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Gleich ist sie wieder weg: „Rüber“ mit Masako Ohta. Foto: Judith Buss/Biennale

Gleich ist sie wieder weg: „Rüber“ mit Masako Ohta. Foto: Judith Buss/Biennale

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Auf der Rückbank ist noch Platz für Oper

Untertitel
Zur Münchener Biennale für neues Musiktheater 2024
Vorspann / Teaser

„Oper kann längst überall stattfinden“: Das Versprechen, das Manos Tsangaris und Daniel Ott zu Beginn ihrer Leitungstätigkeit bei der Münchener Biennale für neues Musiktheater als eines ihrer Prinzipien ausriefen, wurde bei der letzten von ihnen verantworteten Ausgabe dann doch noch aufs Schönste eingelöst. „Rüber“ hieß die aberwitzige Taxifahrt durchs das Viertel östlich des Gasteig, die nachzuerzählen nur einen vagen Eindruck von ihrer Faszination vermitteln dürfte. 

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Sei’s drum, es war zu schön: In der Tiefgarage werden wir – drei Passagiere dürfen auf der Rückbank Platz nehmen – von einem würdigen Chauffeur in einer gelb besprenkelten, bis unters und aufs Dach mit Technik bestückten Limousine aufgegabelt. Die an der Abholstation und dann im Auto weiterlaufende Begleitmusik wandelt sich unmerklich von harmloser Berieselung zu einer leicht beunruhigenden Untermalung, die dann auch bald von einer angezerrten Gitarre verfremdet wird. Der Blick aus dem Fenster erklärt die theatrale Hörszene, die sich – Drinnen und Draußen virtuos überblendend – die ganze etwa halbstündige Fahrt über fortsetzen wird: Das Spiel der Musiker, an denen wir vorbeifahren, wird ins Fahrzeug übertragen und vermischt sich mit dem merkwürdigen Autoradio-Programm. Da schwärmen Moderatoren von SUVs, die so breit sind, dass sie sich nur seitwärts, wie Krebse durch die Straßen bewegen können, oder plappern über Dreharbeiten zur neuen Netflix-Serie „The Gorgonzola Lifehack“, die aus dem Ruder gelaufen sind. Davon sind wir selbst Zeugen geworden, denn auf dem Pariser Platz, den wir mehrmals umrunden, ist offenbar eine Entführung im Gange. 

Während wir einem E-Scooter folgen, dessen Fahrer in seiner Rucksack-Box „Cheese“, „Wigs“ und „Guns“ ausliefert, kreuzen immer wieder dieselben Musiker sekundengenau getimt unseren Weg. Manche steigen auch mal ein, lassen uns für kurze Zeit an ihrem Musizieren und ihren drängenden Lebensproblemen teilhaben („this is not my wig!“), um bald wieder in den öffentlichen Raum zu entschwinden. Den mischen sie – Passanten nehmen es amüsiert bis verstört zur Kenntnis – szenisch-musikalisch ein wenig auf, ehe unsere Fahrt vor der Kirche St. Johann Baptist in eine schlagzeugbegleitete Poledance-Vorführung mündet, die in einem sich plötzlich öffnenden, mit Silberfolie ausgeschlagenen Transporter vonstatten geht…

Nico Sauer hat diese, Irrsinn und Hintersinn trefflich ineins setzende Tour konzipiert. Wie sie von den Performern – unter anderem von Kinga Ötvös, die uns am Ende eine haut- und hörnahe Probe ihrer Vokalkunst kredenzt – allen Widrigkeiten des Großstadtverkehrs zum Trotz umgesetzt wird, macht auf beglückende Weise sprachlos.

Ganz so euphorisierend waren viele andere Produktionen dieses Jahrgangs leider nicht verlaufen. Am meis­ten Charme versprühte noch „nimmersatt“, ein Projekt der Münchner Hochschule für Musik und Theater, das den Bauch des sympathisch abgewrackten Gastro-Schiffs „Alte Utting“ mit einem VR-Brillen-Trip bespielte. Die Animationen kreisten vage und eher verspielt als verkopft um unseren gefährdeten Planeten. Mit ihrer Musik für ein kleines Instrumental- und Vokalensemble griffen Eve Georges und Jiro Yoshioka beherzt in diverse Stilschubladen zwischen barockem Kanon und Operettentonfällen.

