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Hildegard Lernt Fliegen beim BMW Welt Jazz Award 2014. Foto: Ssirus W. Pakzad
Hildegard Lernt Fliegen beim BMW Welt Jazz Award 2014. Foto: Ssirus W. Pakzad
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Anschnallen – „Hildegard Lernt Fliegen“, und das Publikum hebt mit ab beim BMW Welt Jazz Award

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Am Ende schienen alle selig: die Musiker, die Veranstalter und die Zuhörer, von denen manch einer während des Konzerts mit dem Trocknen von Lachtränen nicht hinterher kam und auch deshalb dringend Flüssigkeitszufuhr benötigte, weil der Mund ständig sperrangelweit offen stand. Der Auftritt der Berner Band „Hildegard Lernt Fliegen“ war beim BMW Welt Jazz Award eine Sensation.

In den Bergwäldern Südost-Australiens lebt ein wundersames Geschöpf, der Leierschwanz. Dieser prächtige Vogel beherrscht etwas, was sonst kein Lebewesen in Gottes Tierreich kann: der zur Familie der Sperlinge Gehörende ist kein ordinärer Piepmatz, der bestenfalls mal eine Melodie vor sich hin zu zwitschern weiß. Nein, dieser Federn-Träger kann so ziemlich jedes Geräusch nachmachen, das seine Lauscher einfangen – eine kleine YouTube-Recherche sei da empfohlen (in dem Video-Kanal findet sich auch ein BBC-Beitrag von Richard Attenborough).

Vielleicht sollte einmal untersucht werden, wie groß die genetische Übereinstimmung zwischen einem Leierschwanz und dem aus dem Wallis stammenden Sänger Andreas Schaerer ist. Der hat schon als Vorschul-Zwerg mit dem Mund Geräusche aller Art produziert, sie noch im Kindesalter für eigene Hörspiele genutzt und später in den Vertonungen von Computerspielen und Animations-Filmen zu Geld gemacht. Wer ihm heute zuhört, muss denken, dass der 37jährige irgendwo in seinem Mundraum einen Tonträger mit Zuspiel-Dateien versteckt hat. Denn es ist einfach nicht zu glauben, was da aus seiner Kehle kommt – oft mehrere Klangspuren gleichzeitig, Alltags-Sounds, Musik-Instrumente.

Gegenüber seinem gefiederten Verwandten ist der auch als Dozent arbeitende Schaerer übrigens deutlich im Vorteil, weil er nicht einfach unreflektiert nachäfft, sondern ausgesprochen kreativ mit Ursprungsmaterial umgeht. Es gibt da dieses vokale Solo im Konzert von „Hildegard Lernt Fliegen“, in dem die orale Bassdrum wummst, ein kleinteiliger-Beatbox-Rhythmus Groove aufnimmt und auch noch eine von Gesprächsfetzen umlagerte Melodie über die Takte schwebt. Wie macht der Mann das, der mal Opern-Diva, mal Comic-Charakter, mal Instrumentalist, mal Rapper, aber immer ein mirakulöses Wesen ist?

Andreas Schaerers Einlagen sind keine Ego-Trips, keine one-man-shows, sondern sehr homogen in einen Bandsound integrierte Beiträge. Sein Sextett „Hildegard Lernt Fliegen“ (drei Bläser, Bass, Schlagzeug) versteht es, eine Vielzahl von Einflüssen zu bündeln: was die Berner aus Jazz, Zirkusmusik, Kunstlied, Hip Hop, Zappa, Schreibmaschinen-Rhythmen formen, hat ein Gesicht mit klaren Konturen. Abgesehen davon bringen es die Eidgenossen fertig, eine an sich sehr komplexe Musik so zugänglich zu machen, dass sich die Ohren nie verweigern wollen. Hildegard Lernt Fliegen, und das Publikum hebt mit ab.

Möglicherweise ist die Gruppe im Mai gleich zweimal in München zu hören, was von der Jury des „BMW Welt Jazz Awards“ abhängt. Sollte es diese Formation aus unerfindlichen Gründen nicht ins Finale des „Sense Of Humour“ übertitelten Wettbewerbs (3.5.) schaffen, bleibt immer noch die Option, sie sich in der Unterfahrt anzuhören. Im Rahmen der Biennale wird Andreas Schaerer nämlich ein Portrait gewidmet, das ihn am 13.5. mit Rom/Schaerer/Eberle sowie im Duo mit Lucas Niggli präsentiert und am 14.5. mit Hildegard auf die Bühne bringt.

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