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Auf der Bühne herrscht Krieg

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Uraufführung von Detlev Glanerts Oper „Die drei Rätsel“
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Erfolgreich – dieses Prädikat darf sich eine zeitgenössische Oper meist schon dann anheften, wenn sie über die Uraufführung hinauskommt. Der Platz, der lebenden Meistern an Deutschlands Opernhäusern eingeräumt wird, ist eben bescheiden. Und wird zudem ausdauernd okkupiert von einzelnen Ikonen. Detlev Glanert, Jahrgang 1960 und Henze-Schüler, hat dennoch sein Opernglück gemacht und darf derzeit freudig zusehen, wie seine vor zwei Jahren in Halle uraufgeführte Grabbe-Oper „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ auf einer Erfolgswelle von Bühne zu Bühne schwimmt.

Mit seinem Namen und seiner Kunst schmückt man sich folglich gern am Opernhaus Halle und hat zeitig ein neues Werk in Auftrag gegeben, das nun uraufgeführt worden ist: Keine Kinderoper, wie Glanert nicht müde wird zu betonen – wohl wissend, dass nicht wenige Feuilletonisten bei dieser Gattungsbezeichnung müde abzuwinken pflegen. Keine Kinderoper, sondern eine Oper für Kinder wie Erwachsene.

Das wird schon daran deutlich, dass „Die drei Rätsel“ lediglich scheinbar ein nettes Stück ist. Denn auf der Bühne herrscht Krieg, regieren Grausamkeiten, die vom kunterbunten Gewand nur mühsam verdeckt werden. In der Opernhistorie jedenfalls muss man suchen, Vergleichbares zu finden: Erwachsene, die kollektiv über aufmüpfige Kinder herfallen, und eine Mutter, die dem Sohn Gift in die Wegzehrung mischt. Der Kampf zwischen Jung und Alt frappiert umso mehr, als Glanerts Oper ein wunderbarer Generationenvertrag zugrunde liegt: Kinder stehen nicht nur als Solisten und im Chor (Einstudierung: Sabine Bauer, Anthony Jenner) den erwachsenen Protagonisten gegenüber. Sie teilen sich - sieben bis 16 Jahre alt – im Graben sogar die Pulte mit Lehrern und Orchesterprofis.

Und das Beste daran: Bis der ganze Haufen einträchtig zum zwölfminütigen Schlussapplaus erscheint, verheimlicht er erfolgreich seine kuriose Zusammensetzung. Dass 30 Kinder im Graben sitzen, man mag es schlichtweg nicht glauben. Chapeau für Kapellmeister Pavel Baleff, der mit Engelsgeduld und Charisma die Proben stemmte. Detlev Glanert verzichtete bei seinem zweiten Auftragswerk für Halle nach eigenem Bekunden zwar auf hässliche Taktarten und andere Risikofaktoren. Doch reichten die Schwierigkeiten aus für viel Probenarbeit.

„Die drei Rätsel“ ist folglich keine Kinderei, sondern ein echter Glanert: Dramaturgisch geschickt zwischen atemloser Motorik und Ruhe wechselnd, brillant instrumentiert, mit einem Hang zum Grotesken – und dabei stets gut verdaulich.

Diese Oper ist kein Experiment, kein episch distanziertes Kunstwerk oder eines, das sich selbst befragt –, sondern Mitfühl-Theater im guten, konventionellen Sinne: Ein Junge verlässt das Elternhaus, um eine Prinzessin zu erobern, die drei unlösbare Rätsel von ihm fordert und sich erst unwillig, dann willig besiegen lässt durch seine Liebe.

Am meisten berührt in der Adoleszenz-Geschichte, die Librettist Carlo Pasquini aus dem gleichen Mythos gewonnen hat, dem auch Puccinis „Turandot“ und Mozarts „Zauberflöte“ folgen, die Jugend der Protagonisten. Wenn Philipp Schreyer als Lausbub Lasso und Evi Stumpe als Prinzessin Scharada sich zum ersten Mal ungeschickt umarmen, dann ist das ein magischer Moment: Das Ende der Kindheit ist erreicht, die Welt steht offen.

Die erwachsenen Rollen sind dem gegenüber höchst skurril, grell auch von Frank Martin Widmaier (Regie) und Patricia Walczak (Kostüme) gezeichnet und im Charakter unfähig oder böse: Mária Petrasovská gibt in einer herrlichen Doppelrolle Lassos Mutter, die den Sohn lieber vergiften als ziehen lassen will –, und gleich dazu noch ein Wildschwein, das am vergifteten Kuchen stirbt. Ulrich Studer spielt – wunderbar dekadent – König Zephalus, den unentschlossenen Vater der Prinzessin, während Anke Berndt als Hofdame Scharadas (Frau Knochen mit Namen) aus dem tonalen Rahmen fällt mit ihren virtuosen Zickzack-Koloraturen.

Jordi Molina schließlich tritt auf als heiterer Galgenvogel und Begleiter Lassos – eine Art Papageno, der am Schluss sein Glück bei einer cremefarbenen Muschel findet, in der schöne Mädchen kühle Cocktails servieren. Was es mit dieser seltsamen Idee auf sich hat, wird wohl ein Geheimnis des Librettisten bleiben.

Das Ende ist Revolution: Die überfüllte Welt der Erwachsenen (auf der von Bernd Leistner gestalteten Bühne leider etws unübersichtlich) bricht wie in Glanerts Oper „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ zusammen. Doch während dort ein krähender Bengel übrig blieb, gehen Lasso und Scharada als neue Menschen hinaus in eine neue Welt. Und auch für die Zukunft der Oper wäre diese Uraufführung ja ein schönes Modell – mit Zuschauern und Akteuren jeden Alters.

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