Es war ein langer Weg, doch Mitte Februar konnte das Musiktheaterstück „Das Schweigen der Dafne“ für eine Tänzerin, einen Schauspieler und Kammerensemble fast vier Jahre nach der zündenden Idee Georg Becks im Rahmen von Opening – Internationales Festival für Aktuelle Klangkunst Trier in der dortigen Tuchfabrik uraufgeführt werden.
Nicht zuletzt wegen der Corona-Pandemie wurde das Projekt immer wieder verzögert, geplante Aufführungen mussten entfallen. Aus der anfänglichen Idee Becks – eigentlich Journalist für musikalische und gesellschaftliche Themen, gelegentlich aber auch Verfasser von Gegenwartstheaterstücken – erwuchs rasch eine fruchtbare Kooperation mit Komponistin Christina Cordelia Messner sowie Regisseurin Anna Magdalena Beetz. Beck wiederum steuerte das Libretto für das „Stück aus dem Grenzbereich Musik, Tanz und Theater“ bei.
Es erzählt die Geschichten zweier Daphnen: auf der einen Seite der antike Mythos von Apollon und Daphne nach Ovid, auf der anderen die Geschehnisse rund um die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia. Beiden Daphnen ist gemein, dass sie Opfer von Übergriffen wurden, beide Geschichten enden tragisch. Der antike Mythos thematisiert einen Topos, so alt wie die Menschheit selbst: zurückgewiesene Leidenschaft, die in Gewalt umschlägt. Vom von Liebe besessenen Apollon – unter anderem Gott der sittlichen Reinheit und Mäßigung! – bedrängt, flüchtet sich Daphne in die Verwandlung in einen Lorbeerbaum. Daphne Caruana Galizia wiederum wurde am 16. Oktober 2017 wegen ihrer investigativen Arbeit über die korrupten Zustände der maltesischen Regierung unter nach wie vor ungeklärten Umständen und mutmaßlicher Beteiligung von Personen aus eben jenen Regierungskreisen gezielt mit einer Autobombe ermordet – der traurige Höhepunkt einer sich über Jahre erstreckenden Serie von Anfeindungen, Drohungen und Nachstellungen. Im Stück werden beide Handlungsstränge gegeneinandergeschnitten, teils binnen weniger Sätze blendet das Geschehen auf der Bühne mal zur einen, mal zur anderen Handlung über. Die collagenhafte, teils eklektische Anordnung der Ereignisse erhöhte die Spannung, war aber für die inhaltliche Verständlichkeit des Theaterstücks nicht immer unbedingt förderlich – wobei diese freilich auch nicht im Vordergrund stand.
Gespielt oder vielmehr tänzerisch dargestellt wurden beide Daphnen von Anna Magdalena Beetz, die diesen Part zusätzlich zu ihrer Funktion als Regisseurin übernahm, nachdem die eigentlich angedachte Tänzerin aus dem Projekt aussteigen musste. Beetz war in ihren Bewegungen und ihrer Körpersprache derart überzeugend, dass man nicht ahnen würde, dass ihre Wurzeln eigentlich im Schauspiel und nicht im Tanz liegen. Gerade zu Beginn des Werks, den sie überwiegend auf einer Kiste sitzend verbrachte, sah man sich vom Spiel ihrer Arme und Hände gebannt. Aber auch nachdem sie ihre sitzende Position verließ und ihre Bewegungen freier, größer und schneller wurden oder aber sie als Galizia versuchte, Sinn in die Vielzahl an Spuren und Hinweisen zu bringen – dargestellt durch eine Vielzahl an Papierschnitzeln – war sie sich der ungeteilten Aufmerksamkeit des Publikums gewiss.
Ihr zur Seite oder vielmehr ihr entgegen stand Schauspielkollege Alexander Steindorf in der Rolle des Apoll. Auch diese Besetzung erwies sich als überzeugende Wahl. Steindorf vermochte es, die bewusst teils wirren und unzusammenhängenden Sprachfetzen des Librettos mit Ausdruck zu füllen. Im Höhepunkt des Stückes, der Verfolgung und Einholung der Daphne, brachte er eindrucksvoll, wenn auch erschütternd, die ganze Scheußlichkeit der sexuellen Nötigung zutage, die schließlich in einen Tobsuchtsanfall mit Tourette-artigen Zügen mündete, nachdem ihm Daphne entfloh.
Begleitet wurden Beetz und Steindorf von einem Kammermusikensemble bestehend aus vier Musikern – Dorrit Bauerecker am Akkordeon, Janko Hanushevsky am E-Bass, Norbert Krämer am Schlagwerk und Komponistin Christina Cordelia Messner an der Geige. Für Messner, die für ihr besonderes Interesse am genreübergreifenden und experimentellen Musizieren bekannt ist, ist es keineswegs ungewöhnlich, in ihren Werken selbst aktiv zu partizipieren.
Wie die Handlung blendete auch die Musik von einem Stück ins nächste über. Mehr einer Reihung unterschiedlicher Klangbilder gleichend als einer offensichtlichen übergeordneten Struktur folgend, überraschte Messners Komposition dabei vor allem durch ihre klangliche Vielfalt, die durch eine Vielzahl an Perkussionsinstrumenten, darunter Trommeln, Zimbeln, Regenmacher, Shaker, eine Spieldose und Rasseln, aber auch durch den kreativen Umgang von Spieltechniken und Klangeffekten erreicht wurde, etwa das Kratzen mit feinen Bohrern auf einem Weinglas – ein Geräusch wie von der halbjährlichen Zahnreinigung – oder aber das monotone Singen des gesamten Ensembles, unterbrochen durch Zischlaute und Konsonanten – ein Sinnbild für die Anfeindungen, die Daphne Caruana Galizia erleiden musste. An verschiedenen Stellen ließen sich außerdem Bezüge zur antiken Klangwelt feststellen: So spielte etwa die Komponistin in Anlehnung an das antike Aulos statt auf ihrer Geige phasenweise auf zwei Blockflöten gleichzeitig. Der Bogen, hier zum Spielen der Geige, aber auch zum Anstreichen der E-Bassseiten sowie diverser Schlaginstrumente verwendet, ist zudem eines der wichtigsten Attribute des Apolls. Ein – wenn auch flüchtiger – Blick auf die Notenpulte der Musiker offenbarte schließlich auch, dass Messner trotz einiger improvisiert anmutender Passagen nichts dem Zufall überließ und ihre Musik bis ins letzte Detail auskomponierte.
- Eine weitere Aufführung von „Das Schweigen der Dafne“ ist am 19. März 2022 in der Alten Feuerwache Köln zu sehen.