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Trio Gaspard in Lockenhaus. Foto: Raphael Mittendorfer

Trio Gaspard in Lockenhaus. Foto: Raphael Mittendorfer

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Atmosphäre von Austausch und Neugier – Besuch beim Lockenhaus-Festival

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Anders als früher ist das ehemalige Sommerloch im Klassik-Betrieb längst bestens gefüllt. Ein kaum mehr überschaubares Angebot an Festivals lockt in alte Schlösser, prächtige Gartenanlagen, Kuhställe und malerische Landschaften. Warum also sollte man trotz so einer breiten Auswahl auch heute noch ausgerechnet nach Lockenhaus fahren, an den östlichen Rand des Burgenlandes? Was macht den besonderen Reiz des dortigen, vor über vierzig Jahren entstandenen Kammermusikfestivals aus?

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Die Antwort auf diese Frage ist natürlich vielschichtig. Und sie muss auf jeden Fall den Geist der Offenheit und Spontaneität zur Sprache bringen, den der Gründer Gidon Kremer Anfang der 80er implementiert und den sein Nachfolger Nicolas Altstaedt als künstlerischer Leiter ab 2012 neu belebt hat. Das besondere Klima des äußerlich eher kleinen, künstlerisch oft aber großartigen Festivals strahlt bis an den Bahnhof in Wien aus – wo das ebenso herzliche wie kompetente Organisationsteam um Géza Rhomberg dem verspäteten Journalisten kurzfristig eine Mitfahrt im Autoshuttle ermöglicht, als die letzte Busverbindung nach Lockenhaus sich erledigt hat. 

Der Chauffeur ist ein Klavierstudent. Und er hat einen ganzen Katalog an Fragen an seinen wichtigsten Fahrgast: Den legendären Kammermusikpädagogen Eberhard Feltz, der in Lockenhaus seit einigen Jahren öffentliche Meisterkurse gibt. Mitzubekommen, wie Feltz während der Autofahrt geduldig und nachdenklich aus seinem reichen Wissensschatz schöpft und dem jungen Pianisten am Steuer Denkanstöße gibt – etwa darüber, welchen Einfluss die Begegnung mit Beethovens Musik wohl auf Franz Schubert hatte –, vermittelt einen ersten Eindruck der Atmosphäre von Austausch und Neugier, die das Kammermusikfest prägt.

Natürlich sind solche Gespräche auch bei anderen Festivals möglich. Aber in Lockenhaus steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie stattfinden. Auch, weil man sich in dem von Hügeln und Wäldern des Naturparks Geschriebenstein-Írottkö umgebenen 2000-Seelen-Dorf ständig über den Weg läuft. Ob beim einzigen Supermarkt, in einem der wenigen Lokale, oder eben in der barocken Pfarrkirche am Hauptplatz, dem wichtigsten Konzertort des Festivals.

So entsteht hier eine besondere Nähe. Zwischen Künstlerinnen und Künstlern und Publikum, aber auch innerhalb der beiden Gruppen. Viele Interpreten kommen seit Jahren her, die meisten Stammgäste schon seit Jahrzehnten.

Diese Nestwärme nutzt Nicolas Altstaedt, wie schon Gidon Kremer vor ihm, um einen Schutzraum der Neugier zu schaffen. Befreit vom oft hektischen Reiserhythmus der normalen Konzertsaison, nehmen sich die Musikerinnen und Musiker Zeit, für mehrere Tage an einem Ort zu bleiben und gemeinsam ein ungewöhnlich breites Repertoire zu erkunden.

Auch am Eröffnungswochenende des heurigen Jahrgangs hat Altstaedt wieder eindrücklich demonstriert, dass er Lockenhaus als Oase der Entdeckungen begreift. Indem er viele Werke programmiert, die im Konzertalltag keinen Platz finden. Wie etwa das 1916 entstandene Klavierquartett des russischen Komponisten Georgi Catoire. Ein vor Ideen und harmonischen Überraschungen geradezu berstendes Werk, spätromantisch, sinnlich und überbordend, wie in permanenter Ekstase. Oder das Klavierquintett des im deutschsprachigen Raum unterschätzten Ralph Vaughan-Williams, dessen herrliche Themen und warme Farben Nicolas Altstaedt mit Kollegen wie Matthew McDonald – Solokontrabassist bei den Berliner Philharmonikern – und Olli Mustonen auskostete.

