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v.l.n.r. Vincent Wolfsteiner (Tristan), Christoph Pohl (Kurwenal) und Romain Curt (Englischhorn). Foto: Barbara Aumüller
v.l.n.r. Vincent Wolfsteiner (Tristan), Christoph Pohl (Kurwenal) und Romain Curt (Englischhorn). Foto: Barbara Aumüller
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Analyse einer Liebesutopie – Wagners „Tristan und Isolde“ an der Oper Frankfurt

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Ensembleplanung – auch damit liegt die Oper Frankfurt vor vielen anderen Kompanien. Ein aus Wagners eigener Sicht „furchtbares“, anfangs sogar von den damaligen Wiener Philharmonikern für unspielbar gehaltenes Werk weitgehend mit eigenen Kräften besetzen zu können – darüber staunte unser Kritiker Wolf-Dieter Peter und glaubt, dass nach der Premiere bei einigen Sänger-Agenturen die Telefone heiß laufen …

Der Jubel war einhellig und steigerte sich noch einmal, als GMD Sebastian Weigle in beide Seitenbühnen winkte und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester mit viel „Arbeitswerkzeug“ auf die Bühne kam. Sie alle zusammen hatten eine bis in die Nebenstimmen reizvoll durchhörbare, also fein ausbalancierte Interpretation der singulären Partitur gestaltet. Die Vorspiele zum 1. wie zum 3. Aufzug klangen einmal genussvoll, einmal dunkel zurückhaltend ausmusiziert. Die großen, ja grenzüberschreitenden Steigerungen kamen, doch der große, alles durchglutende Feueratem stellte sich nicht ein. Als Besonderheit durfte Romain Curt barfuß im schwarzen Anzug mit Hut und Englischhorn im 3.Aufzug als reales Hirtendouble durch die Szene gehen. Als Isoldes Schiff doch kam, stand in einer der rückwärtigen Bühnentüren dann Mathias Kowalczyk und blies die Jubeltöne der Holztrompete.

Damit ist eine Generallinie des Bühnenteams Katharina Thoma (Regie) – Johannes Leiacker (Bühne) - Olaf Winter (Licht) angerissen. Als Kernidee des großen weißen Bühnengevierts mit einer hohen Neonröhrenreihe schien intendiert „Glotzt nicht so romantisch – Analyse!“ Aus dem Himmel des orchestralen Rausches schwebte dann ein schwarzes Inselgeviert mit Isolde herab: Heimat und Rückzugsort der von der Mutter geschulten Wunderheilerin, die sich immer wieder in den schwarzen Kahn begibt, in dem der todeswunde Tantris einst anlandete. Dieses Schwarz-Weiß-Tag-Nacht-Signal, dieses schwarze Viereck steht dann im 2. Aufzug als Halt bietender Rückzugsort senkrecht im Raum – und wenn Lichtzauberer Winter hier sich mehr Dunkel getraut hätte, hätte das Publikum fast an „Flucht-Raum-Tiefe“ glauben können. Im finalen Bild liegt diese Traum-Insel-Wand dann in Anklang an Caspar David Friedrichs „Eismeer“ zersplittert am Boden – jetzt wieder mit einem schwarzen Kahn, in den sich Tristan einmal erneut flüchtet. Das waren gute Ansätze, doch der weltensprengende Realitätsverlust einer utopisch grenzenlosen Liebe stellte sich nicht ein.

Das war dann vor allem zahlreichen Regieeinfällen Thomas geschuldet: Brangäne mit Aluminium-Rollkoffer; Designer-Flaschen für Isoldes Wundermittel; Liebes-Todes-Trank entgegen der Musik als kleines Gebechere zwischen Isolde und Tristan; reichlich Allohooool-Abusus gemäß Flaschenbatterie im 2. Aufzug; Jagdgewehre hier, dann aber Holzruder als Kurwenals Waffen im 3. Aufzug und dann doch ein tödlicher Gewehrschuss für ihn; am Ende ihres Liebestodes eine gleichsam emanzipiert dasitzende Isolde… Insgesamt etlicher Regie-Quark.

Aber: Aus den kleinen Nebenrollen ragte der berechnende Melot von Ensemblemitglied Ian MacNeil vokal und darstellerisch heraus; Gastbariton Christoph Pohl sang einen glaubwürdig herzhaften Kurwenal; das höchst unvorteilhaft kostümierte Ensemblemitglied Claudia Mahnke sang Brangänes Wachrufe so traumverloren und betörend klangschön, dass einem „Weltennacht-Zauber“ in den Sinn kam. Erstes Ensemble-Wunder: Vincent Wolfsteiners Tristan – textgenau, hochexpressiv, dunkles Fundament und Höhenstrahlkraft, ermüdungsfrei bis in den Bühnentod bravourös (er wird in die freie Karriere gehen, aber Frankfurt verbunden bleiben). Zweites Ensemble-Wunder: Andreas Bauer Kanabas‘ König Marke – textgenau, Melancholie fein schattierend, ein zu Herzen gehendes Timbre, auf Anhieb in eine Reihe mit Talvela-Moll-Salminen-Pape zu stellen. Da hatte es die Gast-Isolde Rachel Nicholls schwer: schlank und hochagil, aber nicht gut artikulierend – und in der obersten Terz nur noch kalter, knallharter Stimm-Stahl. Zurecht flaute der Jubel bei ihr ab. Doch Frankfurt hat wieder einen „Tristan“ im Repertoire – und der bleibt ein inkommensurables Werk.

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