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Der fliegende Holländer in Bayreuth. Foto: Bayreuther Festspiele, Enrico Nawrath
Der fliegende Holländer in Bayreuth. Foto: Bayreuther Festspiele, Enrico Nawrath
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Annäherung von Szene und Musik – „Der fliegende Holländer“ bei den Bayreuther Festspielen

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Die Werkstatt-Idee der Wagner-Enkel Wieland und Wolfgang, die ein Prinzip Neu-Bayreuths nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutete, lebt auch bei den Schwestern Eva und Katharina der Urenkel-Generation fort. Jan Philipp Gloger hat an seiner Inszenierung „Der fliegende Holländer“ deutlich weiter gearbeitet, im dritten Jahr vermag sie noch stärker zu überzeugen – und dies nunmehr auch im Zusammenspiel mit der Musik.

Letzteres erstaunt besonders, denn von jener Grundrivalität zwischen Dirigent und Regisseur, die berühmten Regie-Individualisten die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Christian Thielemann unmöglich macht oder zumindest deren Ergebnis ungereimt wirken lässt (sogar bei einer Remake-Inszenierung Stefan Herheims in Dresden), gibt es nun in Bayreuth eine Ausnahme, – erfreulich insbesondere angesichts der für den nächsten Sommer angekündigten Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“, für die Katharina Wagner und Christian Thielemann verantwortlich zeichnen werden.

In Interviews des Premierenjahres 2012 hatte Regisseur Jan Philipp Gloger auf „Kompromisse“ hingewiesen, die er in seiner Bayreuther Inszenierungsarbeit durch den Dirigenten Christian Thielemann eingehen musste. Jene Unerquicklichkeiten scheinen in der erneut überarbeiteten Version weitgehend überwunden.

Auch Thielemann nimmt nun die Ouvertüre von Richard Wagners Romantischer Oper hinter verschlossenem Vorhang weniger zurück, setzt den zwar immer noch aufgesetzt wirkenden, nachkomponierten Erlösungsschluss nicht mehr so deutlich ab. Und auch beim Wiedererklingen des tristanisch gefärbten Erlösungsschlusses am Ende, nachdem der Vorhang für die Umdekoration der Bühne gefallen war, erkämpft sich der Dirigent – nach der szenischen Präsentation des Erfolgsmodell von Dalands Firma – die letzten Klänge allein für die Musik, bei verdunkelter Bühne.

Die Realisierung von Wagners Plan, auch den „Holländer“ im Festspielhaus aufzuführen, hätte vermutlich instrumental eine weitere Bearbeitung durch den Komponisten ausgelöst, aber zur Ausführung kam es durch dessen Tod im Jahre 1883 nicht mehr, und erst sein Sohn Siegfried realisierte 1901 die pausenlose Bayreuther Erstaufführung. Mit dem erstklassig disponierten Festspielorchester erscheint der für diese Partitur vom Komponisten klangkonzeptionell nicht vorgesehene, verdeckte Orchestergraben jedoch unproblematisch.

Jene Projektion, die in den Vorjahren auf dem Hauptvorhang mit einem international lesbaren Icon auf das Foto- und Handyverbot hinwies, ist in diesem Sommer nicht mehr zu sehen. In der Stille, die in diesem Hause eintreten kann, und auch bei orchestralen Piani, wird nunmehr allerdings das Pfeifen hochfrequenter Töne von Hörgeräten zu einem derzeit wohl kaum zu behebenden Störfaktor.

Erstaunlicherweise scheint Thielemanns Interpretation nun auch im ersten, besser ausgeleuchteten ersten Akt mit Glogers ungewöhnlicher Lesart einher zu gehen, hinsichtlich der unterschiedlichen Aspekte der Topik von Christoph Hetzers Kunstraum, Hochhaus-Front zum Einen, das Innere der Börse oder eine unwirtliche technische Unterwelt zum Anderen.

Hier verkehrt der so genannte Holländer, ein Supergauner aus dem Nirwana des Daten-Dschungels, der sich mit Drogen hochpeitschen muss und doch neuer, besonders lukrativer Angebote seiner überaus potenten Geschäftspartner ebenso überdrüssig ist, wie der Blowjobs von Prostituierten („Engel Gottes“). Geradezu kabbalistisch erscheint es, wenn dieser Fremde – mit Irokesenschnitt und Spezialrasuren auf der linken Kopfseite – sich beim Echo seiner Worte vervielfacht (Geisterchor der Holländer-Mannschaft). Dem gegenüber steht ein Managerkurs-Versuchsvorgang mit einem historisierenden Boot von Daland, dessen Chefgebaren als Vorbildfunktion vom engsten Mitarbeiter, einem Herrn Steuermann, eins zu eins kopiert wird. Verwundert werden sich die beiden Herren der veränderten Realität bewusst, wenn sie das Boot verlassen und nun im doppelten Sinne auf dem Trockenen stehen.

Obgleich Daland die sehr gut funktionierende Firma „Südwind“ (Werbespruch der Ventilatoren-Vertreiber: „Ach lieber Südwind, blase doch!“) gehört, ist er an den Geldwäsche-Geschäften mit dem Holländer interessiert.

