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Nachdenken, musizieren, diskutieren. Foto: Klangspuren Schwaz
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Auch Konzertprogramme wollen komponiert werden

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Die Internationale Ensemble Modern Akademie in Schwaz 2010 mit Heinz Holliger
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Das Pausenbrot, das schon vormittags und mittags nicht gegessen wurde, liegt am späten Nachmittag immer noch unausgepackt neben Heinz Holliger. Den Wunsch, er möge doch bitte erst einmal in Ruhe ein paar der wenigen Minuten, die ihm zwischen den vielen Proben bleiben, dafür nutzen, etwas zu essen, bevor man mit ihm spreche, erfüllt er der Interviewerin nicht. Zu wichtig ist es ihm, seiner Begeisterung über das hohe technische Niveau der Teilnehmer, die wunderbare Atmosphäre und Intensität seiner Arbeit als diesjähriger Composer-in-Residence der Internationalen Ensemble Modern Akademie wortgewandt Ausdruck zu verleihen. „Alle sind auf Konzertklassennniveau,“ schwärmt er von den mehr als 30 Studierenden, die aus der ganzen Welt angereist sind.

Dass so viele exzellente Nachwuchsmusiker sich um einen IEMA-Platz in diesem Jahr beworben haben, liegt laut Johannes Schwarz vom Ensemble Modern wiederum auch an Heinz Holliger: Er hat eine große Vielfalt an Kammermusik für die verschiedensten Besetzungen geschrieben, die mit ihrer stilistischen und klanglichen Bandbreite eine große Herausforderung an die Interpreten stellen und so dem Kurs eine besondere Attraktivität verliehen. Dabei wurden natürlich nicht nur Werke von Holliger selbst, sondern beispielsweise von Sándor Veress, György Ligeti oder Galina Ustwolskja im Rahmen der sechzehntägigen Fortbildung einstudiert. Dozenten und Studenten wohnen im Rahmen der IEMA in dem ausserhalb in Igls-Vill ruhig gelegenen Bildungszentrum Grillhof, mit Blick auf die Berge, wo sich die Konzentration einer gemeinschaftlichen Klausur ungestört herausbilden kann. Das Grundkonzept der IEMA baut dabei darauf auf, dass nicht nur zeitgenössische Spieltechniken für die verschiedenen Instrumente vermittelt und Werke mit Hilfe von Dozenten, die Mitglieder des Ensemble Modern sind, einstudiert werden. Ein wesentlicher Punkt ist der Dialog über die Musik, die gemeinsame Spurensuche, das Miteinander-Erarbeiten im Team. Holliger, vielseitiger Interpret und Komponist in einer Person, ist mit seinem Dialog-Verständnis natürlich der optimale IEMA-Dozent: Jeden Abend gibt er eine Lecture, bei der einzelne Studierende vorführen, was sie erarbeitet haben, auch wenn es manchmal noch unfertig ist.

Daraus entspinnt sich dann eine Diskussion und Holliger führt an konkreten Beispielen vor, welche Ideen sich hinter den verschiedenen Notentexten verbergen. Die Ergebnisse des Abends fließen dann in die Stundenpläne der nächsten Tage ein. Dieses Verfahren fordert natürlich eine große Flexibilität von den Teilnehmern, bietet aber gleichzeitig die Möglichkeit, besonders effektiv und zielgerichtet zu proben und gibt auch eine Idee davon, wie demokratisch organisierte Formationen wie das Ensemble Modern ihre Arbeitsprozesse steuern und Komponisten mit Musikern gemeinsam Ergebnisse entwickeln. Die langjährige Zusammenarbeit Holligers mit dem Ensemble Modern sehen dabei beide Seiten als unschätzbaren Vorteil, insbesondere, wenn es um die Abstimmung der Arbeit der einzelnen Instrumentaldozenten mit dem Composer-in-Residence geht. „Viele Orchester engagieren ja heute ,Köfferchen-Manager‘, ,Bachelor-Manager‘, die die Programme für sie machen“, obwohl doch in den Orchestern selbst eine große Kenntnis über musikalische Beziehungen zwischen verschiedenen Werken vorhanden ist. „Kunst ist doch kein Material, das kann man nicht einfach ,managen‘,“ meint Holliger. Bei den Programmen, die auf diese Weise zusammengestellt werden, sind die Werke wenig miteinander vernetzt, dabei müsse man Konzertprogramme doch auch komponieren.

Das Ensemble Modern ist da natürlich das beste Gegenbeispiel – die Musikerinnen und Musiker überlegen gemeinsam, auch mit Gastdirigenten oder Komponisten, was zusammenpasst. Die Aufgabe eines Ensembles, das sich sinnvoll der Aufführung von zeitgenössischer Musik widmet, ist eben auch, mit neuen Programmen auch die Neue Musik selbst weiter voranzubringen, neue Strömungen und Ideen mit zu initiieren. Die Aufgabe der IEMA ist es aus Holligers Sicht auch, aufzuzeigen, dass Neue Musik nicht im luftleeren Raum stattfindet. Und so sind auch gemeinsame Wanderungen, Reden über Gedichte, Hören, Musik aller Jahrhunderte und verschiedener Kulturen wichtige Bestandteile der zwei Wochen. Das Tempo und die Intensität der Vermittlungsarbeit des Einundsiebzigjährigen verlangt den jungen Musikerinnen und Musikern, aber auch den Instrumentaldozentinnen und -dozenten einiges ab: Zwei Wochen lang jeden Tag von acht Uhr morgens bis um Mitternacht wird nahezu ohne Zäsur erarbeitet, nachgedacht, diskutiert, Musik erlebbar gemacht.

Und so ist es dann schon naheliegend, dass Dozenten und Studierende ebenfalls auf die Frage, wie sie die IEMA erleben, ihr Pausenbrot vergessen, um begeistert zu schildern, wie viel ihnen die Arbeit mit dem Composer-in-Residence Heinz Holliger gibt. So bekommt man auch als Zuhörer eine Ahnung davon, wie nachhaltig und wertvoll diese Art der Arbeit ist

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