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Auf der Suche nach einer neuen Kunstform

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Gluck-Zyklus mit Lothar Zagrosek im Konzerthaus Berlin
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„Gluck. Gluck. Gluck.“ So prangte es auf großen Plakaten vor dem Konzerthaus am Gendarmenmarkt und an anderen Orten in der Stadt. Nicht ein neues Getränk wurde hier beworben, sondern ein Zyklus dreier Opern Christoph Willibald Glucks in „konzertanten Aufführungen mit Szene“. Kenner des Berliner Musiklebens erinnerte es an das Projekt „Gluck-Gluck-Gluck“ der Neuköllner Oper, jenes kleinen, entdeckungsfreudigen Hauses, das im Herbst 1994 unter diesem Titel drei weniger bekannte Vaudeville-Komödien Glucks an einem Abend zusammenfasste. Mit „Gluck. Gluck. Gluck.“ wollten Lothar Zagrosek und das Konzerthausorchester nun mit drei großen Werken den Opernreformer Gluck ins rechte Licht rücken.

E.T.A. Hoffmann hatte 1809 in seiner Erzählung „Ritter Gluck“ die mangelnde Gluckpflege in Berlin beklagt. Dies änderte sich, nachdem Richard Wagner und Hector Berlioz den Komponisten als Opernpionier gepriesen hatten. Dann wurde es wieder stiller um Gluck. Die Forschung hat mittlerweile seine musikhistorische Rolle etwas relativiert: der Komponist leistete wohl eher eine Synthese verschiedener Nationalstile als eine tiefgreifende Opernreform (die mehr vom Librettisten Calzabigi ausging). Unbestritten war er aber ein Komponist von europäischem Format. Ebenso unbestritten ist, dass seine Lebensgeschichte – sein Aufstieg aus einfachsten Verhältnissen zum kaiserlichen Hofkomponisten in Wien – einem spannenden Abenteuer gleicht.

Lothar Zagrosek und das Konzerthaus probierten mit Gluck eine neue Kunstform aus: die konzertante Aufführung mit Szene. Damit sollte, so die Programmverantwortliche Heike Hoffmann, eine Alternative zu den üblichen konzertanten Opernaufführungen entwickelt werden: „Wir wollen mit unserer Produktion die Geschichten erzählen, eine Stringenz im Szenischen erreichen, ohne vorzugeben, eine komplette Inszenierung anzubieten.“ Dies eröffnet dem Konzerthaus neue Chancen für lohnende Werke, die den Opernhäusern als nicht repertoiretauglich gelten. Werke wie die von Gluck.

Das neue Vermittlungskonzept richtete sich an Kenner wie Liebhaber. Für Fachkundige gab es ein von Thomas Betzwieser geleitetes Symposium unter dem Titel „Drama – Szene – Stimme: Glucks Reformopern und ihre Interpretationen“, das nicht zuletzt Fragen der historischen und aktuellen Aufführungspraxis umkreiste. Ein Roundtable mit dem Produktionsteam des Konzerthauses, dem Dirigenten Lothar Zagrosek und dem Regisseur Joachim Schlömer, widmete sich der Umsetzung von Glucks Opern im aktuellen Opern- und Konzertbetrieb.

Die Aufführungen begannen mit dem bekanntesten Werk, mit „Orfeo ed Euridice“ (1762), vom Komponisten als „Azione teatrale in musica“, das heißt „musikalische Theaterhandlung“ bezeichnet. Die Regisseure Joachim Schlömer und Susanne Øglænd zeigten den männlichen Helden als Rock- oder Punkmusiker, passend zum energischen, unsentimentalen Zugriff von Lothar Zagrosek. Links auf dem Podium saß das kammermusikalisch besetzte Konzerthausorchester, während rechts davon Platz war für die Sänger sowie einen großen schwarzen Kubus, der als Extrapodium und Projektionsfläche diente. Da für jede Oper eine Probenzeit von nur vier Tagen zur Verfügung stand, war das Szenische auf „aninszenierte Bilder“, auf einfache Gänge, Gesten und Ortswechsel beschränkt.