In einer solchen Konzeption hat selbstredend die Schiffspfeife als Requisit ausgedient; musikalisch wird auf sie, da sie zweimal komponiert ist, zwar nicht verzichtet, aber sie erklingt von hinter der Szene.

Aus den berühmten weißen Bayreuther Festspieltaschen zieht die bühnenbreit an die Rampe vorrückende, in graue Anzüge gewandete Belegschaft von Daland Designer-Kleider für die Frauen, die diese dann bei ihrem Auftritt im dritten Aufzug tatsächlich tragen.

An Peter Konwitschnys Stuttgarter Inszenierung der „Götterdämmerung“ gemahnt ein Spielgeviert mit eigener aufgesetzter Drehscheibe, das Dalands männliche Belegschaft auf die Bühne rollt um dann durch das Abreißen schwarzer Plastikfolien den Blick freizugeben auf eine Fabrikhalle, in der gerade die Produktions-Endabnahme der Ventilatoren („du gutes Rädchen!“) und deren Verpackung vor sich geht.

Erik, der Hausmeister mit Silikonpistole („er schießt sonst wutentbrannt“), aber schwachem Beutel, hat im entscheidenden Moment Erinnerungsfotos seiner frühen Liebe mit Senta parat.

Holländer hatte sich zum Zeichen seines Mutes und seiner angeblichen Unsterblichkeit, bei einer Geschäftsverhandlung ostentativ die Pulsader aufgeschnitten Senta tut es ihm gleich, um so mit ihm Blutsbrüderschaft schließen zu können – wie weiland Siegfried und Gunther in der „Götterdämmerung“: ein Wagner-Topos aus dem Spätwerk wird so vom Regisseur ins Jugendwerk integriert.

Weggefallen ist der Spaziergang des verliebten Paares beim Fest des dritten Aktes, das nun skurril zugespitzt abläuft. Die Belegschaft wirft ihre leeren Sekt-Plastikbecher auf die Asylanten-Gruppe, die dafür als bedrohliches Kollektiv die Fabrik besetzen und das gigantische Werbeplakat des Ventilator-Erfolgsmodells der Firma „Südwind“ abfackeln, während Holländer und Senta gemeinsam Devisen verbrennen. Mit Schlag Eins der Uhr endet in Wagners Vorlage der mitternächtliche Spuk. In Glogers Inszenierung wird es schlagartig hell, und man sieht die das Paar in Pieta-Haltung als einen Hinweis darauf, dass die Konfrontation möglicherweise nur eine Traumvision der gesellschaftlichen Außenseiter war.

Als Erik seine Fotos Senta zeigt („Willst jenes Tags du dich nicht mehr entsinnen“) belauscht Holländer die Erinnerungsseligkeit hinter einem Berg verpackter Ventilatoren. Und da er nicht auf ein Schiff fliehen kann, besteigt er diesen Berg, auf dem vordem Senta ein Fetisch-Standbild („der fliegende Holländer“) gebastelt und schwarz bemalt hatte. Mit ebenfalls selbstgebastelten Engelsflügeln rammt sich Senta einen Holzkeil mehrfach in den Unterleib, umschlingt sterbend den Holländer und setzt ihm dabei auch noch einen Kronreif aufs Haupt. Aktiv verweigert Steuermann jegliche Hilfeleistung – denn er hat eine neue Geschäftsidee: das von ihm fotografierte suizidale Liebespaar geht als Leuchtobjekt „Liebender mit Engel“ in Serie, und das wird dann mit den ersten Erlösungstakten der Fassung von 1865 auch als Massenproduktion sichtbar.

Ricarda Merbeth hat als Senta enorm zugelegt, die Spitzentöne nimmt sie nun weniger flach, und die im Vorjahr die Intensität ihrer Rollengestaltung störenden Blicke zum Dirigenten sind entfallen. Tomislav Muzek hat als Erik hat an Schmelz gewonnen. Samuel Youn, gesanglich souverän, gestaltet die Titelpartie im dritten Jahr mit sehr viel mehr Facetten. Stark in seinem schlitzohrigen Witz ist der agile Benjamin Bruns als Ideengeber Steuermann. Christa Mayer zeichnet die Produktionsleiterin Mary imposant als ein Zerrbild der Fabrikantentochter, sie sich nach einem fremden Außenseiter als einem heutigen Traummann sehnt. Hauptgewinn der Produktion ist die Umbesetzung Dalands mit Kwangchul Youn als einem stimmlich hinreißenden, in seinem Spiel Gefährlichkeit mit Witz paarenden Firmeninhaber.

Dass nunmehr beide Geschäftspartner, Daland und Holländer, mit Asiaten besetzt sind, schafft der szenischen Deutung einen zusätzlichen Kick.

Imposant in Spielfreude und Klagentfaltung brilliert der von Eberhard Friedrich einstudierte Festspielchor.

Am Ende der pausenlosen, zweieinviertelstündigen Aufführung geizte das Festspielpremierenpublikum nicht mit emphatischen Bravorufen, auch für das Regieteam.

 

Die nächsten Aufführungen: 4., 8., 16., 20. und 24. August 2014.

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