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© Foto: Sabina Sabovic
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Angelika Milster „webbert“ wieder: „Sunset Boulevard“ am Theater Altenburg-Gera

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Am Ende waren alle glücklich im Landestheater Altenburg: Der gerade für seinen wirtschaftlichen und vor allem künstlerischen Erfolg bis 2022 verlängerte Generalintendant Kai Kuntze von Theater und Philharmonie Thüringen, das etwas weniger als erwartet mit reisenden Musical-Fans durchmischte Publikum, das starke Ensemble und der in idealer Gewichtung durch feine Nuancen noch stärkere Star Angelika Milster als traurige Stummfilmikone Norma Desmond. Die recht neue symphonische Orchestration macht den nicht einfachen „Sunset Boulevard“ Andrew Lloyd Webbers üppiger und auch seidenglatter. Ovationen.

Immer wieder wird Angelika Milster von ihren Bühnenpartnern unter dem Jubel des Saals nach vorne geschubst – sie will das offenbar gar nicht. Ist das kollegiale Koketterie eines Stars oder echte Bescheidenheit? Das lässt sich nicht genau sagen und deshalb bewegt sie sich auf dem richtigen Level für ihr lang erwartetes Rollendebüt als aus der Zeit gefallene Stummfilmikone Norma Desmond auf dem einsamen „Boulevard der Dämmerung“. Das Opus nach dem von Billy Wilder auch als Satire auf die Blessuren hinter Hollywoods Starglamour gedachte Filmtragödie „Sunset Boulevard“ ist etwas spröde. Weil die in mehreren Schnitten demontierte Glitzerwelt zwar Poesie verheißt, diese aber letztlich vorenthält. Immer deutlich bleibt der Riss zwischen Traumfabrik und dem ständig drohenden Sturz in Armut oder – viel schlimmer – das Vergessen-Werden. Der von Thomas Wicklein mit dem Philharmonischen Orchester Altenburg-Gera süffig und dabei etwas leer ausgebreitete Streichersound der neuen Instrumentation stärkt nicht nur die Opulenz, sondern auch die Fassadenhaftigkeit von Andrew Lloyd Webbers Opus ohne Untertitel von 1993.

Angelika Milster hat das genau erfasst. Deshalb holt sie aus den messerscharfen Texten Christopher Hamptons und Dan Blacks gleich in der Premiere viel mehr heraus als die Konversationsattitüden der genauso samtweichen wie depressiv-erpresserischen Norma, die mit allen Nervenfasern an ihr großes Comeback nach über dreißig Jahren glaubt. Die sopranharte und technisch perfekt geführte Stimme fordert weitaus häufiger als dass sie verführt. Die Gesten dazu: So deutlich, dass sie die wenigen Bezugspersonen Normas zu zweitklassigen Mitspielern einer radikal durchgezogenen Inszenierung ihres Alltags degradiert. Angelika Milster ist die Dompteurin im Stück und das gelingt ihr gerade deshalb bewegend, weil sie ihre Partner nicht sirenenartig verschlingt, sondern fordert. Erstaunlich, wie Kai Wefer als jobloser Drehbuchautor Joe Gillis durch diese Konstellation noch mehr angeheizt wird. Ihn treibt hier weniger der Zwang als der hohe Genussfaktor von Luxus und Reichtum in das Netz der Stummfilm-Spinnenfrau Norma, die sich in Till Kuhnerts Spielraum auf der dunkelroten Revuetreppe im Netz verheddert, bevor sie auf Joe die tödlichen Schüsse abfeuert. Kleine Segel, die auch große Spiegelscherben sein könnten, flankieren das. Da bricht immer wieder die von Webber zu weitschweifig aufgeblasene „reale Welt“ der Paramount-Studios mit dem letztlich hirnleeren Treiben der Traumfabrik-Beschäftigten herein.

Im bemerkenswert feinen Gruppenmix aus Opernchor, Staatsballett, Statisterie und Solomarken wie Ulrich Burdack als baumhoher Herr der Illusionen gewinnt das hervorragende Kontur. Diese marionettenartige Perfektion demaskiert Sein, Schein und naives Wunschdenken. Mit diesem Ensemble dürfte auch Lillian Stilwell (Choreografie) und Hilke Förster (Kostüme) die recht deutliche Kontrastschärfe zwischen Studiobanalität und Lebenslüge Spaß gemacht haben. Ob das in der Absicht von Michael Wallner lag, der „Sunset Boulevard“ bereits in Lübeck mit der zu Angelika Milster so ganz unterschiedlichen Gitte Haenning inszeniert hatte? Weil Claudia Müller das kreativ ambitionierte Scriptgirl Betty so selbstverleugnend steif-automatisch spielt, kommt keine richtige Wärme in ihre Romanze mit dem im Luxusleben als Normas genderverkehrte Kurtisane aufgehenden Joe. Johannes Beck hätte wohl das Gespür gehabt für den als Butler, Ex-Ehemann und Regisseur die Lebenslüge Normas verlängernden mysteriösen Max von Meyerling. Doch diese poetischen Tiefen scheinen gar nicht nötig: Weil hier der abgeblätterte Lack noch immer fast so verheißungsvoll leuchtet wie die große Illusion im Kopfkino der Figuren. Angelika Milster lässt die „Träume aus Licht“ immer wieder gleißen, dass man ihr nicht nur hingebungsvoll lauscht, sondern auch bedingungslos glaubt. Sie ist an keiner Stelle die von Norma als Alter Ego beschworene Traumprinzessin Salome und zeigt die immensen Anstrengungen der Figur, die das echte Leben im Falschen fordert. Ihr liegt das Publikum in Altenburg und sicher auch später in Gera zu Füßen, weil Angelika Milster Mitleid für Norma Desmond fordert, das ist hier viel mehr als säuselndes Mitgefühl. Der große Abend einer starken Diva.

  • Wieder am 29.09. (19:30), 01.10. (18:00), 16.10. (14:30), 28.10. (19:30), 16.12. (19:30), 28.12. (19:30) u. a. im Landestheater Altenburg - Premiere in Gera: 08.06.2018 www.tpthueringen.del.

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