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48nord und cape and the eternity. Foto: Franz Kimmel
48nord und cape and the eternity. Foto: Franz Kimmel
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anatomy of dirt oder ein nasser Pfannkuchen gehört dem in die Fresse – 48nord und cape and the eternity mit ihrem grösseren Versuch über den Schmutz

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Ach, hätten sie doch, die Repräsentanten dessen, was als neue Musik den Betrieb garniert, zuweilen doch ein wenig Humor. Wenigstens. Dass das gehen kann, beweisen, eher ausnahmsweise, Darmstadt oder Donaueschingen. Dass es geht, bewies ein 22.00-Uhr-act des spielart-(Theater)Festivals in München, in zwanzig Jahren jetzt immerhin zum zehnten Mal.

Alle zwei Jahre also trifft sich hier ein weltweit zusammen-gerufenes buntes Völkchen kreativer Köpfe, die mit all den Möglichkeiten des Heute all die potentiellen Untiefen und Tiefen des weltweit traditionell gewachsenen Theaters experimentell auslotet, weitertreibt, ins Rampenlicht weiter vermittelt. Hier zählen keine Traditionalismen, keine Theaterlaborklischees. Hier fasziniert Manches. Hier stürzt Manches ab. Was zählt, sind Mut und qualitativer Anspruch.

Beides bringen sie mit, die 48nordler in Kooperation mit cape and the eternity. Und die stürzten nicht ab, von der Rampenkante herab. Trotz all der rockigen Verrenkungen nicht mehr ganz junger Jünglinge im reifen Mannesalter. Trotz all der textlichen Verschränkungen. Das hatte Witz und Drive, das war aufklärerisch und experimentell, brutal und zärtlich, erkenntnispraktisch und visionär.

Was sich da etablierte als Collage aus deutsch-rockigem Urgestein zwischen (Schröder-Roadshow)-Gerty-Beracz und Ulrich Müller, dem improvisierenden und komponierenden Klangkünstler von der  Radio-Front mit dem unverwechselbaren Noise-Gitarren-Appeal und der Vernetzung zwischen Havanna, New York City und München-Mitte zusammen mit dem Multistilisten Siegfried Rössert, der Rock, Experimental, Alte Musik und Improvsation virtuos in Beziehung zueinander setzt und dem faszinierenden Trommelkünstler wie Theatermacher Patrick Schimanski paraphrasierte und reflektierte auf der Basis des legendären und vielstimmigen Christian-Enzensberger-Textes Größerer Versuch über den Schmutz - erstmals erschienen 1968 - Jedermanns Erfahrungen im Umgang mit eben Selbigem. Da ist vom Zusammenwirken von hygienischem Markt, spätindustrieller Gesellschaft und unser aller Versuch inmitten von all dem Orientierung zu generieren, die Rede.

Gesang und Trommelwirbel kommentieren, untermalt von elektronischem Gitarrengrummeln und lautstarken Eruptionen im Erdinneren, die Verfertigung der Gedanken. Das ereignet sich virtuos, witzig, wagnis-orientiert. Führt hinein ins Gedankengeflecht von Enzensbergers wagemutigen Reflektionen. Lässt uns denken, voraus denken, weiterdenken, nachdenken über all den Schmutz um uns herum, in Politik, in Gesellschaft, in kulturellen Netzwerken.

Da blitzt ein wenig Hoffnung auf als Produkt von Reflexion. Dieses freundschaftliche Zusammenwirken von radiophonen, improvisatorischen, kompositorischen Elementen bringt Erkenntnisgewinn. Der gewiss noch eindringlicher wäre ohne partiell überbordende Lautstärkeentwicklung. Denn nicht der bis zum Anschlag aufgedrehte Lautstärkeregeler bringt Aufklärung. Eine Einhundertachtziggraddrehung der Lautsprecherboxen könnte da hilfreich sein, beim analysieren der Zusammenhänge...

Immerhin, so viel Freude, Humor, Lockerheit, Entspanntheit (frei von Indoktrination), könnte manchem Neue-Musik-Festival-Macher Anregung liefern. Diese beiden Formationen sollten sich öfter zusammen finden.

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