Schon Gluck hatte sich um Vereinfachung, um „bella simplicitá“, bemüht, indem er musikalische Konventionen, Ornamente und Koloraturen strich, die nicht unmittelbar dem Drama dienten. Auch bei der Handlung konzentrierte er sich aufs Wesentliche. Bei der musikalischen Tragödie „Alceste“ (1767), seiner heute nur noch selten gegebenen zweiten Reformoper, hatte der Librettist Ranieri de’ Calzabigi die Euripides-Vorlage stark gekürzt. Die Handlung ist einfach: eine Frau opfert sich, um ihrem Mann, dem thessalischen König Admeto, das Leben zu retten. Die jetzige Aufführung (in der Originalfassung in italienischer Sprache) machte noch radikalere Striche, so dass man sich fragt, warum nicht gleich die stringentere französische Fassung verwendet wurde. Grundzüge der Handlung waren Projektionen auf dem Kubus zu entnehmen, etwa der bevorstehende Tod des Königs Admeto. Dann ein übergroßes „ICH, ICH“ – Alceste beschließt, sich zu opfern. Sie denkt an ihre Kinder, die man minutenlang auf dem Bildschirm sieht (merkwürdigerweise vor einer Wolkenkratzer-Szenerie).

Aber waren diese Text- und Bildprojektionen und die angedeuteten Szenen auf dem Podium und einer mitten in den Saal führenden Rampe wirklich notwendig? Hatte die Musik die Empfindungen nicht viel deutlicher zum Ausdruck gebracht? Schon in der Ouvertüre ließen Dissonanzen, dynamische Kontraste, abbrechende Phrasen und Seufzerfiguren Trauer und Schmerz erleben. Lothar Zagrosek brachte hier seine reichen Opernerfahrungen aus Leipzig und Stuttgart ein, er schärfte den Klang des Konzerthausorchesters, raute ihn auf und gab ihm zupackende, mimische Präsenz. Glucks dramatische Musik wurde auf diese Weise sprechend und gegenwärtig. Angesichts der Forderung des Komponisten nach einer dem Text dienenden Rolle der Musik war es allerdings bedauerlich, dass der italienische Text nicht zu verstehen war. Besonders bedauerte man dies bei den Accompagnato-Rezitativen, einem zentralen Element von Glucks Reformen.

Für den wesentlichen Chorpart stand der RIAS-Kammerchor zur Verfügung – ein Glücksfall. Er verkörperte das thessalische Volk und wechselte ständig seine Auftrittsorte. Christiane Oelze erlebte man ausdrucksvoll und flexibel als sich aufopfernde Alceste, überzeugend auch Domink Wortig als Admeto und der Tenor Johannes Chum als Evandro. Allerdings überraschte, dass die Solisten beim Singen den Klavierauszug steif in der Hand hielten und starr aufs Notenpult blickten, als sollten übliche konzertante Opernaufführungen parodiert werden. Auch sonst beschränkte sich das Szenische auf rituelle Formen, geometrische Raumanordnungen, punktgenaue Auftritte und Abgänge. Diese unterstrichen in ihrem erhabenen Stil die hierarchischen, von Göttern gelenkten Gesellschaftsverhältnisse. Im Widerspruch dazu stand Alcestes persönliche Entscheidung für den Opfertod, nicht wirklich überzeugend dargestellt durch das Umkippen ihres Notenpults. Überhaupt erschien der inhaltliche und ästhetische Gewinn, den die szenischen Ergänzungen brachten, als eher begrenzt. Die eigentliche Protagonisten, welche die künstlerischen Reichtümer zu Tage förderten, waren Dirigent und Orchester.

Lothar Zagrosek und das Konzerthausorchester hatten vor einem Jahr bei einer rein konzertanten Wiedergabe der frühen Mozartoper „La finta giardiniera“ wahre Wunderdinge vollbracht, die die hingefügte Szene nicht steigern konnte. Dennoch sollte dies sie nicht abhalten, die Suche nach neuen Konzertformen für die Oper fortzusetzen.

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