Am Anfang steht ein Dreiklang, bestehend aus zwei Gemälden und einer Musikkomposition: dem Gruppenbildnis mit Schönberg des Wiener Malers Richard Gerstl, Arnold Schönbergs im Autograph gezeigtem Zweiten Streichquartett op. 10 sowie Wassily Kandinskys Impression 3 (Konzert). Drei Werke zwischen Expressionismus und Abstraktion, Tonalität und Zwölftonmusik. Gerstls Gruppenbildnis von 1907, revolutionär in seiner Verschmelzung von Figürlichkeit und Konturauflösung, und Schönbergs Streichquartett von 1908 – ein Schlüsselwerk des Wiener Komponisten auf dem Weg zur Zwölftonmusik, das wiederum den Russen Kandinsky 1911 zu seiner epochalen Impression 3 und zur Weiterführung seiner abstrakten Malerei inspiriert hatte.
Damit fokussiert gleich der erste Ausstellungsraum im Kunsthaus Zug Kern und Essenz des ambitionierten Ausstellungsprojekts, das dem vernetzten Wechselspiel von Malerei und Musik am Beginn der Moderne am Beispiel dieser drei Künstler nachspüren will. Und neben dichten ästhetischen Querverbindungen und Geistesverwandtschaften offenbaren sich hier auch biographische Berührungspunkte. War es doch der Maler Richard Gerstl (1883–1908), der zwischen 1906 und 1908 in Wien zum engen Kreis um Schönberg gehörte und den Komponisten ermutigte, sich ebenfalls der Malerei zu widmen. Zu einem abrupten Ende ihrer Freundschaft kam es dann im Sommer 1908, als Schönbergs Frau Mathilde und Gerstl ein Verhältnis begannen und der Maler im folgenden Herbst Selbstmord beging. Kandinsky seinerseits bemühte sich erstmals 1911 um Kontakt zu Schönberg, nachdem er dessen – Mathilde Schönberg gewidmetes – Zweites Streichquartett in München gehört hatte. Noch sichtlich bewegt von diesem Konzerterlebnis, bei dem auch die „Drei Klavierstücke op. 11“ erklangen, schreibt der Maler dem Komponisten am 18. Januar 1911 nach Wien: „Sie haben in Ihren Werken das verwirklicht, wonach ich in freilich unbestimmter Form in der Musik so eine große Sehnsucht hatte. Das selbständige Gehen durch eigene Schicksale, das eigene Leben der einzelnen Stimmen in Ihren Compositionen ist gerade das, was auch ich in malerischer Form zu finden versuche.“ In ihrer Suche nach neuen künstlerischen Wegen, nach „Luft von anderen Planeten“, wie es im vierten Satz „Entrückung“ in Schönbergs Zweitem Streichquartett nach Stefan George heißt, begegneten sich beide Künstler, und Kandinsky schuf hierauf nicht nur seine Impression 3 (Konzert), sondern trat in einen intensiven, anregenden (Brief-)Austausch mit Schönberg.
Erstmals sind nun im Kunsthaus Zug die Gemälde aller drei Künstler vereint, zur Verfügung gestellt von Museen und Privatsammlungen aus Europa und den USA, etwa eine Serie berühmter Schönberg-Selbstporträts aus dem „Arnold Schönberg Center“ in Wien. Mit der Sammlung Kamm verfügt das Kunsthaus Zug zudem über eine bedeutende Werkgruppe aus dem schmalen Œuvre Richard Gerstls, der bis heute ein großer Unbekannter der Wiener Moderne geblieben ist und dessen Atelierarbeiten nach seinem Selbstmord 1908 über zwanzig Jahre bei einer Speditionsfirma eingelagert waren.
Neben Gemälden, Manuskripten, Bühnenbildentwürfen und bibliophilen Büchern sind auch zahlreiche Musikautographe Schönbergs von der Jahrhundertwende bis zu seiner Emigration 1933 zu sehen – unter anderem die „Sechs kleinen Klavierstücke op. 19“, „Die Jakobsleiter“ oder Notate zum „Pierrot lunaire“ in seinen Konzertkalender. Außerdem bietet die Ausstellung Einblicke in die Bastelwerkstatt des leidenschaftlichen Erfinders Schönberg: Gezeigt werden zum Beispiel ein Zwölftonschieber oder eine Drehscheibe, mit deren Hilfe musikalische Strukturen räumlich veranschaulicht werden können. Insgesamt rund 150 Exponate künden vom „Aufbruch in die Moderne“, darunter auch Arbeiten Kandinskys zum Thema Punkt und Fläche aus dem Centre Pompidou, die durch Vermittlung von Pierre Boulez erstmals in der Schweiz zu sehen sind.
Doch damit nicht genug – der Klang der Bilder manifestiert sich auch in einem musikalisch-praktischen Teil, der die reiche Ausstellung begleitet: Im Kunsthaus Zug wurde eigens ein Musikraum mit Musikmanuskripten eingerichtet, der von Studierenden der Lucerne Festival Academy und der Luzerner Musikhochschule regelmäßig bespielt wird, sogar Pierre Boulez hat ein Werkstattkonzert geleitet. Auch im November und Dezember bieten noch Museumskonzerte mit Werken Schönbergs synästhetischen Kunstgenuss. Und im Hof des Kunsthauses Zug erwartet den Unersättlichen schließlich eine Music Lounge im Kunsthaus Zug mobil mit CD-Einspielungen von Musik Schönbergs samt Partitur.