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„Territorios Duales / Doppelter Boden“. Foto: Judith Buss/Biennale

„Territorios Duales / Doppelter Boden“. Foto: Judith Buss/Biennale

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Die besuchte Aufführung von „Territorios Duales / Doppelter Boden“, für die in Kooperation mit der Volkshochschule etwa hundert Nicht-Profis in Anlehnung an traditionelle bolivianische Musik auf selbst hergestellten Instrumenten spielten, fiel in ihrer Freiluft-Komponente leider dem Unwetter zum Opfer. Das unter der Leitung von Carlos Gutiérrez Quiroga und Tatiana López Churata fein austarierte Hörtheater, das man im Innenraum mit geschlossenen Augen goutierte, war aber auch so für eine gewisse Zeit durchaus anregend.

Gleiches kann von „Shall I Build a Dam“ (Komposition: Kai Kobayashi) leider nicht behauptet werden. Was in der aufwändig mit einem System aus Wasserrohren präparierten Halle (schwere reiter) an bedeutungsvollen Instrumental- und Körperaktionen zu ermüdenden Textfragmentierungen geboten wurde, unterbot noch die Erwartungen, die der Programmtext mit seiner Ankündigung einer „posthumanen hydrofeministischen Perspektive“ geschürt hatte. Schlimmer wurde es nur noch in „Defekt“, einer textlich wie musikalisch gleichermaßen banalen Weltraum-Petitesse, deren Nacherzählung der Leserschaft nun tatsächlich erspart sei.

Gehaltvoller und dabei über weite Strecken durchaus unterhaltsam war die Tanzperformance „Turn Turtle Turn“ des finnischen Oblivia-Kollektivs im lichtdurchfluteten Foyer der Isarphilharmonie. Die Musik von Yiran Zhao, überwiegend Gedichtvertonungen für drei Sänger und ein größeres, teilweise in die Performance miteinbezogenes Instrumentalensemble, bewegte sich vielgestaltig zwischen Vertrautheit und Verfremdung. Sie war dann am stärksten, wenn sie sich – eine Art dekonstruierter Mahler – auf die mit unaufdringlicher Poesie um Anfang und Ende der Zeiten kreisenden Oblivia-Texte konzentrierte oder wenn sie den Bewegungsmustern der Akteure echtes rhythmisches Futter gab.

„Nach wie vor geht es darum, einen werkhaltigen Korpus zu schaffen.“ Noch so eine Aussage des Leitungsteams von 2016. Am ehesten in diese Richtung ging in diesem Jahr „Searching for Zenobia“ von Lucia Ronchetti und Mohammad Al Attar, eine Reflexion über Geschichte und Gegenwart Syriens aus der Perspektive einer Geflüchteten. Das arg textlastige Stück lebte vor allem vom Beitrag der syrischen Musiker (Vokalistin Mais Harb, Perkussionist Elias Aboud) und vom Part für den Frauenchor des Staatstheaters Braunschweig, während dessen das Instrumentalensemble unter Susanne Blumenthal weitgehend unterbeschäftigt blieb. Lucia Ronchetti fand zwischen der eindringlichen syrischen Musik und Anklängen an Tomaso Albinonis barocke Zenobia-Oper nur selten zu einem eigenständigen, theatral wirksamen Tonfall.

In der Ära Ott/Tsangaris hat sich die Münchener Biennale für einen erfrischend weit gefassten Begriff von Musiktheater geöffnet. Dabei hörten sich allerdings die Konzepte hierzu nicht selten spannender an als die tatsächlichen Produktionen. Stücke, die tatsächlich konsequent musiktheatral gedacht und überzeugend umgesetzt waren, blieben in der Minderzahl. Im Gedächtnis blieben hier am ehesten „Alles klappt“ von Ondrej Adámek (2018) und „The Damned and the Saved“ von Malin Bång (2022). Für die nächste Ausgabe in zwei Jahren werden dann Katrin Beck und Manuela Kerer verantwortlich sein. 

Wir bleiben gespannt und lauschen derweil Luise Volkmann, die mit ihrem Sopransaxophon in unser Taxi eingestiegen ist, als sich auf einmal eine Begleitung unter ihr Spiel mischt. Eine Straßenbahn biegt vor uns ein, und durch die spiegelnde Scheibe sehen wir da tatsächlich Masako Ohta, die vorhin noch auf dem Beifahrersitz gesessen hatte, an ihrem Mini-Keyboard. Einen kurzen, kostbaren Moment lang währt dieses Taxi-Tram-Duo, dann biegt die Straßenbahn in eine andere Richtung ab. Der Tastensound verflüchtigt sich. Wir winken leise Servus.

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