Hauptbild
Mitte v.l. Yulia Sokolik, Andreas Beinhauer, Statisterie der Oper Halle. Foto: © Anna Kolata
Mitte v.l. Yulia Sokolik, Andreas Beinhauer, Statisterie der Oper Halle. Foto: © Anna Kolata
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Angeber haben es auch nicht leicht … – „Serse“ eröffnet die Händelfestspiele an der Oper Halle

Publikationsdatum
Body

Zum Auftakt der Händelfestspiele kommt „Serse“ an der Oper Halle in einer unterhaltsamen Inszenierung von Louisa Proske musikalischen glänzend auf die Bühne – mit der Händelpreisträgerin Anna Bonitatibus in der Titelrolle.

Die aktuellen Händelfestspiele in Halle warteten vor dem eigentlichen Auftakt im Opernhaus mit einer Personalie auf: Clemens Birnbaum muss krankheitsbedingt vertreten werden. Und die Obrigkeiten, die in so einem Falle für den Ersatz (beziehungsweise zunächst auf eine Vertretung für zwei Jahre) verantwortlich sind, haben tatsächlich mal kluges Augenmaß bewiesen und den weithin geschätzten, als Autor bekannten und als Organisator bspw. der der Händelfestpiele in Karlsruhe bewährten bestens vernetzten, Bernd Feuchtner als Interimsintendanten engagiert. Also einen, der wirklich weiß, wies geht und wie man es macht, in seinem Alter nicht mehr von Karriereambitionen, sondern ausschließlich von der Liebe zur Musik geleitet wird.  

Ein königlicher Staatsbesuch ist es nicht geworden, aber immerhin eine Rückkehr im Privatjet. Für Georg Friedrich Händels Perserkönig Serse (oder Xerxes) ist es im Laufe der Jahrzehnte schon der vierten Festspielbesuch auf der Opernbühne der Geburtsstadt des Barockmeisters. Diesmal ist er mit einem Privatjet dort gelandet. Und er führt sich so auf, wie man es den Eigentümern solcher Transportmittel (deren reale Vorbilder heutzutage Elon oder Donald heissen) zutraut. Für manche aus der Kategorie dieser sich selbst für ganz groß haltenden Männer reicht eben ein Angeberauto nicht mehr. Da (aber nur da) hat man sogar Verständnis, wenn sich Aktivisten auf der Startbahn ankleben. So wie in der aktuellen Produktion, die das Opernhaus der Stadt traditionsgemäß zu den Händelfestspielen beisteuert. Regisseurin Louisa Proske kam am Premierenabend ihrer Inszenierung näher, als geplant. Sie übernahm den Stewardessenjob der ausgefallenen Romilda-Sängerin auf der Bühne, während Yewon Han vom Graben aus vokal brillierte. Beide machten das hervorragend und ohne Verlust für die Rolle der besonders Umworbenen. 

Serses Privatjet hat Ausstatter Jon Bausor raumfüllend auf der Drehbühne platziert. Auf der einen Seite die kleine Gangway, die andere gibt den Blick ins luxuriös ausgestattete Innere der Maschine frei. Serse ist hier einer von den Bossen, die Kontinente mit Pipelines verbinden, Fussballvereine sponsern, Bodyguards haben, es mit Umweltaktivisten zu tun kriegen und ansonsten vor allem mit sich selbst und ihren Obsessionen beschäftigt sind.

Wenn Anna Bonitatibus in der Titelpartie und im gestreiften Zweireiher nach der Ouvertüre mit dem Superhit dieser Oper (und Händels überhaupt), dem berühmten Larghetto „Ombra mai fu“ an der Rampe mit dem Flugzeugbug hinter beziehungsweise über sich beginnt und damit den fortan durchweg gehaltenen hohen vokalen Standard des Abends vorgibt, dann wissen die deutschen Übertitel, dass es hier keine Liebeserklärung an einen Baum gibt, sondern der Flieger angesungen wird. Die Übertitel bleiben fortan bei ihrem Gegenwartsslang, der auch schon mal Kraftausdrücke einschließt. Was aber zum Unterhaltungsehrgeiz des Abends ebenso passt wie zur Unsitte des Intendanten, sein Publikum nach Premiere von der Bühne aus zu Duzen.

Der Plot des zwar nicht bei seiner Londoner Uraufführung 1738, wohl aber bei den Händelfans der Nachwelt erfolgreichen „Serse“ wird heute oft als Vorlage benutzt, um die barocke Unterhaltung szenisch in die Gegenwart zu verfrachten. TV-serienkompatibel wie er nun mal ist; wenn schon zwei Brüder (Serse und Arsamene) und zwei Schwestern (Romilda und Atalanta) auf Freiersfüßen und umeinander herum wandeln, Intrigen und Missverständnisse die Handlung am Laufen halten und sich am Ende die Richtigen zusammenfinden. Der „Boss“ Serse muss zwar bei seiner (alten Flamme) Amastre bleiben. Sein Bruder kriegt aber doch Romilda und Atalanta lässt von ihm ab und macht sich wieder auf die Pirsch. Dazu gibt es noch den Diener Elviro (Andreas Beinhauer wechselt in dieser Rolle souverän mit seiner Stimmlage und Kostümierung auch mal das Geschlecht). Schließlich ist es Romildas Vater (Michael Zehe), der irrtümlich die (aus Serses Sicht) falschen, aus ihrer eigenen Sicht aber die richtigen Liebenden zusammenbringt.

Neben der ausdruchsstark gestaltenden, mit ihrem warmen Timbre verführenden Anna Bonitatibus glänzt vor allem der kraftvoll auftrumpfende Counter Leandro Marziotte als Arsamene. Aber auch Yulia Sokolik (Amastre) und Vanessa Waldhardt (Atalanta) bieten die flexible barocke Leichtigkeit und den Furor, der zu einem Hausensemble gehört, das immer mindestens zwei Händelopern im Repertoire hat. 

Zu dem Tempo und der gelegentlich aufblitzenden Bravour des Intrigenspiels auf der Bühne passt die zupackende beredete Art, zu der Attilio Cremonesi das Händelfestspielorchester durchgängig animiert. Musikalisch ist der Abend durchweg ein Genuss. Szenisch setzt er bewusst auf Unterhaltung. Anspielungen auf Zeitgeistphänomene von heute bleiben augenzwinkernde Zugabe. Die Überschreibung der Vorlage mit einer (sagen wir TV-realistischen) eigenen Geschichte funktioniert insgesamt, weil sie in sich stimmig ist, inklusive der barocken Wölkchen und Blitzpfeile oder der entsprechenden Partykostüme fürs Finale. 

Nach dem einhelligen Jubel für alle Beteiligten wurde der diesjährige Händelpreis an Anna Bonitatibus verliehen. Auch da hielten sich der Bürgermeister (erfreulich) kurz und der Dirigent des Abends Attila Cremonesi eine berührend persönliche Laudatio. Doch dann sorgten die gefeierte Titelheldin und Preisträgerin und das Publikum selbst für einen italienischen Opernmoment der besonderen Art: Die charismatische Italienerin fügte nämlich ihrem Dank nicht einfach eine Zugabe („Ombra mai fu“ was auch sonst!) hinzu, sondern animierte das Publikum zum Mitsingen – und das Publikum stieg darauf ein und sang mit! Chapeau!

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!