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Auf dem Weg zur Neunten

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Manfred Trojahns fünfte Sinfonie mit den Münchner Philharmonikern unter SyIvain Cambreling
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Bei dem Begriff Symphonie – oder auch Sinfonie geschrieben – denkt der Musikliebhaber vor allem an die großen Werke des neunzehnten Jahrhunderts. An Beethoven, Schubert, Brahms, Bruckner, Tschaikowsky und Mahler. Vor dieser Zeit natürlich auch – Mozart und Haydn. Als eigentlicher Erfinder der aus der Suite herausgewachsenen sinfonischen Form allerdings gilt Johann Stamitz, mir war danach dann Haydn eben der genialere Ausbau-Meister der klassischen Sinfonik.

Mit Beginn der neuen Musik trat die tradierte Form in den Hintergrund. Wer wollte oder konnte noch Bruckner oder Mahler übertrumpfen? Vollends nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen Komponisten, die noch Sinfonien schrieben, den Avantgarde-Kollegen ziemlich verdächtig. In Darmstadt oder Donaueschingen herrschten andere Gesetze, das Retrospektive wurde verbannt. Hans Werner Henze war das prominenteste Opfer der seriellen Fundamentalisten: Boulez’ Bannfluch wirkte in Paris bis zum letzten Jahr nach, bis sich die Musikredaktion des französischen Rundfunks ein Herz fasste und in einem großen Zyklus alle zehn Sinfonien Henzes erstmals in Paris präsentierte. Es wurde ein Riesenerfolg und geriet gleichzeitig zu einem überzeugenden Plädoyer für die Vitalität der sinfonischen Großform, sofern nur der „Richtige“ sich ihrer bedient.

Hans Werner Henze ist auch für den 1949 in Cremlingen bei Braunschweig geborenen Manfred Trojahn ein gewichtiges Vorbild. Trojahns Komponieren hat sich nie doktrinären Vorbildern unterworfen, sondern stets geschichtliche Kontinuität im Blick behalten. Warum sich nicht überlieferter Formen bedienen, deren Elastizität meist größer ist als gedacht, wenn man für sich überzeugt ist, dass sich in diesen Formgestalten Neues und Eigenes ausdrücken lassen? So hat Manfred Trojahn nicht nur zwei eigenständige Literatur-Opern geschrieben. ,,Enrico” nach Pirandello und ,,Was ihr wollt“ auf Shakespeares Komödie, sondern in größeren zeitlichen Abständen auch Sinfonien, deren fortlaufende Nummerierung jetzt bei der Ziffer Fünf angelangt ist.

„Der Mensch soll gespürt werden, nicht das musikalische Objekt“ – dieses Credo hat Manfred Trojahn einmal noch als junger Komponist formuliert. Die Äußerung bedeutet nicht mehr oder weniger als ein klares Bekenntnis zu einer ungebrochenen Ausdrucksmusik. Persönliches soll in der Musik mitschwingen, Empfindungen, Sehnsüchte, Leiden, eingefasst in musikalische Gestalten, Gesten, Klänge, Rhythmen. Trojahns Liebe zu Italien, eine sehr deutsche Vorliebe, fand ihren entspannten, ausgeglichenen Ausdruck in der dritten Sinfonie (1985), in der sich viele Zitate aus der Musik romanischer Länder finden, unter anderem ein „springender“ Saltarello – Trojahns Musik ist in diesem Werk auch eine stille Huldigung an den „Italiener“ Hans Werner Henze.

Während Trojahns „Erste“ den Einfluss Ligetis nicht verhehlt, die „Zweite“ die starke Affinität des Komponisten zu Gustav Mahler aufzeigt und die 1992 entstandene „Vierte“ als „Notturno“-Vorausklang auf eine nicht geschriebene „Merlin-Oper“ zu erahnen ist, wirkt Trojahns „Fünfte“ in ihrem kompositorischen Gestus und sinfonischen Ausdruck entschieden autonomer, freier, in der Strukturierung speziell im Mittelsatz des dreiteiligen Werkes komplexer und komplizierter: eben symphonischer ausgearbeitet. Der zweite Satz, als lntermezzo annonciert, ist alles andere als ein Zwischenspiel: eine subtil entwickelte, vielfach durchbrochene Textur aus extremen dynamischen Kontrasten zwischen dreifachem Piano und dreifachem Forte, fein gezogenen Kantilenen und einer wie von weit herbeischwebenden Klanggrundierung der Posaunen – alles äußerst dicht komponiert, von innen heraus erhört und übersetzt in ein farbreiches Wechselspiel der Instrumente. Trojahns Komponieren erreicht hier ein hohes Reflexionsniveau, mit der er – er möge es verzeihen – selbst in Donaueschingen für Furore sorgen könnte. Dieses Intermezzo verspannt gleichsam auch die beiden Ecksätze der Sinfonie: den rhythmisch akzentuierten, vor Energie strotzenden Kopfsatz und den leicht dahinfließenden, kantablen Finalsatz mit seinen wirkungsvollen Farb- und Stimmungswechseln. In gewisser Weise bündeln sich in Trojahns fünfter Sinfonie viele Charakteristika der vorangegangen sinfonischen Werke, mit denen sich dann das „Intermezzo“ quasi als Aufbruch in eine neue, erweiterte Komponierwelt heraushebt.

Die fünfte Sinfonie entstand im Auftrag der Münchner Philharmoniker, die das Werk jetzt in ihren Abonnementszyklen dreimal in der Gasteig-Philharmonie aufführten. Der Dirigent Sylvain Cambreling erwies sich dabei als kompetenter Sachwalter des Komponisten.

Cambreling versteht es meisterhaft die Strukturen einer Komposition offenzulegen, sie ganz leicht und schwebend dahinfließen zu lassen, Details scharf zu belichten, instrumentale Farben aufleuchten zu lassen und dann alle diese wundersamen Einzelheiten mit einer kraftvollen Gebärde symphonisch zusammenzuraffen.

Die Münchner Philharmoniker schwangen sich dabei zu einem engagierten Musizieren auf, glänzten mit delikaten instrumentalen Details, entfalteten auch an den dafür vorgesehenen Stellen eine enorme Klanggewalt. Da auch das weitere Programm mit Paul Dukas‘ „La Peri“ und Henri Dutilleux‘ „Metaboles“ die eingefahrenen Bahnen eines Abo-Konzerts verließ, durfte man von einem ungewöhnIichen Konzert und einem großen Abend sprechen. Das Philharmoniker-Publikum schien davon sogar leidlich angetan.

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