Mustonen war beim heurigen Festival wieder in Doppelfunktion zu erleben. Als kraftvoller Pianist und eigenwilliger, von verschiedenen Stilen beeinflusster Komponist. Sein mitreißendes Nonetto I für Streicher aus dem Jahr 1995 knüpft an barocke Formen an und klingt über weite Strecken fast wie ein Concerto grosso der Gegenwart. Tänzerisch, groovend, pointenreich. Ganz anders Mustonens „The old church at Petäjävesi“, in Lockenhaus in der Fassung für zwei Klaviere zu erleben. Das Stück nimmt die Geschichte einer alten finnischen Holzkirche zum Anlass, weite Klangräume zu erkunden, die das dunkle Bassregister ebenso umfassen wie klirrend helle Effekte – und entfachte in der Aufführung mit Mustonen selbst und dem Pianisten Nicholas Rimmer eine motorische, stellenweise geräuschhafte Wucht.

Mustonens Werke bildeten ebenso Konstanten der ersten Festivaltage wie die Kammermusik von Sándor Veress. Jenem faszinierenden, unter anderem bei Kodály und Bartók ausgebildeten Komponisten, dessen Schaffen Nicolas Altstaedt in Lockenhaus schon mehrfach in den Blick genommen und jetzt besonders ins Zentrum gerückt hat. Mit Stücken wie „Memento“ für Viola und Kontrabass oder dem Klaviertrio „Tre Quadri“. Inspiriert von Gemälden des 17. Jahrhunderts, findet Veress hier einen Ton, der zwischen pastoralen Gesten, einem in tiefer Melancholie gründelnden Adagio und knackigen Rhythmen changiert – letztere teilweise mit dem Fingerknöchel des Pianisten auf den Flügel geklopft. Das Werk spiegelt die Auseinandersetzung mit der ungarischen Volksmusik ebenso wie Veress‘ freien Umgang mit der Zwölftontechnik. Es ist ein großes Verdienst des Festivals, dass dieser bedeutende, andernorts sträflich vernachlässigte Komponist des 20. Jahrhunderts hier – nur wenige Kilometer von der ungarischen Grenze entfernt – endlich angemessen gewürdigt wird. Mit maßstabsetzenden Interpretationen, die glücklicherweise auch auf Tonträger gebannt wurden beziehungsweise noch werden sollen.

Die Aufführung des Klaviertrios „Tre Quadri“ lag in den Händen des Trio Gaspard. Das Ensemble besticht – auch in seinem Haydn-Zyklus – mit einem fein abgestimmten, farbenreichen und hellwachen Spiel und gehört in Lockenhaus zu den treuesten Stammgästen der Ära Altstaedt. Ebenso wie die Geigerin Vilde Frang oder der Schlagwerker Johannes Fischer, der heuer an einer packenden Darbietung von Bartóks Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug mitgewirkt und punktgenau Akzente gesetzt hat.

Neben solchen vertrauten Wegbegleitern aus seiner Generation sowie Lockenhausern der ersten Stunde wie András Schiff und Heinz Holliger – letzterer übrigens ein Schüler von Sándor Veress – lädt Nicolas Altstaedt auch immer wieder herausragende Musikerinnen und Musiker aus noch jüngeren Jahrgängen ein. Auch sie repräsentieren jene für Altstaedt und Co typische Flexibilität, die es ihnen erlaubt, Werke aus verschiedenen Epochen in einem jeweils ganz eigenen Ton zu interpretieren. 

Diese Gabe offenbarte auch die polnische Geigerin Maria Włoszczowska, Jahrgang 1991, die herausragende Entdeckung der ersten Festivaltage. In einem Solorecital hat sie Werke von Johann Sebastian Bach, Nicola Matteis und Eugène Ysaÿe zu einem dichten Programm verwoben  – und berührte dabei mit einer ebenso stilsicheren wie persönlichen Lesart der Musik, die die komplexen Strukturen durchleuchtete und zugleich ihren Affektreichtum und die Sinnlichkeit der Werke erfasste. 

Diese nie ermüdende Bereitschaft, auch das Bekannte immer wieder neu zu lesen, sich auf selten gespieltes Repertoire einzulassen – und jedes Werk mit derselben Intensität zu beseelen: Das macht den Geist von Lockenhaus aus. In Verbindung mit dem Topniveau nahezu aller Künstlerinnen und Künstler (die nach wie vor ohne Gage auftreten und damit die wichtigsten Sponsoren des Festivals sind), mit der idyllischen Lage des Ortes und dem damit einhergehenden familiären Miteinander, entsteht so ein sehr eigenes, oft beglückendes und in seiner Art womöglich einzigartiges Gesamterlebnis. Deshalb ist Lockenhaus auch heute noch unbedingt eine Reise wert. 

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