Wer in Korea ein Klassik-Festival etablieren möchte, tut gut daran, einige lokale kulturelle Besonderheiten zu berücksichtigen. Geburtsstadt eines weltberühmten Komponisten zu sein, garantiert alleine noch keinen Erfolg.
Denn westliche klassische Musik hat es in Korea nicht leicht. Es mangelt zwar nicht am Enthusiasmus des Publikums – volle Säle, begeisterte Juchzer und „Encore!“-Rufe gehören in Tongyeong zum guten Ton. Doch für die Festivalmacher ist es ein Arbeitssieg: Im ersten Jahrgang 2000, damals noch unter dem Titel „Tongyeong Contemporary Music Festival“, waren der Applaus dünn und die Besucherströme mit Freikarten geködert, berichtet der künstlerische Leiter Prof. Sngkn Kim. Dass die beiden Säle des Tongyeonger Kulturzentrums hoch über dem Hafen nun regelmäßig aus allen Nähten platzen, ist klugem Marketing zu verdanken. Das Festival liegt zeitlich in einer Ferienphase der koreanischen Universitäten. Traditionell verreisen die Studiengänge dann gemeinsam, vorzugsweise ans Meer – und Tongyeong lockt die Musik-Fakultäten mit Paketangeboten, Konzertbesuch inklusive.
Das erklärt auch den sagenhaft niedrigen Altersquerschnitt im Saal, der jeden deutschen Intendanten vor Neid erblassen ließe, ebenso wie den immens hohen Frauenanteil: Es sei nun mal so, bemerkt Prof. Kim mit spürbarem Bedauern, dass eine künstlerische Ausbildung die Attraktivität bei der Partnersuche im gehoben bürgerlichen Milieu Koreas beträchtlich steigere.
In seiner sechsten Ausgabe ist das TIMF das größte Klassikfestival Koreas. Gerne sähe sich die mitveranstaltende Stadt Tongyeong als ein „Mekka der klassischen Musik in Asien“ oder gar ein „Salzburg Asiens“. Darum orientiert sich Prof. Kim an Europa: Donaueschingen, Edinburgh, Luzern heißen seine Vorbilder. Das deutsche Neue-Musik-Festival steuert die Grundidee der Förderung zeitgenössischer Komponisten bei, aus Schottland hat man seit 2002 die Idee der „Fringe“-Konzerte übernommen: junge Künstler, ungewöhnliche Darbietungsformen aus den Randbereichen der Musik. Luzern schließlich steht für die Sehnsucht nach Glamour und internationaler Größe.
Am Beispiel der Fringe-Darbietun-gen zeigt sich jedoch das Dilemma. Wen das eigene Interesse ins festlich geschmückte „Festival House“ in der „Festival Street“ – den Rest des Jahres die Isang-Yun-Straße – führt, der erlebt, sofern er überhaupt noch Platz findet im restlos überfüllten Konzertsaal, ein lokales Publikum mit enormer Musikbegeisterung. Auf der Freilichtbühne am Hafen dagegen wird ein wenig ins Leere beschallt – viele, die zum Hören kurz stehenbleiben, wirken von den koreanisch-poppigen Crossover-Klängen eher befremdet. Eigentlich müsste das TIMF „Isang-Yun-Festival“ heißen. Der 1995 verstorbene Komponist wurde 1917 in Tongyeong geboren. Da allerdings kommt die Politik ins Spiel. Solange sich die südkoreanische Regierung nicht persönlich bei Yuns Witwe Soo-Ja Lee für die sogenannte Ostberlin-Affäre von 1967 entschuldigt, verweigert diese die Nutzung des Namens. Stattdessen bildet sich derzeit Konkurrenz: Isang Yuns Tochter Jung Yun rief 2005 die „Isang Yun Peace Foundation“ ins Leben. Zwar begann die Stiftung als stärker auf die politischen Aspekte der Figur Isang Yun orientiertes Gegengewicht zum sich populär gebenden TIMF. Nun aber kündigt sie für den kommenden Herbst ein eigenes Isang-Yun-Festival in der Hauptstadt Seoul an. Auf dem Spielplan: Ganz viel Yun, sowie Gewinner-Kompositionen des ebenso neuen Isang-Yun-Kompositionswettbewerbs.
Ob sich das dem Publikum zumuten lässt? Trotz vieler Bezüge auf koreanische traditionelle Rhythmik und Melodik bleibt Isang Yun ein Neutöner und dessen Werk eine Herausforderung an den Hörer. So ist es vermutlich richtig, das Sngkn Kim in Tongyeong den erprobten Weg geht: Internationale Stars treffen auf populäre Lokalmatadoren, Yun wird gespielt, aber selten mehr als ein Werk pro Programm.
Gearbeitet wird auch an der Außenwirkung. Gerade war der Bürgermeister von Tongyeong in den USA, wo Verhandlungen mit Frank Gehry laufen: Der Stararchitekt könnte den Zuschlag zum Bau eines Festival-Konzerthauses erhalten. Ein Hauch Bilbao und Los Angeles am koreanischen Meer.