenkomponisten des 18. Jahrhunderts sein muss. Wenn das in 135 Minuten derart kurzweilig bleibt wie hier, sind konzeptionelle Rechtfertigungen der Heiratsunlust von schließlich doch durch die Liebe besiegten jungen Frauen unnötig. Yves Ytier war ein Tanz- und Violine-Meister auf Expertenniveau. Metierbeflissene Flüsterdeklamation – Fehlanzeige! Lydia Teuscher machte sich stil- und höhensicher an die Koloraturen der Caliste. Marie Lys (Iris) zickte und zärtelte souverän. Alois Mühlbacher (Amyntas) gibt einen Verehrer mit fast irritierenden Wechseln zwischen der Sicherheit einem männlichen Altus und fraulicher Mezzofarbe, ohne dass die Stimme tatsächlich androgyn wirkt. Nur Florian Götz (schon hier hatte Telemann einen Damon mit großen Aufgaben bedacht) fiel wegen Indisposition als Sänger leider aus, spielte desto beherzter. Mathias Hausmann wechselte also von der lebhaft diskutierten Inszenierung von „Jonny spielt auf“ am Münchner Gärtnerplatztheater ins weitaus unproblematischere Balz- und Paarungstreiben. Er bekräftigte, dass man Telemann auch ohne Spezialkenntnisse in Alter Musik perfekt singen kann. War Hausmann eher der vollmundige Lyriker, so charakterisierte Virgil Hartinger (Knirfix) mit der Sicherheit eines vokalen Erzkomödianten. Telemanns „musicalisches Hirten-Spiel“ erhielt als liebevoll poliertes Glanzstück eine beglückende Strahlkraft. Jubel.

 

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